Hans Brochner ist Eigentümer des Parkhotels am Rande der Innenstadt. Oder besser: Er war es, denn das Parkhotel existiert nicht mehr. Er hat es nämlich kurzerhand eingetauscht gegen ein Projekt namens "Fox". "Natürlich ist das ein Abenteuer", räumt der 70jährige Däne ein, "am Anfang habe ich mich auch gefragt, auf was ich mich da eigentlich einlasse, es ging ja alles so rasend schnell."

Begonnen hatte die ganze Geschichte mit diesem merkwürdigen Anruf aus Deutschland. Ob er sich vorstellen könne, fragte im November 2004 jemand am Telefon, sein Hotel sofort zu schließen? Das gesamte Mobiliar müsste natürlich raus. Danach würden rund drei Dutzend Freaks aus aller Welt anrücken, um die Zimmer nach ihrem Geschmack neu zu gestalten, jeden Raum unterschiedlich. Wahrscheinlich mit ziemlich schrillen Möbeln, bunten Graffitti-Fresken an den Decken, Cartoons und Comics an Türen und Wänden. So ähnlich würde es am Ende wohl aussehen, genau könne man das aber noch nicht sagen, weil die jungen Wilden, erst einmal in Fahrt gekommen, oft zu Improvisationen neigten, und das wäre auch erwünscht.

Damit nicht genug: Gleichzeitig solle eigenes Personal trainiert und dann nach Kopenhagen geschickt werden, um ausgesuchte Gäste einige Wochen lang angemessen zu betreuen. Anschließend würde die ganze Truppe wieder verschwinden, und der Eigentümer könne sein umgekrempeltes Hotel, unter neuem Namen allerdings und zu festgelegten Zimmerpreisen, dann wieder selbst betreiben. Im Übrigen müsse die Entscheidung umgehend getroffen werden, am besten sofort, denn man stehe leider unter extremem Zeitdruck. Noch Fragen?

Hotel schließen, leer räumen, umbauen - Ja oder Nein?

Hans Brochner war nicht der einzige Hotelier, dem der sonderbare Vorschlag angetragen wurde, seine Immobilie von Fremden auf den Kopf stellen zu lassen. Die meisten seiner Kollegen ließen sich gar nicht erst auf ein Treffen mit den Anrufern ein. "Manche haben mitten im Telefongespräch einfach aufgelegt", berichtet Event-Stratege Cedric Ebener, "die dachten wohl, wir wollten sie auf den Arm nehmen." Aber Brochner, ein gewiefter Experte der Bettenbranche, war zumindest neugierig geworden, zumal der Mensch am Telefon nachdrücklich behauptete, er handele im Auftrag von Volkswagen, Europas größtem Automobilhersteller. Wenn die so was wirklich planten, dachte der Däne, dann könnte schon was dran sein an der Sache.

Die Wolfsburger suchten, erfuhr er, dringend Unterkünfte für rund 800 Journalisten, die zur Vorstellung des neuen Volkswagen Fox im Frühjahr 2005 nach Kopenhagen anreisen würden. Anstatt - wie sonst bei der Einführung neuer Modellreihen üblich - eine der herkömmlichen First-Class-Herbergen als Basisquartier anzumieten, sollte dieses Mal jedoch eine Umgebung gewählt werden, deren Atmosphäre nicht nur perfekt zum Image des neuen preisgünstigen Einsteigerfahrzeugs passt, sondern auch weitgehend den Vorstellungen und Eigenschaften der angepeilten Kernzielgruppe entspricht: Jung, dynamisch, innovativ, unkonventionell und vor allem absolut einzigartig - so stellten sich die Automanager die ideale Location vor, um den Fox der Presse zu zeigen. Und weil ein solches Haus nicht existierte, müsse man es eben schaffen - und zwar ganz schnell.

Per Handschlag war das Projekt Fox geboren

Wenn der Besitzer zustimme, könne es sofort losgehen, Manpower und Kapital stünden bereit, drängten die Macher aus Deutschland. Das moderne Märchen müsse schleunigst in Gang kommen, sonst könnte es eng werden mit dem anvisierten Happy-end. Tatsächlich dauerte es nur wenige Tage, bis Brochner restlos begeistert war von dem Plan. Protagonist Hans wollte seinem Namensvetter aus der Fabel nicht nachstehen. Mutig willigte er ein, seinen Besitz zu tauschen gegen eine verlockende Vision, die zum damaligen Zeitpunkt allerdings nur als Computer-Simulation existierte: ein weltweit einmaliges Lifestyle-Hotel.

Per Handschlag wurde der Pakt im Dezember 2004 besiegelt. Wo sonst ganze Heerscharen von Juristen komplizierte Vertragswerke austüfteln und wochenlang um jedes Detail feilschen, begnügte man sich einfach mit dem Wort unter Partnern, denn die Zeit drängte. Das Project Fox, diese in aller Eile geschmiedete Liaison zwischen Mittelständler und Weltkonzern, konnte anrollen.

"Parkhotel in Kopenhagen verschenkt gesamtes Mobiliar an Selbstabholer"

..., lautete der Text der schlichten Anzeige, die kurz vor Weihnachten 2004 in einer Kopenhagener Tageszeitung erschien; ein unscheinbares Inserat, das bei oberflächlichem Studium fast unterging, obwohl es in Wahrheit den Start eines der wohl ehrgeizigsten Kulturprojekte markieren sollte, das jemals ein ausländisches Unternehmen in Dänemark initiiert hat.

Annähernd tausendfünfhundert Interessenten, so die Schätzung von Lokaljournalisten, stürmten daraufhin das Hotel. Diverse Radiosender warnten ihre Hörer vor einem Verkehrschaos und empfahlen allen Autofahrern eindringlich, die Gegend um den Jarmers Plads am Rande der Innenstadt möglichst weitgehend zu umfahren. Tatsächlich waren die Straßen rund um die Herberge komplett zugeparkt. Schnäppchenjäger aus halb Dänemark rafften alles zusammen, was sie nur irgendwie aus dem Haus schleppen und wegkarren konnten - vom Bett bis zum Waschbecken, vom Polstersessel bis zur Deckenlampe. Nach wenigen Stunden war das sechsstöckige Gebäude so gut wie leer geräumt.

"Ein Tohuwabohu, wie ich es noch nie erlebt hatte", erinnert sich Hans Brochner, dessen Familie noch drei weitere Hotels in Kopenhagen betreibt. "Das war der Tag, als mir klar wurde, dass es nun kein Zurück mehr gab. War das Risiko, sich auf ein Happening mit diesen ungestümen Nachwuchstalenten einzulassen, womöglich doch zu hoch? Ohne Not das ganze Inventar verschenkt, keine Gäste mehr, Mitarbeiter ohne Jobs. Und alles nur, weil ein paar Leute, die ich nie zuvor gesehen hatte, mich spontan mit ihrem Enthusiasmus angesteckt hatten. War ich nun naiv, mutig oder einfach bloß völlig verrückt?"

Indes, zum Grübeln blieb keine Zeit. Nur wenige Wochen später, im Januar 2005, übergab Hans Brochner, wie vereinbart, sein Hotel an das VW-Team: 61 Zimmer, alle leer und mit weiß getünchten Wänden. Was nun passierte, verblüffte sogar die Initiatoren: 21 Künstler oder Künstlergruppen, insgesamt 40 junge Frauen und Männer aus 13 Nationen, verwandelten den alten Beherbergungsbetrieb, ein einfaches 3-Sterne-Haus, in Rekordzeit zu einem bewohnbaren Mosaik der Moderne - voller Visionen und Träume, geheimer Wünsche und aberwitziger Fantasie.

Das einzigartige Hotel Fox nahm Gestalt an, das alte Parkhotel existierte nicht mehr.

"Jeden Tag konnten wir die enormen Fortschritte beobachten," erzählt Kim Pörksen, künstlerischer Bauleiter des Projekts, "als würde man einem knallbunten Urwald im Zeitraffer beim Wachsen zuschauen." Als sich der Dschungel lichtete, waren Erlebnisräume von fabelhafter Vielfalt entstanden, ein Mikrokosmos urbanen Zeitgeistes, ein überfälliges Attentat auf die Langeweile uniformer Herbergseinrichtungen.

Der Gast darf eintauchen in eine Welt der Poesie, die er Schritt für Schritt erkunden kann - von der luftig-eleganten Lobby im Parterre bis zu den Kemenaten im verwinkelten Dachgeschoß. Kaum hat er in seinem Zimmer den Koffer abgestellt, wird er begrüßt von zauberhaften Waldwesen, von zarten Elfen oder poppigen Geishas. Mal wacht ein König über den ruhigen Schlaf, im nächsten Raum schrecken langarmige Monster alle bösen Geister ab. Zu bestaunen sind orientalische Ornamente wie im Sultanspalast und absurde Comics aus der Schweizer Alpenwelt.

Zwischen Poesie und schrillen Rennwägen

Zwischen mexikanischen Catchertypen und mit Filzstift gemalten Rennwagen, zwischen niedlichen Puppenbildern und Pseudofachwerk lauern Möbel, die erst im kreativen Kontext ihre Wirkung entfalten: Bizarrer Trödel, blutrote Regale, schmiedeeiserne Tische, riesige Betten auf dicken Klumpfüßen, antike Kleiderschränke, Baumrinden und Äste, Kuschelkissen, raffinierte Zeichnungen und Grafikdesign vom Feinsten. Soft oder Loft - die unterschiedlichen Interieurs sprengen alle Grenzen. Jedes Zimmer ein Unikat, hinter jeder Tür ein neues Erlebnis.

Wer im Hotel Fox reserviert, bekommt mehr als Bett und Frühstück. Im Fox wird ein origineller Zeitgeist zelebriert, dem sich niemand entziehen kann. Der Gast betritt eine surreale Welt und muß - wie in einem Museum - ein ums andere Mal selbst entscheiden, was ihn fasziniert oder verstört, spontan entzückt oder emotional besonders berührt. Schöner Wohnen für Kosmopoliten. Ein Must für Young Urban Travellers, die Global Thinking live erleben wollen. Kein Logierbetrieb wie tausend andere.

In diesem Skurillitäten-Kabinett scheinen die Gesetze traditioneller Kulturkritik außer Kraft gesetzt. Erlaubt ist, was gefällt. Basta! Die ungeheure Energie der Künstler, mitunter ein mutiger Balance-Akt auf dem schmalen Grat zwischen provozierendem Underground-Kitsch und New-Wave-Kunst, dient allein dem Gast. Ihm möchte man ein Lächeln ins Gesicht zaubern, er soll eine bleibende Erinnerung an "sein Zimmer in Kopenhagen" mit nach Hause nehmen - nicht mehr und nicht weniger.

Ein abenteuerliches Konzept zur "Fox"-EInführung

Was für den Dänen als "spannendes Abenteuer mit ungewissem Ausgang" begann, ist auch für Volkswagen eine enorme Herausforderung. "Das machen wir", hatte Vorstandsvorsitzender Bernd Pischetsrieder rasch entschieden, als ihm die Pläne seiner Öffentlichkeitsarbeiter zum ersten Mal vorgestellt wurden. Der Vorschlag, mit dem Hotel-Projekt zur Fox-Einführung einen nachhaltigen Wert zu schaffen, der international Zeichen setzt und über viele Jahre hinweg seine Wirkung entfalten kann - ein Novum in der Automobilindustrie -, überzeugte ihn auf Anhieb.

Der VW-Chef will damit auch eine Chance nutzen, die bekannten Vorurteile mancher Kritiker zu widerlegen: Konzerne dieser Größenordnung, wird häufig behauptet, glichen manövrierunfähigen Riesentankern, die stur auf ihrem einmal eingeschlagenen Kurs blieben, nahezu unfähig, rechtzeitig Korrekturen vorzunehmen und flexibel auf neue Trends und Situationen zu reagieren. Neben der Unterstützung von Wissenschaft und Technik will Volkswagen auch in Sachen Kultur zunehmend Verantwortung übernehmen, versichert der VW-Chef. "Immerhin können wir schon einige Erfolge aufzeigen", so Pischetsrieder, "die Volkswagen Sound Foundation hat sich in der Szene als echter Turbolader für Musiker erwiesen, und mit dem breit gefächerten Kulturprogramm in der Autostadt ist es gelungen, neue, experimentelle Themen einem interessierten Publikum zu vermitteln, das inzwischen auch von weit her anreist." Mit dem Project Fox gehe Volkswagen jetzt noch einen Schritt weiter.

Gleichwohl, das Risiko, sich zur Markteinführung des neuen Fox mit unkonventionellen Designern, Illustratoren, Grafikern und einer wilden Clique aus der Straßenkunstszene einzulassen, die gewohnt sind, ohne jegliche Einschränkungen ans Werk zu gehen und vor keiner Provokation zurückschrecken, war den Wolfsburgern durchaus bewusst. Aber auch die jungen Künstler, denen meistens jegliche Form von Abhängigkeit zuwider ist, mussten ihre anfängliche Skepsis gegen den womöglich allzu mächtigen Multi überwinden. Kunst und Kommerz - konnte das gut gehen?

Vier Wochen für die völlige Neugestaltung

"Als die uns aufforderten, einfach unsere Ideen zu verwirklichen, mochten wir es zunächst kaum glauben", wunderte sich etwa Design-Allrounder Xavi von der spanischen Gruppe Freaklub aus Barcelona, "aber die haben wirklich Wort gehalten und sich nie in unsere Arbeit eingemischt." Und Speto, ein erfahrener Graffitti-Sprayer aus der brasilianischen Metropole Sao Paulo, versichert: "Die Angst davor, ausgebremst zu werden und Gefälligkeitsarbeit abliefern zu müssen, war schon nach dem ersten Gespräch verflogen. Die verstehen, wie wir ticken, echt cool."

Die Bereitschaft des Volkswagen-Teams, auf jedes Konzept einzugehen, hat die junge Avantgarde beeindruckt. "Wir sind zwar mit festen Vorstellungen angereist, haben dann aber vor Ort fast alles wieder geändert, weil während des Prozesses in diesem alten Haus völlig neue spannende Bilder entstanden, von denen wir uns unmittelbar inspirieren ließen", beschreiben die Mitglieder der Gruppe Viagrafik aus Wiesbaden die Entstehung ihrer Arbeit: "Da gab es überhaupt keine Probleme." - "Zumindest keine, die sich nicht irgendwie lösen ließen", verrät Koordinator Kim Pörksen, der mitten in dem kreativen Chaos nie den Überblick verlieren durfte. Seine Hauptaufgabe bestand darin, dafür zu sorgen, daß die Vorstellungen der Künstler mit den technischen Machbarkeiten der Gewerke und den praktischen Bedürfnissen eines Hotelbetriebes zu vereinbaren waren. "Unter den Beteiligten, so unterschiedlich ihr Background auch sein mag, wuchsen Freundschaften, bildeten sich neue Netzwerke", beobachtete Pörksen: "40 Menschen, 13 Nationen, 61 Visionen und ein gemeinsamer Nenner: in nur vier Wochen das tollste Hotel der Welt zu gestalten."

Marketing-Szene: Neuer, geradezu genialer Wurf

Das Volkswagen-Projekt in der dänischen Hauptstadt hat längst für Aufsehen gesorgt. In der Marketing-Szene wird das gesamte Project FOX als ein neuer, geradezu genialer Wurf bewertet, der Volkswagen gleich zweierlei sichert: Der neue Fox wird schon zum Start als ein junges, flexibles Fahrzeug wahrgenommen. Und schließlich profitiert die Marke Volkswagen. Sie wird bei den Kunden als frische und vor allem mutige Marke wahrgenommen, die sich zudem noch für junge Menschen engagiert.

Und Hotelier Brochner? Er wird von vielen Kollegen in Kopenhagen beneidet. "Es ist alles noch viel spektakulärer geworden, als ich es mir vorstellen konnte", strahlt er. Denn vom 25. April an, wenn die Einführung des munteren neuen Kleinwagen Fox abgeschlossen ist, wird das Hotel Fox seinen Betrieb aufnehmen. (ots/red)