Pita Limjaroenrat zeigt es an, seine Fast-Forward-Party ist Erster geworden. Ob er aber auch Regierungschef wird, ist unklar.

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Rund 52 Millionen Wahlberechtigte waren am Sonntag in Thailand zu den Urnen gerufen worden, um über die Besetzung des Parlaments abzustimmen. Die Wahl wurde mit Spannung erwartet, war sie doch einerseits das erste Votum seit den Demokratieprotesten im Jahr 2020, andererseits sahen alle Umfragen die prodemokratischen Oppositionsparteien in Front. So kam es schließlich auch, doch das bedeutet im südostasiatischen Land nicht automatisch einen Machtwechsel, da hier das Militär ein gewichtiges Wort mitzureden hat. DER STANDARD beantwortet die wichtigsten Fragen zum Wahlergebnis.

Frage: Wie ist die politische Grundkonstellation in Thailand?

Antwort: In der konstitutionellen Monarchie ist grundsätzlich ein wirtschaftliches und politisches System etabliert, das aus drei wichtigen Gruppierungen besteht: das mächtige Militär, das einflussreiche Königshaus und das eine Prozent der 72-Millionen-Bevölkerung, das etwa zwei Drittel des Vermögens im Land besitzt. Seit dem Ende der absoluten Monarchie 1932 gab es zwölf erfolgreiche Staatsstreiche im Land. Zuletzt hat das Militär 2014 erfolgreich geputscht und durch eine selbstformulierte Verfassung dafür gesorgt, dass sein Einfluss dauerhaft bleibt.

Gegen die Macht dieser Gruppierungen sind vorwiegend junge Menschen 2020 in Massen auf die Straßen gegangen. Sie forderten unter anderem weniger Militär und mehr Demokratie, weniger Monarchie und mehr Menschenrechte. Doch hat sich bis heute nichts am politischen System geändert.

Frage: Wie hat sich das auf das aktuelle vorläufige Wahlergebnis ausgewirkt?

Antwort: Nach Auszählung von etwa 99 Prozent der abgegebenen Stimmen hat die progressive Move-Forward-Partei des 42-jährigen Harvard-Absolventen Pita Limjaroenrat die Wahl gewonnen und mit Stand Montagmorgen 151 Sitze im 500-köpfigen Parlament erobert. Zweiter wurde die in Umfragen noch führende populistische Pheu-Thai-Partei (PTP) der 36-jährigen Paetongtarn Shinawatra, Tochter des 2006 gestürzten und seitdem im Exil lebenden Ex-Premiers Thaksin Shinawatra. Die PTP erhält 141 Parlamentssitze. Somit liegen zwei oppositionelle, prodemokratische Parteien in Führung, die ähnliche Ziele haben wie die Protestbewegung von 2020. Einige der Kandidaten und Kandidatinnen von Move Forward hatten vor drei Jahren die Demonstrationen angeführt.

Die Koalition von Premier Prayut Chan-o-cha erlitt drastische Verluste. Der einstige Oberkommandierende des thailändischen Heeres hatte sich 2014 an die Macht geputscht.

Die Wahlbeteiligung war mit mehr als 75 Prozent außergewöhnlich hoch. 100 Sitze werden nach Verhältniswahlrecht verteilt, die offiziellen Zahlen zur Sitzverteilung sollen jedoch erst in mehreren Wochen veröffentlicht werden. Deshalb könnte es auch Wochen oder gar Monate dauern, bis die Entscheidung über eine neue Regierung gefallen ist. Die Wahlkommission muss das offizielle Endergebnis innerhalb von 60 Tagen bekanntgeben.

Frage: Wie ist das Wahlergebnis einzuschätzen?

Antwort: Beobachter sprechen von einem politischen Erdbeben in Thailand. "Das Ergebnis zeigt, dass sich viel mehr Menschen als gedacht einen Wandel im Land wünschen", sagte etwa der Politologe Prajak Kongkirati von der Bangkoker Thammasat-Universität der BBC. In sozialen Medien wird der Beginn eines neuen Zeitalters für das Land gefeiert.

Frage: Kommt es wirklich zu einem politischen Wandel?

Antwort: Der jubelnde Wahlsieger Pita erklärte, er sei bereit, der 30. Premierminister des Landes zu werden. "Wir haben dieselben Hoffnungen und Träume. Zusammen können wir unser geliebtes Thailand besser machen. Wandel ist möglich, wenn wir heute mit der Arbeit beginnen", twitterte er. Er stellte eine Koalition mit der zweitplatzierten PTP in Aussicht. In einem normalen parlamentarischen Regierungssystem hätten sie dafür auch die notwendige Mehrheit.

Frage: Aber?

Antwort: 2017 setzte das Militär eine neue Verfassung durch, laut der der Regierungschef oder die Regierungschefin nicht mehr allein von den 500 Abgeordneten des Repräsentantenhauses ernannt wird, sondern auch von 250 vom Militär bestimmten Senatoren im parlamentarischen Oberhaus. Das bedeutet, man benötigt nicht 251, sondern 376 Stimmen für eine Regierungsmehrheit. Und das bedeutet auch, dass sowohl die beiden prodemokratischen Wahlsieger als auch Premier Prayut trotz der 250 Senatoren einen weiteren Koalitionspartner benötigen. Deshalb lud Pita die anderen Oppositionsparteien ein, sich an einer Allianz gegen Prayut zu beteiligen. Dieser übrigens benötigte schon nach der Wahl 2019 die Unterstützung des Militärs, um sich im Amt zu halten.

Die populistische Bhumjaithai-Partei hat als drittstärkste Kraft 70 Sitze erobert, mit ihr und noch einigen Kleinparteien könnten die beiden Wahlsieger an die 376 Stimmen kommen. Allerdings halten es Experten für möglich, dass das Militär in diesem Fall einschreitet, um weiterhin den Premier zu stellen.

Ein erneuter Putsch gilt als unwahrscheinlich, doch könnte sich Ähnliches ereignen wie nach der Wahl 2019. Die Vorgängerpartei des Wahlsiegers Move Forward, Future Forward, wurde nach einem überraschend starken Wahlergebnis wegen einer Kleinigkeit verboten und eine mögliche Koalition gegen Prayut so gesprengt. Dies hat, um zum Anfang zurückzukommen, 2020 zu den prodemokratischen Massenprotesten geführt. (Kim Son Hoang, 15.5.2023)