Mit der Stimme kann sich das kranke Kind bemerkbar machen – im Unterricht aufgezeigt wird via grünes Lichtsignal.

Foto: Estera Kluczenko

Der kleine Roboter lächelt. Zumindest will man das von den digitalen Augen mit ihrer sichelartigen Mondform ablesen. Statt des nett dreinschauenden Roboters sollte eigentlich ein kleines Mädchen in der Schulklasse 4A sitzen, aber das Mädchen ist krank. Sehr krank. Die Schule zu besuchen ist für sie seit Wochen nicht möglich, weshalb der kleine Roboter sie vertritt und gleichzeitig als Kommunikationsmöglichkeit mit Lehrerinnen und vor allem Mitschülern dient.

Rund 17.000 Kinder in Österreich sind pro Jahr über einen längeren Zeitraum aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, die Schule zu besuchen, ließ Jakob Calice, Geschäftsführer der Innovationsstiftung für Bildung, bereits vor zwei Jahren wissen. Neben den dadurch entstehenden schulischen Defiziten sei auch die soziale Isolation ein Thema bei dieser Zielgruppe, so Calice. Der sogenannte Avatar soll hier Abhilfe schaffen und das Leid zumindest lindern.

Simple Idee

Die Avatare für Kinder und Jugendliche sind seit zweieinhalb Jahren verfügbar, aber kaum jemand kennt sie. Hinter den kleinen Robotern steht das norwegische Tech-Unternehmen No Isolation. Den Vertrieb in Österreich hat die Beratungs- und Weiterbildungsfirma Die Berater übernommen, ein Unternehmen, das seit über 20 Jahren im Bildungssektor aktiv ist und zum Beispiel mit dem Jugendcollege des AMS Wien, Boysday Österreich und dem ECDL-Projekt für krebskranke Kinder und Jugendliche zusammenarbeitet.

Die Idee hinter dem Projekt ist einfach. Die sogenannten Telepräsenzroboter werden zusammen mit einem Tablet an ein Kind oder einen Jugendlichen übergeben. Das Tablet bleibt im Besitz des Betroffenen, der aus welchen Gründen auch immer, zum Beispiel im Krankenhaus liegt oder für eine bestimmte Zeit nicht das eigene Bett verlassen kann. Den Avatar nimmt dann eine Schulkollegin mit in die Klasse und stellt diesen dann auf den Platz der Fehlenden.

Via Tablet sieht das Kind von seinem Bett aus den Klassenraum und kann den Kopf horizontal und vertikal bewegen und mit vier unterschiedlichen Reaktionen Gefühle wie ein Lächeln oder Traurigkeit darstellen. Für den Unterricht wertvoller ist die Funktion "Aufzeigen", mit der sich das Kind aktiv melden kann. Durch das grüne Aufleuchten des Roboterkopfes wird auch in der Klasse signalisiert, dass das Kind etwas sagen möchte, was es dank der eingebauten Mikrofone und Lautsprecher auch kann.

In der Theorie kann das kranke Kind so auch auf Tagesausflüge oder zu einem Nachmittagskaffee mitgenommen werden. Der Akku hält in etwa acht Stunden, verbunden sein muss der Roboter mit dem Internet, um mit dem Tablet kommunizieren zu können.

Technische Umsetzung

Der Roboter misst 27 x 17,5 x 13,5 Zentimeter und ist 1,57 Kilogramm schwer. Mit der Hardware mitgeliefert wird eine SIM-Karte von A1, die sich via UMTS oder LTE mit dem Internet verbinden kann. Alternativ kann auch die WLAN-Funktionalität des Avatars genutzt werden, beispielsweise wenn man an einem Ort mit schlechtem Funksignal ist.

Auf dem ebenfalls im Lieferumfang enthaltenen Tablet findet sich die Avatar-App. Die Nutzerinnen und Nutzer können durch das Mikrofon des Avatars hören, durch die Kamera des Avatars sehen und durch den Lautsprecher des Avatars sprechen. Die Bewegungen des Avatars können durch Wischen auf dem Bildschirm gesteuert werden. Außerdem gibt es vier Lautstärken: stumm, flüstern, normal und laut.

Ein Bild des Kindes wird laut Die Berater absichtlich nicht mitgeliefert, da "chronische Erkrankungen oftmals auch mit einem veränderten Erscheinungsbild einhergehen". Generell ist Datenschutz ein großes Thema in diesem heiklen Gebiet. Deshalb wird bei dem Produkt prominent mit der vorhandenen DSGVO-Einhaltung geworben. Daten würden nur anonym an den Hersteller gehen, um Fehler zu beheben und mittelfristige Verbesserungen zu ermöglichen. Der Roboter nimmt das gesehene Bild nie auf, sondern streamt nur live. Aufnahmen sind mit dem Tablet nicht möglich. Sollte jemand versuchen, einen Screenshot zu machen oder mit einem installierten Programm aufzunehmen, wird das Tablet unbenutzbar und muss zum Neustart an die Vertriebsfirma Die Berater zurückgegeben werden.

Das geschieht laut Projektleiterin Laura Reiterer ohne große Verzögerung, da man in allen Bundesländern vertreten sei und sowohl Tablets schnell neu aufsetzen sowie beschädigte Avatare schnell austauschen könne.

Im Unterricht soll das kranke Kind Teil der Gruppe sein – zuvor wird mit allen betroffenen Eltern geklärt, ob es irgendwelche Bedenken gegenüber dem Avatar gibt.
Foto: Estera Kluczenko

Einverständniserklärung

Wer schon einmal versucht hat, in einer Schulklasse ohne Einwilligung der Eltern zu fotografieren, wird wissen, dass das rechtlich schwierig ist. Auch der Avatar kann nicht einfach in ein Klassenzimmer gestellt werden, ohne dass davor einige Hürden übersprungen werden. Bevor allerdings das Gerät das erste Mal in einem Klassenzimmer stehen kann, muss zunächst das Lehrpersonal und die Direktorin von dem Vorhaben überzeugt werden. Danach benötigt man die Einwilligung der anderen Eltern. Erst dann darf der Roboter das Klassenzimmer betreten oder auf Schulausflüge mitgenommen werden.

Kosten und Verbreitung

Nun warten mit einem chronisch kranken Kind ausreichend Kosten auf die Erziehungsberechtigten, weshalb sich schnell die Frage nach den damit verbundenen Kosten stellt. Laut Die Berater werden diese zu etwa 50 Prozent vom Vertrieb übernommen, und die andere Hälfte wird durch Sponsoren finanziert. Die Erziehungsberechtigten tragen somit keine Kosten. Auch Schulen können, sofern sie von einem betroffenen Kind wissen, diese Sponsorrolle übernehmen.

Nach einem Avatar erkundigen kann man sich, sollte man ein Kind mit Langzeitbeschwerden haben. Meist ist man in solchen Fällen ohnehin schon in Kontakt mit einem Krankenhaus oder einer passenden Einrichtung. So wird zeitnah geprüft, ob das Kind tatsächlich rund sechs Wochen nicht in die Schule gehen konnte. Nach einem finalen Check des Gesundheitsbildes – auch bei psychischen Erkrankungen – sollte es zu einer Übergabe eines Avatars kommen.

Im onkologischen Bereich und in auf Long-Covid-spezialisierten Einrichtungen werde der Avatar bereits als mögliche Hilfestellung aktiv kommuniziert, sagt Reiterer, bei anderen Einrichtungen geschehe die Verbreitung bisher vor allem durch Mundpropaganda.

Langfristig

Die Avatare sind Teil eines dreijährigen Forschungsprojekts der Med-Uni Wien, der Uni Klagenfurt, der Heilstättenschule und dem privaten Bildungsträger Die Berater. Untersucht werden unter anderem die Auswirkungen der kleinen Roboter auf die Patienten und wie das Umfeld des Kindes den Umgang mit dem Avatar empfindet.

Laut Reiterer wurden Avatare seit Projektbeginn für 116 Kinder und Jugendliche ermöglicht, 51 davon haben ihre Begleitung mit dem kleinen Roboter bereits erfolgreich abgeschlossen. Das angepeilte Ziel, rund 10.000 Kinder mit dieser Hilfestellung zu versorgen, scheint aktuell noch in weiter Ferne. "Der zentrale Erfolg des Projekts liegt darin, betroffenen Kindern durch den Avatar-Einsatz ein Stück Kindheit zurückzugeben und einen wichtigen Schritt gegen die Isolation zu setzen", sagt Reiterer. Dazu braucht es allerdings weiterhin Unterstützung und vor allem Sponsoren. An Fällen würde es künftig in jedem Fall nicht mangeln. Am häufigsten zum Einsatz kommt der Avatar derzeit neben Herzkrankheiten und Krebs bei Long-Covid-Folgen. (Alexander Amon, 30.4.2023)