"Der Krieg kam zu mir nach Hause": Journalistinnen und Journalisten berichten über ihre Arbeit in Mariupol beim Journalismusfestival in Perugia 2023.

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Wo liegt die Zukunft des Journalismus – zwischen Künstlicher Intelligenz und Tiktok als Recherchetool, zwischen Newsvermeidung und investigativem Journalismus, zwischen Diversität im Newsroom und Kriegsberichterstattung? Hunderte Journalisten und Medienmanagerinnen, Wissenschafterinnen und Tech-Experten, umreißen noch bis Sonntag in Perugia (Umbrien) die Lage und den Ausblick der Branche. Hier finden Sie 10 Highlights – auch zum Nachsehen.

  • Für den STANDARD berichten im Rahmen einer Lehrveranstaltung sechs Studierende des Studienbereichs für Journalismus und Medienmanagement an der FH Wien der WKW über das Journalismusfestival 2023 in Perugia. Ihre Beiträge veröffentlichen wir in den nächsten Tagen auf derStandard.at/Etat.
  • Die hier eingebundenen Videos werden vom Journalismusfestival Perugia produziert und enthalten teilweise Werbetrailer etwa für Tourismus in Umbrien oder Sponsoren wie Google.

1. "Der Krieg kam zu mir nach Hause": Berichten aus Mariupol

Vasilisa Stepanenko, Videojournalistin für die Nachrichtenagentur Associated Press (AP), berichtete in Perugia mit Mystyslav Chernov, wie sie in Mariupul über den Krieg berichten. "Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich eine Kriegsreporterin werde", sagt Stepanenko. "Aber der Krieg kam zu mir nach Hause. Also ist es meine Aufgabe, der Welt die Wahrheit zu zeigen" über den Krieg in der Ukraine.

"Wenn mir etwas zustößt, dann habe ich zumindest getan, was zu tun war. Es wurde zur wichtigsten Aufgabe meines Lebens, zu zeigen, was mit den Menschen dort passiert. Das ist mein Job, solange die Menschen die Informationen brauchen", sagt sie unter Applaus.

International Journalism Festival

2. Frühwarnsystem für Angriffe auf Journalistinnen

Diana Maynard entwickelt an der Universität Sheffield mit dem International Center for Journalists (ICF) ein Frühwarnsystem, um Cyberangriffe auf Journalistinnen via Twitter zu dokumentieren – eindrucksvoll, wie ein erster Blick auf das Dashboard beim Journalismusfestival zeigte, gegen Jahresende soll es verfügbar sein.

Weit eindrucksvoller als die erschreckenden Daten aber schilderten Rana Ayyub ("Washington Post") und die irische Investigativjournalistin Patricia Devlin auf dem Podium, wie sie wegen ihrer Arbeit persönlich bedroht und angegriffen wurden.

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3. Das Recht als Waffe gegen Journalismus – und wie man sich dagegen wehrt

Matthew Caruana Galiza ist der Sohn der wegen ihrer Enthüllungen 2017 mit einer Autobombe ermordeten maltesischen Aufdeckjournalistin Daphne Caruana Galizia. Beim Journalismusfestival diskutierte er diesmal über "Lawfare" mit – das Recht als Waffe gegen Journalistinnen und Journalisten, und wie man sich dagegen wehren kann.

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4. Die Spur des Öls, den Treibstoff von Wladimir Putins Krieg

Die Spur des Öls, das Wladimir Putins Krieg in der Ukraine finanziert, zeichnete Samstagvormittag ein Panel mit Frederik Obermaier nach, der mit Bastian Obermayer die auf internationale Investigativrecherchen spezialisierte Paper Trail Media gegründet hat und auch für den STANDARD arbeitet.

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5. Investigativrecherche via Tiktok

Wie Tiktok als Recherchetool dienen kann, zeigte Sophia Smith Galer von Vice World News in Perugia. Die frühere BBC-Reporterin nutzte die Videoplattform, um Betroffene zu finden und zu berichten, dass das britische Gesundheitssystem Jungfrauen eine Untersuchung verweigert. – Eine Story, die ihre Newsrooms nicht berichtenswert fanden, aber via Tiktok großes Interesse gefunden habe.

Bei einem Podium über Tiktok und Journalismus durfte naturgemäß auch Dave Jorgenson von der "Washington Post" nicht fehlen – mit einigen Beispielen, wie er auf der Plattform Journalismus betreibt oder jedenfalls Interesse daran weckt.

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6. Journalismus auf Youtube

Wie man in ausführlichen, aber sehr anschaulich kurzweiligen Youtube-Videos Journalismus machen kann, zeigt Johnny Harris. In Perugia berichten er und etwa Videojournalistin Cleo Abram über ihre Arbeit

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7. Künstliche Intelligenz im Journalismus

"Ich glaube fast nichts mehr, was ich sehe": So pointiert beschreibt Shazna Nessa, Global Head of Visuals beim "Wall Street Journal" die Konsequenzen von Künstlicher Intelligenz für die Bilderwelt bei einem Panel über Transparenz im Journalismus als Schlüssel zu Glaubwürdigkeit und Vertrauen.

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Wie lässt sich künstliche Intelligenz verantwortungsvoll und sicher im Journalismus einsetzen? Ein Verleger hat Charlie Beckett , der den Journalismusthinktank Polis an der London School of Economics leitet, vorige Woche eine perfekte Anwendung für ChatGPT und Co anvertraut: "Das Horoskop, da kann man nichts falsch machen."

Transkripte kann man getrost der KI überlassen, Korrekturlesen, vielleicht Headlines ausprobieren, für nüchterene Quartalsberichte von Unternehmen oder Sportmeldungen aus Zahlen Text bauen lassen, wie es die AP laut Managerin Lisa Gibbs etwa seit 2014 tut. Aber: "Beim 'Guardian' ist immer ein Mensch im Prozess", sagt Chris Moran, Head of Editorial Innovation beim britischen Qualitätsmedium.

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Das wohl spannendste Podium folgte am Samstag – mit der Frage: "Gibt AI den Tech-Giganten noch mehr Kontrolle über Newsrooms?

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8. Der Stoff, aus dem die Künstliche Intelligenz ist – die nächste Frage des Geldes

Was ist neu an ChatGPT und Co? Lisa Gibbs sagte es schon beim Panel zur Künstlichen Intellligenz: "Jetzt sind die Rechtsanwälte im Spiel." Denn: ChatGPT wurde womöglich nicht ganz zufällig mit Material aus dem Netz bis 2021 trainiert. Wieviel Material etwa von der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) im Wissen dieser KI steckt, "das hat uns doch überrascht", sagt AP-President und CEO Daisy Veerasingham. Und über Mediencontent insgesamt konstatiert sie: "Unsere Inhalte machen die KI smarter, machen sie erst in dieser Form möglich."

Da steht die Medienbranche vor der nächsten Abgeltungsfrage nach Leistungsschutz für die Verwertung in Suche und Social Media: "Da geht es um die Monetarisierung mit Werbung, Suche – wir brauchen das Geld, um unsere journalistische Arbeit zu machen."

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Alphabet mit Google und Youtube, Meta mit Facebook, Instagram und Whatsapp haben die weltgrößten Werbeumsätze mit Suche und Social – vielfach mehr als die größten klassischen Medienunternehmen, die mit Werbung Inhalte finanzieren. Und angesichts der Tech-Dominanz immer schwieriger finanzieren können.

Ein Panel schilderte den Stand von staatlichen Vorgaben für Leistungsabgeltungen der Tech-Konzerne an Medien – ausgehend von Australien, das diese Abgeltung über das Wettbewerbsrecht erzwungen hat.

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9. Immer neue Levels der Diversität – "wie bei Mario Bros."

Nachholbedarf in Diversität in Redaktionen und Medienunternehmen dokumentierte eine Reihe von Panels beim Journalismusfestival. Und selbst wenn bei AP laut CEO Daisy Veerasingham 70 Prozent der Führungskräfte Frauen sind: "Mit der Diversität ist es wie bei Mario Bros.", sagt Paul Cheung, CEO des The Center for Public Integrity und selbst Kind von Einwanderern aus sehr einfachen Verhältnissen, beim Panel über "A New Class of CEOs" (oben): "Wenn man Level 1 der Diversität erreicht hat und ein ausgewogenes Verhältnis von Geschlechtern, dann kommt Level zwei mit Klasse, Bezahlung, dann Level drei... das ist eine endlose Aufgabe, eine Reise."

10. Die Grundlage für alles

Worum geht es letztlich (am Ende klingt dann doch etwas endgültig)?Alessandra Galloni, Chefredakteurin der globalen Nachrichtenagentur Reuters, wird gegen Ende ihres Talks über den Einsatz von KI seit den 1990ern und die Bedeutung von unmittelbarer Beobachtung vor Ort noch einmal grundsätzlich: "Ich denke, zu berichten, Fakten herauszufinden, die Wahrheit herauszufinden und offenzulegen wie man diese Wahrheit herausgefunden hat, ist noch immer die Grundlage für alles." Applaus.

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(fid, 22.4.2023)