Freunde hat er keine: "Seneca" mit John Malkovich erzählt von den letzten Stunden des antiken Philosophen.

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Theater und Film sind wie Kain und Abel. Neid in Bezug auf die Augen und Ohren des Publikums lassen sie oft ihre Gemeinsamkeiten vergessen. Doch wenn sich die beiden Kunstgeschwister versöhnen sollen, gibt es wenig Berufenere als John Malkovich. Der spielt in Seneca den Philosophen. Und zwar in einem Film, der zunächst viel Theaterhaftes an sich hat. Nun trifft das auf so einige unter den Corona-Schutzmaßnahmen gedrehte Projekte zu, die mal kreativer und mal einfallsloser mit den Limitierungen umgingen.

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Der deutsche Regisseur Robert Schwentke legt nun eine durchaus konsequent reduzierte Geschichte vor. Seneca erzählt von den letzten Stunden im Leben der Titelfigur. Der ehemalige "Ghostwriter und Spindoktor" des jungen Kaiser Nero bekommt von diesem ein Todesurteil zugestellt. Ihm bleibt nur der Philosophensuizid, sonst übernimmt in der Früh ein Zenturio. Und der lässt sich nicht von stoischer Philosophie und schönen Worten überzeugen. Die Rhetorik hat Seneca als Business perfektioniert, hat sie ihn doch zu einem der reichsten Männer Roms gemacht.

Vom vielen Wasser-Predigen ist der Narzisst ganz betrunken. Doch was zählt, sind die Taten – oder im Film eben die Bilder. Auch davon erzählt Schwentke. "Seneca hat mir als Philosoph nie viel bedeutet. Er ist mehr ein Life-Coach. Heute hätte er eine Fernsehshow", sagt Robert Schwentke über seinen Antihelden. Vielleicht auch einen Plapper-Podcast mit anderen eitlen Männern seines Schlages. Inhaltlich bleibt Seneca durchaus nahe an seiner 2000 Jahre alten Vorlage.

Antike "aggressiv modernisiert"

Die vielen Worte, die das Drehbuch Malkovich in den Mund legt, entstammen großteils den antiken Schriften von und über Lucius Annaeus Seneca. Doch zusammen mit Koautor Matthew Wilder hat Schwentke sie "aggressiv modernisiert". Der dialog- bzw. monologlastige Film geht also gut ins Ohr. Vor allem auch, weil er in satirischer Distanz zu seiner Figur steht. Gerade die unermüdlichen Reden Senecas entlarven ihn im Lauf des Films immer mehr als Dampfplauderer. Sie können ihn nicht vor dem Tod retten, und dennoch kann der alte Mann es nicht lassen, immer aufs Neue ein Stück aus seinem eigenen Sterben zu drechseln. Sein letzter Wunsch ist die Unsterblichkeit als intellektueller Promi.

"Mich fasziniert an Seneca, dass er so sehr den heutigen Eliten ähnelt, die nicht in der Lage sind, die wiederauferstandenen Barbaren dieser Welt zu bekämpfen", gibt sich der Regisseur politisch. "Jeder Ort, an dem dieser Nationalismus erneut auferstanden ist, hat diese impotente, selbstbewusste Elite, die von ihm überrumpelt wird." In Hollywood drehte Schwentke respektable Genrestreifen wie Flightplan,The Time Traveler’s Wife oder R.E.D. mit John Malkovich. Seneca mit dem kryptischen Untertitel On the Creation of Earthquakes ist als bitterböse Abrechnung auch ein Gegenstück zu Schwentkes provokanter Weltkriegsfarce Der Hauptmann (2017). Anders als in deren großartiger Schlusssequenz tritt die Gegenwart in Seneca nicht gar so deutlich an die Oberfläche. Das anachronistische Spiel übertreibt die Parallelen zu zeitgenössischen Despoten nicht, auch wenn immer wieder von "Präsident Nero" die Rede ist.

Todesurteil beim Gelage

Innerhalb der Geschichte besteht das Publikum Senecas aus ein paar wenigen Menschen, die er für ein Gelage versammelt hat, als ihn das Todesurteil erreicht. Freunde hat er im Grunde keine. Das Ensemble, das der Film rund um John Malkovichs One-Man-Show aufbietet, sorgt dafür, dass der Star mit seiner Witzfigur nicht im satirischen Regen steht. Die 78-jährige legendäre Geraldine Chaplin verkörpert die alte Bekannte Lucia. Netflix-Star Louis Hofmann den jungen Schreiber Lucilius. Die Volksbühne-Darstellerin Lilith Stangenberg gibt dem undankbaren Part der ergebenen Ehefrau Paulina Charisma. Für die Konzeption der Seneca-Tragödie Thyestes als Mini-Stück im Film zeichnet gar der angesagte Regietheatermacher Ersan Mondtag verantwortlich.

Seneca gibt dem Theaterliebhaber John Malkovich eine filmische Bühne. Dabei kann sich Schwentke zwar nicht ganz vom Drehbuchtext seines Lehrstücks lösen. Starke Bilder und einen bösen Schmäh hat seine philosophische Satire aber durchaus. (Marian Wilhelm, 6.4.2023)