Jakov Milatović übernimmt als relativ unbeschriebenes Blatt das Amt des montenegrinischen Präsidenten.

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Milo Ðukanović, der dienstälteste Staatschef Europas, hat am Sonntag die Präsidentschaftswahl gegen den 36-jährigen Kandidaten der Bewegung Europa jetzt, Jakov Milatović, verloren. In der Stichwahl bekam Milatović über 60 Prozent der Stimmen, die Wahlbeteiligung lag bei 70,7 Prozent. Etwa 542.000 Bürgerinnen und Bürger waren wahlberechtigt, Montenegro hat rund 620.000 Einwohner.

"Montenegro hat sich entschieden, und ich respektiere diese Entscheidung. Ich wünsche Milatović, dass er ein erfolgreicher Präsident wird und dass Montenegro weiterhin ein erfolgreiches Land bleibt", sagte Ðukanović nach seiner Niederlage. Er war seit 1991 fast durchgehend entweder als Regierungs- oder Staatschef an der Macht, seine Partei der Demokratischen Sozialisten (DPS) verliert bereits seit 2020 die Wahlen. Der Niedergang der Partei setzte sich bei den Lokalwahlen im Oktober fort, als sie die Kontrolle über zehn von 14 Gemeinden verlor, darunter die Hauptstadt Podgorica.

Drei Gruppen

In Podgorica war bereits im Herbst Milatović das Gesicht der aufsteigenden Opposition. Er wurde von zwei anderen Kandidaten aus dem ersten Wahlgang am 19. März unterstützt, von Andrija Mandić, dem Vorsitzenden der proserbischen Demokratischen Front, und von Aleksa Bečić von der Partei Demokratisches Montenegro. Die montenegrinische Gesellschaft ist gegenwärtig in drei große Gruppen geteilt, den proserbischen und prorussischen Block, den zentralistischen-bürgerlichen Block, zu dem sich Milatović zählt, und die Anhänger der DPS von Ðukanović.

Milatović begann sein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Podgorica. Als Stipendiat der US-Regierung verbrachte er auch ein Jahr an der Illinois State University. Außerdem absolvierte er ein Semester an der Wirtschaftsuniversität Wien als Stipendiat der österreichischen Regierung. Die Europäische Kommission ermöglichte ihm ein Studienjahr an der Universität Rom. Schließlich erwarb er einen Abschluss in Oxford.

Mindestlohn angehoben

Er sammelte erste Berufserfahrung bei der Nova Ljubljanska Banka, arbeitete dann für die Deutsche Bank in Frankfurt und später für die Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD). Unter der Regierung von Zdravko Krivokapić wurde Milatović im Jahr 2020 schließlich Minister für wirtschaftliche Entwicklung.

Zu den Erfolgen der sehr heterogenen Koalition, die bald zerfiel, gehörte die Anhebung des Mindestlohns von 220 Euro auf über 400 Euro. Milatović versprach auch im Wahlkampf die Anhebung der Einkommen. Er präsentierte sich zudem als Kandidat des Wandels und verkündete: "Lasst uns Ðukanović in die Geschichte schicken." Er gründete zusammen mit Milojko Spajić, dem Finanzminister der früheren Regierung, im Vorjahr die Europa-Jetzt-Bewegung, die er als "Partei der Mitte" definiert.

Unterstützung der serbisch-orthodoxen Kirche

"Dies ist ein Sieg für ganz Montenegro, für diejenigen, die diskriminiert wurden, deren Kinder hungerten, die keine Gerechtigkeit hatten, die arm waren. Dies ist ein gemeinsamer Sieg eines schönen, besseren, gerechteren und gleichberechtigteren Montenegros", sagte Milatović. Der Politiker ist mit Milena Milatović verheiratet und hat drei Kinder – die Töchter Sara und Ana und den Sohn David. Er spricht Englisch, Italienisch und Spanisch.

Für Stirnrunzeln in westlichen Kreisen sorgte im Wahlkampf nicht er selbst als vielmehr seine Unterstützer. Darunter waren rechtsextreme serbische Nationalisten wie Vojislav Šešelj und andere Tschetniks und die politisch agierende serbisch-orthodoxe Kirche, die vom Säkularismus weiter entfernt ist als jede andere religiöse Organisation auf dem Balkan.

Rechtsstaatlichkeit gefordert

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Milatović wird auch von sehr europäisch orientierten Reformkräften in Montenegro unterstützt. Sie hoffen, dass nach der Ära Ðukanović in Montenegro endlich das organisierte Verbrechen bekämpft und so etwas wie Rechtsstaatlichkeit durch Justizreformen eingeführt werden kann.

In dieser Hinsicht bedeutet der Wechsel an der montenegrinischen Staatsspitze eine echte Chance für einen tiefgreifenden Wandel, der allerdings sehr schwierig werden wird. Denn der Widerstand in der Verwaltung und in der Justiz wird groß sein, wenn es darum geht, mit korrupten Praktiken, alten Seilschaften und Vorteilen für gewisse Gruppen und Familien aufzuräumen.

Serbische Welt

Die organisierte Kriminalität in Montenegro schreckt zudem auch nicht vor extremer Gewalt zurück. Die Drogen-Mafia-Clans in der Nähe von Kotor sind dafür bekannt, dass sie ihre Mitglieder wechselseitig erschießen. Schließlich geht es um viel Geld, und vom Kokaingeschäft haben in Montenegro in den vergangenen Jahren viele profitiert.

Offen ist, wie Milatović sich geopolitisch positionieren wird. Denn zu seinen Wählern gehören sowohl prowestliche Kräfte als auch Leute, die den Kreml und das Regime des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić unterstützen. Manche Analysten befürchten, dass mit Milatović auch die politische Idee einer "Serbischen Welt", wie sie von Nationalisten in Serbien verfolgt wird, gestärkt wird. Mit dieser "Serbischen Welt" soll analog zu Putins "Russischer Welt" die Einflusszone Serbiens auf die Nachbarstaaten Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Kosovo und Nordmazedonien vergrößert werden.

Akzeptanz für alle Kirchen

Der serbische Präsident Vučić gratulierte Jakov Milatović zu seinem Sieg, "in der Überzeugung, dass Sie den festen Willen zeigen werden, den Bürgern Montenegros ein Leben in Frieden und Fortschritt zu sichern". Milatović hatte vor der Wahl gesagt, dass er "die besten Beziehungen zu Serbien" und anderen Nachbarländern aufbauen wolle, dass er in der serbisch-orthodoxen Kirche getauft worden sei, aber auch, dass er alle anderen religiösen Organisationen respektiere, einschließlich der montenegrinisch-orthodoxen Kirche, die von Ðukanović unterstützt wird.

"Ich denke, ich sollte der Präsident der Gläubigen, Ungläubigen und Agnostiker sein, und das werde ich auch sein", sagte der kommende Staatschef. "Meine religiöse Beziehung ist meine innere Angelegenheit." Als Milatović von dem Journalisten gefragt wurde, war er dazu sage, dass er vom Präsidenten der Serbischen Radikalen Partei (SRS), Vojislav Šešelj, unterstützt werde, sagte er, dass er und Šešelj einander noch nie getroffen hätten. "Wir sind Vertreter ganz unterschiedlicher Welt- und Lebensanschauungen."

Open Balkan

Offensichtlich ist Milatović aber für das Projekt Open Balkan, das der serbische Präsident Aleksandar Vučić mit seinem Freund, dem albanischen Premier Edi Rama, und mit der Unterstützung des Sohnes von George Soros, Alexander Soros, gestartet hat. Im Rahmen von Open Balkan sollen die Zollformalitäten an den Grenzen vereinfacht werden und wechselseitig Diplome anerkennt werden. Wer aber tatsächlich – etwa zwischen Serbien und Nordmazedonien – über die Grenze fährt, kann erleben, dass man auch in der Autoschlange, über der das Schild "Open Balkan" hängt, warten muss.

Open Balkan gilt zudem als Konkurrenzprojekt zum deutschen Berlin-Prozess, bei dem es darum geht, dass EU-Standards an den Grenzen eingeführt werden. Experten kritisieren, dass die Open-Balkan-"Standards" die EU-Standards unterlaufen und dass das Projekt Open Balkan von Vučić und Rama als ihre eigene Leistung verkauft wird, tatsächlich aber ein PR-Coup mit wenig Inhalt ist, während die Verbesserungen tatsächlich durch EU-Initiativen und mit EU-Geldern ermöglicht werden.

Wartezeit an der Grenze

Bisher sind Serbien, Nordmazedonien und Albanien Teil des Projekts. Der scheidende montenegrinische Premier Dritan Abazović hat sich aber zuletzt von Vučić und Rama überzeugen lassen, mitzumachen. Milatović äußerte sich im Vorfeld der Wahlen zu dem Thema.

"Es ist nicht normal, dass wir die einzige Region in Europa sind, in der Sie, wenn Sie in Podgorica in einen Zug steigen und nach Belgrad einreisen wollen, zuerst von der Polizei angehalten werden und der Zug an der montenegrinischen Grenze hält. Sie verlieren eine halbe Stunde oder 40 Minuten, und dann wird dasselbe an der serbischen Grenze gemacht. Wir waren vor 50 Jahren der einzige Teil Europas ohne Grenzen, und jetzt sind wir der einzige Teil Europas mit Grenzen", sagte Milatović, offenbar in Unkenntnis darüber, dass es sogar zwischen EU-Staaten Grenzkontrollen gibt, etwa zwischen jenen, die nicht Teil des Schengen-Systems sind. In Europa gibt es zudem dutzende andere Grenzen, die stark kontrolliert werden. (Adelheid Wölfl, 3.4.2023)