Inhalte des ballesterer #176 (Februar 2023) – Seit 27. Jänner im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk

SCHWERPUNKT: VORARLBERG

BERG- UND TALFAHRT
Auf einen Meistertitel wartet Vorarlberg noch, aber der Fußball hat Tradition im Bundesland

ANDERS ALS DIE GROSSEN
Die "Altacher Jungs" über Freundschaften, Gewalt und Guimaraes

AUFBAUARBEIT IN DER ZWEITEN LIGA
Die "Nordtribüne Lustenau" über Liedtexte, Langeweile und Investoren

AUSSERDEM IM NEUEN BALLESTERER

KÖNIG ZWISCHEN DEN STÜHLEN
Ein Nachruf auf Pele

"IN DER KURVE SPÜRST DU DEN FUSSBALL"
Sturm-Präsident Jauk im Interview

MANTEL DER MISSVERSTÄNDNISSE
Die Kluft zwischen Europa und Arabien

EINE STADT AUF DER STRASSE
Lukas Lange über Buenos Aires

FAMILIENANGELEGENHEIT
Marcelo Gallardo und River Plate

TAKTIK TOTAL
Argentiniens Pressingfalle

FUSSBALL IM KZ THERESIENSTADT
Das Überleben von Ignaz Fischer

RAPID-HELD AUS TSCHECHIEN
Ladislav Maier im Interview

PLÄTZE OHNE RASEN
Eine Marokko-Reise zwischen Wüste & Meer

Die TEPPICHKNÜPFER VON INNSBRUCK
Ein Anstoß zur Auflösung der "Verrückten Köpfe"

GROUNDHOPPING
Matchberichte aus Frankreich, Italien, Spanien und Südafrika

Cover: Ballesterer

Vor den Toren.

Foto: Ballesterer/Moritz Ettlinger

Auf der Tribüne.

Foto: Ballesterer/Moritz Ettlinger

"Wenn es regnet oder schneit, am FC-Platz die Sonne scheint", habe ihm ein Kollege einmal zugerufen, als er während eines Unwetters auf dem Weg zum Stadion an der Holzstraße war, sagt Kurt Bösch. Der ehemalige Schriftführer und stellvertretende Vorstandsvorsitzende des FC Lustenau 1907 erzählt die Anekdote so gerne, weil sie so gut zu ihm passe. Schließlich lässt sich der 83-Jährige kein Spiel des ältesten Fußballverein Vorarlbergs entgehen, wie er dem ballesterer beim Gespräch im Klubheim, dem Nachwuchsstübli, sagt.

Konfliktreicher Beginn

Die Geschichte des FC Lustenau ist nicht getrennt vom Nachbarland zu erzählen. Über den Schweizer Emil Brüschweiler, der bei einem Stickereigeschäft angestellt war, kam der Fußball in die Marktgemeinde. Er konnte junge Turner für das Spiel begeistern, sodass im Turnverein Lustenau 1880 eine Fußballsektion gegründet wurde, die schon bald die Selbständigkeit anstrebte. Schließlich gründeten die Fußballer im September 1907 im Gasthof Sonne den FC Lustenau. Als erster Fußballklub in Vorarlberg mussten die Lustenauer ihre Gegner im benachbarten Ausland und in Tirol, wo es mit Fußball Innsbruck bereits einen Verein gab, suchen. "Wir haben immer ein gutes Verhältnis mit Sankt Gallen gehabt", sagt Bösch. Nicht selten tauschten der FC Lustenau und Vereine aus der Ostschweiz für wichtige Partien Spieler aus. Der FC Lustenau nahm auch an der länderübergreifenden Bodensee-Meisterschaft teil, die er viermal gewinnen konnte.

Seinerseits griff der Klub Neugründungen im Bundesland unter die Arme. "Die Funktionäre haben den Dornbirnern geholfen, den Verein ins Leben zu rufen", sagt Bösch. Ein Jahr nach dem FC Dornbirn 1913 entstand die Lustenauer Austria, zunächst aber noch unter anderem Namen. Die Dichotomie des Orts war nicht mehr von der Hand zu weisen. "In Lustenau gibt es alles zweimal, ob im Sport oder beim Musikverein", sagt Bösch. Die Glanzjahre des FC Lustenau fielen in die Zwischenkriegszeit, in der er zahlreiche Landesmeistertitel und Erfolge im Vorarlberger Cup feierte. Ab Ende der 1920er Jahre war der Landesmeister zur Teilnahme an der Bundesamateurmeisterschaft berechtigt, hier erreichte Lustenau zweimal das Finale. Der erfolgreichste Spieler dieser Jahre war Ernst Künz, der 1936 bei den Olympischen Spielen mit Österreich Silber gewann.

Politische Verbindungen

Obwohl der FC Lustenau sich vom Turnverein abgespalten hatte, verband die Vereine das Bekenntnis zum Großdeutschtum. So wählten die Fußballer die Farben Schwarz, Rot und Gold für das Vereinsemblem. Die erste Spielkleidung war schwarz-gelb, wurde allerdings 1910 durch blaue Dressen ersetzt. In den Anfangsjahren spielte der Klub in der Schützengartenstraße, im Bereich des heutigen Reichshofstadion. Als der von der Christlichsozialen Partei dominierte Gemeinderat auf dem Platz ein Versorgungsheim errichten wollte, stellte sich die Großdeutsche Volkspartei gegen diese Pläne und hinter den Verein. Er startete eine Unterschriftenaktion, die das Projekt jedoch nicht stoppen konnte. Der FC erwarb um 20.000 Schweizer Franken zwei Grundstücke, auf denen das Stadion an der Holzstraße entstand. Finanziert wurde der Kauf über Spenden und Anteilsscheine. "Es hat bei jedem Spiel eine Spenderliste gegeben", sagt Funktionär Bösch. "Es sind aber nur Schweizer Franken angenommen worden, das österreichische Geld war ja nichts wert." Bis Anfang der 2000er Jahre war der Platz Klubeigentum, danach wurde er an die Gemeinde verkauft.

Die politischen Konflikte wurden auch in den Derbys mit der Lustenauer Austria, die dem christlichsozialen Lager zuzuordnen war, ausgetragen. In den Duellen ging es heiß her. Als die Austria in der Bundesamateurmeisterschaft auf Austria Klagenfurt traf, mischten sich unter die 1.500 Zuschauer auch einige FC-Anhänger. "Der kleine Erfolg der Kärntner Gäste bot solchen Leuten mehr Freude als den Kärntnern selbst", notierte der Korrespondent des Volksblatts.

Nach dem Zweiten Weltkrieg schien der FC Lustenau, anders als die Austria, nicht sofort wieder auf der Fußballlandkarte auf. Die französischen Besatzungsbehörden verlangten von den Vereinen eine politische Empfehlung, die der FC aufgrund der Auflösung der Großdeutschen Partei nicht abgeben konnte. So wurden Anleihen im sozialdemokratischen Lager gesucht, weswegen der FC kurzzeitig Sportverein Lustenau und Rapid Lustenau hieß, ein Vereinsmitglied lobbyierte laut der Chronik zum 100-jährigen Bestehen sogar für den Namen Roter Stern Lustenau. Seit 1948 firmiert der Verein wieder als FC Lustenau.

Kontinuierlicher Niedergang

Die Erfolge blieben in der Folge rar. 1958 und 1959 wurde der Klub Meister in der zweitklassigen Arlbergliga, scheiterte jedoch in der Qualifikation für das Aufstiegs-Play-off jeweils an Austria Salzburg. Finanziellen Engpässen begegnete der FC Lustenau kreativ. In Zusammenarbeit mit anderen Vereinen wurde Radiomoderatorin Rosemarie Isopp nach Lustenau geholt und ein Blumenkorso veranstaltet. Die finanziellen Probleme lösten derartige Aktionen nicht, sodass sogar über eine Fusion mit der Austria nachgedacht wurde. Es blieb eine Gedankenspielerei, und in den 1970er Jahren rutschte der Klub weiter ab. "Da bin ich im Klostertal auf den Steinen gestanden", sagt Bösch über diese Zeit. Erst um die Jahrtausendwende ging es wieder bergauf. "Wir haben ja die ersten Brasilianer gehabt", sagt der Fan und Funktionär und meint damit Oberdan Alves Carneira und Gilson Moura Da Silva, die 1997/98 in der Regionalliga West für Begeisterung sorgten. 2006 schoss Diego Viana die Lustenauer mit 37 Ligatoren in die zweite Liga.

Das war jedoch der letzte Ausflug in den Profifußball. 2012 wurde Präsident Dieter Sperger vorgeworfen, die Lizenz durch Vortäuschung nicht vorhandener Mittel erlangt zu haben. Auf Antrag des Vereins und eines Gläubigers wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet. Eine Spendenaktion sicherte den Ausgleich und das Überleben des Klubs. Der FC Lustenau nahm den Platz der zweiten Mannschaft in der siebten Leistungsstufe ein. Der Klub positionierte sich neu, er setzt seither auf Nachwuchsarbeit und soziale Projekte, im Klubheim sind Lernplätze für Schüler untergebracht. Die Kampfmannschaft spielt mittlerweile in der Vorarlbergliga, dort hatte sie zuletzt mit Verletzungssorgen zu kämpfen. "Da musste der Trainer als Spieler aushelfen", sagt Bösch über die Partie gegen den FC Nenzing Anfang November. Philipp Hagspiel schoss seine Mannschaft nach einer Aufholjagd in der fünften Minute der Nachspielzeit zum 4:3-Heimsieg. (Christoph Bosnjak, 2.2.2023)