Es gibt kein Bewusstsein dafür, dass Wohlstandsgewinne jenseits der sozialen Absicherung allen Teilen der Gesellschaft zustehen.

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Kurzes Gedankenexperiment: Was wäre wohl in Österreich los, wenn eine Partei fordern würde, dass Löhne und Gehälter bis 2025 eingefroren werden und in den beiden Jahren danach nur um jeweils zwei Prozent steigen dürfen? Auch wenn das von den PR-Experten noch so elegant als "Gehaltsbremse" behübscht würde, wäre die Aufregung groß – eine politische Gruppe, die eine Beschränkung der Arbeitseinkommen fordern würde, wäre ganz zu Recht weg vom Fenster. Schluss mit solchen Gedankenexperimenten!

Ganz anders sieht es aus, wenn eine Partei die Beschränkung der Einnahmen von Immobilienbesitzern propagiert. Die SPÖ hat sich in der Vorwoche eine entsprechende Forderung ihres Gewerkschaftsflügels mit der griffigen Bezeichnung "Mietpreisbremse" zu eigen gemacht. Die Reaktionen blieben überschaubar. Nein, so werde das nicht kommen, hieß es von Regierungsseite. Diese hat gleichzeitig eine Reihe anderer Entlastungsmaßnahmen für Mieter in Aussicht gestellt. Sowohl Regierung als auch Opposition sind bemüht zu vermitteln: Wir sind ein soziales Land.

Eines mit sozial orientierter Politik. Und mit einer in Verteilungsfragen entsprechend auf Umverteilung hin orientierten Bevölkerung – selbstverständlich in unterschiedlichen Ausprägungen, ob links-sozialistisch, ob solidarisch-ökologisch, christlich-sozial oder am rechten Rand wohl auch mit einer national geprägten sozialistischen Note.

Der reichere Teil und die weniger Begüterten

Die aktuelle STANDARD-Umfrage belegt, dass die wichtigste Sorge der österreichischen Wahlberechtigten der gesellschaftliche Zusammenhalt zwischen dem reicheren Teil der Bevölkerung und den weniger Begüterten ist – wobei da auch die Furcht mitspielen dürfte, dass immer mehr in Richtung Armut abrutschen könnten.

Das könnte man als Auftrag auffassen, das Thema Umverteilung ernsthaft und umfassend anzusprechen. In Österreich passiert dies aber nicht. Zwar poppen immer wieder Vorschläge wie jener der Mietpreisbremse und diverser anderer Bremsen und Deckel auf. Zwar werden immer wieder auch Gesetzesvorhaben mit beachtlichen Verteilungswirkungen beschlossen – ob in der Familienförderung oder bei den diversen Corona- und Teuerungshilfspaketen.

Aber all das wird immer nur als Einzelmaßnahme betrachtet und diskutiert.

Alle Teile der Gesellschaft

Man weiß, dass die ÖVP gegen Vermögenssteuern ist – obwohl sie selbst einige solche Steuerelemente (etwa Vermögenszuwachssteuern) eingeführt hat. Man weiß, dass die SPÖ für eine Erbschaftssteuer ist – obwohl ihr gerne unter die Nase gerieben wird, dass diese unter einer SPÖ-Regierung abgeschafft worden ist. Die anderen Parteien haben dazu ihre eigenen (wenn auch selten wirklich liberalen) Vorstellungen – sie werden aber kaum gehört, weil es eben keine ehrliche (Um-)Verteilungsdiskussion gibt. Aus diesem Grund gibt es auch kein Bewusstsein dafür, dass Wohlstandsgewinne jenseits der sozialen Absicherung allen Teilen der Gesellschaft zustehen – ob es sich nun um Arbeitnehmer oder Bauern, um Hausherren oder Künstler, um Unternehmer oder in Ausbildung Befindliche handelt.

Und dass diese Wohlstandsgewinne stets ausverhandelt und möglicherweise ausgeglichen werden müssen. Darauf, auch das zeigt die STANDARD-Umfrage, wartet man aber vergeblich: Nur 14 Prozent glauben an eine Verringerung der Kluft zwischen Armen und Reichen. (Conrad Seidl, 1.1.2023)