"In Umzugsfragen bin ich erfahren", versichere ich meiner Tochter, als sie wegen ihres Wechsels nach Mailand kurz die Nerven verliert und ich sie beruhige. Dabei hat sie als Kind schon mehrere durch mich verursachte Ortsveränderungen erlebt. Aus diesem Grund klagt sie manchmal, dass es in ihrem Leben kein Haus gebe, in dem sie aufgewachsen und das immer noch da sei, so wie bei vielen ihrer Freundinnen. Stimmt. Wir hatten bloß wechselnde Wohnungen. Das Sommerhaus, das bis zum Tod der Großeltern als Familientreffpunkt diente, wurde verkauft und zerstört.

Die Impressionen einer angespannten Immobilienlage stammen von der Autorin Sabine Scholl.
Foto: Sabine Scholl

Dann gebe ich zu bedenken, dass für viele Menschen das Elternhaus keinen angenehmen Ort darstellt. Ein gleichbleibendes Gebäude allein verspricht keine Stabilität, sondern die hängt auch von den Umständen ab sowie von den Beziehungen zwischen den Menschen, mit denen man es bewohnt. Beim Versuch, meine Ortswechsel zahlenmäßig zu klären, eruierte ich kürzlich an die 26 Umzüge, monatelange Arbeitsaufenthalte nicht mitgezählt, sondern nur solche, an denen der Stromanschluss auf meinen Namen lief. Mein Rekord im Bleiben wird bislang von Berlin gehalten.

Räumungsklage

Ich habe länger dort gewohnt als an dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Darauf war ich irgendwann sogar stolz. Jedenfalls verlässt die Tochter nach zehn Jahren Wien, nachdem sie lange seine Vorteile gegenüber Berlin betonte, wie besseres Wetter und kürzere Winter, was stimmt. Während ich mit Wien inzwischen eine Art arrangierte Ehe führe. Ich nenne es Basislager, an dem ich Kräfte sammle, bis ich wieder aufbreche. Meine persönlichen Highlights hier sind Donauschwimmen, viel Grün und sozialer Wohnbau. Damit hat mich Wien aus der Mietenmisere der deutschen Hauptstadt errettet, und so kann ich hier wunderbar so tun, als wäre ich eh noch Berlinerin.

Sozialgold statt Betongold: wünschenswert, aber utopisch.
Foto: Sabine Scholl

Während ich in Berlin für immer die Zugezogene blieb. Weil ich nicht an diesem Ort geboren wurde, wie mir irgendwann ein angetrunkener Handwerker in der Tram lautstark erklärte. Niemals könne ich heimisch sein wie er. Dabei schlug er sich mit der Hand mehrmals auf die Brust. Seine Kumpels lachten verlegen, und ich konnte ihm nicht klarmachen, dass für mich ein Aufenthalt von zwanzig Jahren sehr wohl einen Zustand darstellte, der sich dem Begriff "Zuhause" annäherte.

Mittlerweile aber werden wir nach fast zwei Jahrzehnten aus der Wohnung dort vertrieben. Fristlos gekündigt, steht im Brief der Hausverwaltung. Innerhalb von zehn Tagen soll alles geräumt sein. Ich erstarre, überlege, wie ein Umzugswagen so rasch zu organisieren sei, wohin mit dem Zeug, und wo soll mein Sohn jetzt wohnen? Mir schwirrt der Kopf, ich befürchte Gerichtskosten, Schulden und fühle mich auch gleich schuldig. Die Mitgliedschaft im Mieterverein habe ich aus Kostengründen gekündigt.

Lastwagen vom Tisch

Dann beginne ich zu recherchieren, bin erleichtert, denn erst muss die Räumungsklage vor dem Bezirksgericht eingebracht werden. Wer Berliner Behörden kennt, weiß, dass dieser Vorgang Monate dauert. Lastwagen vorerst vom Tisch. Aber warum ist es so weit gekommen? Als Gründe sind im Brief diejenigen angegeben, über die ich mich seit Jahren bei der Hausverwaltung beschwert hatte, die dagegen nie etwas unternahm: Partylärm, Ablagerung von Sperrmüll im Hof, aufs Flachdach steigen.

Eingezogen war ich als Mutter mit zwei schulpflichtigen Kindern. Nun lebt eine Mutter mit zwei Kindern unter unserer Wohnung. Ihre Kleinen schlafen schlecht, der Ehemann wird grantig, so grantig sogar, dass er im Zuge einer Auseinandersetzung einen Kumpel meines Sohnes schlagen will. Die junge Mutter beschwert sich bei der Hausverwaltung über die Unruhe im Haus, ruft wieder und wieder dort an. "Hm, so ist das in Berlin jetzt", bemerkt mein Sohn ultracool. "Diejenigen, die vorher da waren, werden von denen vertrieben, die später nachkamen." Auch nach drei Jahren Ausbildung in Paris versteht er Berlin als sein Zuhause.

2021 wurden in Berlin Immobilien um 23,9 Milliarden Euro verkauft – ein Rekord.
Foto: Sabine Scholl

Natürlich ist der Hausverwaltung daran gelegen, Menschen mit alten Mietverträgen, denen sie keine astronomischen Summen abknöpfen können, aus ihren Wohnungen zu ekeln. Ganze Blöcke werden nun aufgekauft und renoviert, um sie gewinnbringend leer stehen zu lassen, da Menschen den Wert von Räumen nur mindern. Das begann in Berlin 2008. Erst Finanzkrise, dann Flucht ins Betongold. 2021 wurden in Berlin Immobilien um 23,9 Milliarden Euro verkauft. Ein Rekord. Mietshäuser wechseln mittlerweile für das 32-Fache der Jahresmieten den Besitzer, das heißt, erst nach 32 Jahren wird dieser Betrag erwirtschaftet sein, berichtete die Berliner Zeitung kürzlich.

Verdrängung

Um Rückzahlungen zu beschleunigen, müssen die Besitzer Mieten anheben, entweder mithilfe des Mietspiegels, teurerer Neuvermietungen oder Renovierungen. In der Folge steigen auch die Mieten in der Umgebung. Auch für minderwertige Wohnungen müssen immer höhere Beträge gezahlt werden. So wie für unsere Wohnung, in der die Fenster zerfallen, die Ikea-Küche mehrere Jahrzehnte auf dem Buckel hat, die Terrassentür verzogen ist, an heißen Tagen Teer vom Dach tropft.

Ein Umzug in Neubauten, die auf immer teurer werdenden Grundstücken erbaut werden, ist nicht möglich. So gibt es immer weniger Wohnungen für wenig verdienende Menschen. Das nennt man Verdrängung. Nicht dass in Berlin nicht gebaut würde. Eines Tages bin ich in eine durchgestylte Wohnung zweier bekannter Architekten in der Lehrter Straße eingeladen und bemerke, wie hinter dem Hauptbahnhof ganze Stadtviertel hochgezogen werden. Hochpreisige natürlich.

Dass sie mich einluden, war wohl ein Versehen. Ich gehöre nicht in diese Kreise. Deshalb versetzen mich der Kündigungsbrief und die Drohungen, die darauf folgen, in Panik. Aufgewachsen in einem von meinem Vater samt familiären Hilfskräften eigenhändig errichteten kleinen Bungalow auf Kredit auf dem Land. Sparen, Verzicht, jahrzehntelange Rückzahlungen als Preis für eine Langzeitunterkunft.

Wohnraum als Ware

Den Umgang mit Drohungen durch Anwälte habe ich nicht gelernt. Geld ist für die prekäre Existenz einer Künstlerin problematisch. Kein Familienvermögen, kein gut verdienender Partner, keine Erbschaft von unbekannten Tanten, kein Landhaus. Bloß das Bewusstsein, ohnehin keine Rechte zu haben ohne Vermögen. Genau damit werden die Interessen von Immobilienbesitzern durchgesetzt.

Vor Jahren boten Makler Geld, wenn ein Gebäude luxussaniert werden sollte und Mieter nicht sofort rauswollten. Heute stehen in Kündigungsbriefen Listen voller Forderungen. Gerade dass von den Entmieteten nicht verlangt wird, die Wohnung auf ihre Kosten zu sanieren, bevor sie ausziehen müssen.

Dabei gibt es die Firma, die unser Wohnhaus verwaltet, eigentlich nicht mehr. Sie existiert nur als Anhang der E-Mail-Adressen zweier Damen, die regelmäßig Drohbriefe und Verständigungen über Mieterhöhungen verschicken. Gebe ich den Namen der Verwaltung ein, lande ich auf der Website einer Immobilienentwicklungsfirma. Sie verstehe "die Betreuung von Objekten nicht als Verwaltungsprozess, sondern dynamisches Gestalten. Diskursiv, ergebnisoffen, aber mit klarem Ziel: der Steigerung von Qualität und Ertrag."

Keine Antwort

Mieter sind nicht mitgemeint, im Gegenteil. Nach dem Schrecken kommt daher die Wut. "Wohnraum ist keine Ware" steht in meterhohen Lettern auf der Feuerwand eines Mietshauses an der Grenze zwischen Prenzlauer Berg und Wedding. Genau! Als wir in Wien ebenfalls miterleben, wie die Hausverwaltung sich in eine stadtbekannte Immobilienentwicklung verwandelt, bei der keiner erreichbar ist, und die älteren Mieterinnen sich früherer Erfahrungen erinnern, als man noch mit Menschen reden konnte, werde ich laut.

Mein Geschrei ist mir sofort peinlich, doch ich merke, wie sehr mich unsere Ohnmacht aufregt: Wir schicken per Mail einen Fragenkatalog und erhalten keine Antwort. Wir stellen Ultimaten, wir verlängern sie. Immer noch keine Nachricht. Dann rufen mehrere Mieterinnen die Firma immer wieder an, bis zumindest die Durchwahl einiger gesprächsbereiter Angestellter ausfindig gemacht wird, die aber stets im Urlaub, in Besprechungen oder auf Außenterminen sind. Klar, das Geschäft boomt auch in Wien.

Im Berliner Kündigungsgerangel haben wir inzwischen eine Anwältin eingeschaltet. Eine, die bereits einigen langjährigen Mietern, die gekündigt worden waren, zu Recht verholfen hat. Prominentester Fall ist das Wohnhaus in derselben Straße, in der die Dachgeschoßwohnung liegt, die fristlos gekündigt wurde. Das unsanierte Haus mit drei Hinterhöfen befand sich im Besitz einer alten Dame, die das Haus ihren zwei Söhnen vermachte. Sie versprachen, nichts an den Verträgen zu ändern. Bis die Immobilienentwickler auf das "Objekt" aufmerksam wurden. Ein Streit zwischen Erben folgte, der sich jahrelang dahinzog.

Humane Bedingungen

Die Mietparteien wohnten zum Teil bereits Jahrzehnte in dem Haus, dem einzigen der Gegend, in dem noch das Milieu des Nachwendeberlin spürbar ist. Graffiti ziehen sich die Treppenhäuser hoch, es gibt Gärten, Grillplätze, Gerümpel zu Kunstwerken verschweißt, man kennt sich nicht nur vom Sehen. Eine Initiative engagierter Nachbarinnen formierte sich und nahm den Kampf auf. Einer der Versuche sah vor, den gesamten Komplex zum Kulturerbe ernennen zu lassen, das unangetastet bleiben und so von der neueren Geschichte Berlins zeugen sollte.

Eine aufwendige Dokumentation über Aktivitäten und Hintergründe der Mieterinnen – viele von ihnen aus dem Kulturbereich, andere prägten die Atmosphäre des Kiezes über Jahrzehnte mit Läden – wurde erstellt, die den Erben überzeugen sollte, von reinem Profitdenken abzusehen. Lange Verhandlungen folgten. Die Geschichte ging gut aus. Die Mietverhältnisse werden in unkündbare Genossenschaftsverträge umgewandelt.

Das Haus und seine Bewohnerinnen sind gerettet. Sie dürfen bleiben. Zu humanen Bedingungen. Seltenes Privileg. Die Berliner Behördenwege habe ich jedoch falsch eingeschätzt. Inzwischen ist für die Dachgeschoßwohnung in der Kastanienallee die Räumungsklage vom Bezirksamt eingelangt. Es wird ernst. Wo mein Sohn wohnen wird, falls wir das Verfahren verlieren, ist ungewiss. Wohnungssuchende müssen inzwischen froh sein, wenn sie überhaupt ein WG-Zimmer ab 500 Euro ergattern. In Wien warten wir hingegen weiter auf den Rückruf der Hausverwaltung. Hallo? Hallo? Hallo? Niemand zu erreichen. Versuchen Sie es später erneut! Fortsetzung folgt. (Sabine Scholl, 18.12.2022)