Ein Loch in der Wand, das zum blutroten Schlauch wird: Wiens zurzeit wohl bemerkenswerteste Bar – auch wegen des Essens.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Ihr Thai-Restaurant Mamamon in der Albertgasse hat Piano Plupthong nach der Mutter benannt, der Papacorn Iced Tea in ihrer vergangenen Sommer eröffneten Sip Song Bar heißt nach dem Großvater. Der war schließlich Apotheker. Die Basis des gefährlich köstlichen Drinks ist ein Teesirup aus einer therapeutischen Teemischung, wie sie in thailändischen Apotheken bunt abgepackt gegen Rheuma angeboten wird – Zitrone, ordentlich Mekong-Rum und andere hochdosierte Medizin machen daraus eine bittersüß-aromatische Gemeinheit.

Drinks, an die man sich erinnert

Piano ist eigentlich Musikerin, mit der Amazing Chayo Band macht sie großartig rohen Thai Motown in einer Tradition, die (same same but different) als Unterhaltung für die GIs im Vietnamkrieg entstanden ist. Wird in der neuen Bar mit ein bissl Glück zwischen historische Nummern eingestreut. Das kleine Restaurant hat sie vor bald sieben Jahren gemeinsam mit ihrer "Mon" und ihrem Mann Jan Petersen aufgesperrt, einem Schweden, der für eine internationale Organisation nach Wien gekommen war. Seitdem muss man fix reservieren – ist schließlich, kaum zufällig, einer der zuverlässigsten Orte, um auf die ganz Schnelle weit weg von Wien zu sein. Das Essen ist auch super (obwohl kaum scharf), die Stimmung, wie die Betreiber, von energiegeladener, anarchischer Zugewandtheit. Jetzt musste etwas Neues her, ein wenig härter, kompromissloser, lauter, auch exotischer. Und mit Drinks, an die man sich unbedingt erinnert.

Die gibt es in dem winzigen "Hole in the Wall" auf der äußeren Lerchenfelder Straße (knapp vor der Schottenfeldgasse, direkt hinter dem Bim-Wartehäuschen). Tipsy Lady zum Beispiel, ein hart geschüttelter Cocktail mit französischem Wermut, Shiso-Sirup, Zitronensaft, Aperol und Acqua Faba, vor allem aber mit dem berüchtigten Bitter-Likör Do Mai Ru Lom. Der lässt sich laut Piano mit "stay erect all night" übersetzen, hat also eine medizinische Indikation. Die versprochene Wirkung soll in Thailand durchaus für bare Münze genommen werden, was für zügige Dosierung sorgt und, naturgemäß, sehr oft eine zielsicher gegenteilige Diagnose ergibt. Der Drink im Sip Song schmeckt noch dazu köstlich, schon deshalb will man gleich einen zweiten. Verträgt man ohne Hänger.

Mieng Som, Orangensalat oder "Beef Thaitare" – in der Sip Song Bar
gibt es für jeden Geschmack etwas.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Shrimp & Cocktail

Ein bisserl was sollte man vorher aber schon im Bauch haben. Laarb Nuts, spektakulär köstliche Erdnüsse, die mit Limettenblättern, Galgant, Chili und Zitronengras (Gewürzen, die auch ins Fleischgericht gleichen Namens gehören) geröstet werden, gibt’s ohnehin automatisch dazu. An denen darf man sich aber nicht satt essen, die Bar hat noch elaboriertere Snacks. Mieng Som etwa, Orangensalat in frischen Betelblättern mit gerösteter Kokosnuss, getrockneten Shrimps, Erdnüssen und Chilimarmelade – schmeckt genauso begehrenswert, wie es klingt. Oder "Beef Thaitare", ganz wunderbar duftig angemacht, mit gepufften Schweinsschwartelchips statt Brot und mit extraknusprig gebackenen Ricecrackern für jene, denen das dann doch ein bissl gar arg thai erscheint. Oder grandiose Chips, ein bissl wie Hummerchips, aber aus Lachsforelle und Gewürzen hausgemacht und à la minute herausgebacken – unmöglich, damit aufzuhören, sind aber eh immer sehr schnell aus.

So sitzt man wie aufgefädelt auf einer Art langen Parkbank, weil das die einzige Sitzgelegenheit ist, die sich in dem schmalen Schlauch von Lokal ausgeht, trinkt irgendwann Naturwein (mehr als bemerkenswerte Auswahl lokaler wie internationaler Referenzen!) oder doch das hauseigene, in Gaming eingebraute Mamamon Pils und freut sich, wie gepflegt exotisch man in der Josefstadt abstürzen kann.
(Severin Corti, 14.10.2022)