Große Meerestiere wie Haie sind durch starken Klimawandel besonders bedroht.
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Forschende warnen seit Jahrzehnten vor schweren Folgen, sollte es nicht gelingen, die Klimaerwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Seriöse Prognosen, was genau passieren würde, sind allerdings nach wie vor schwierig. Immer wieder müssen Vorhersagen angepasst werden, generell seien vor allem Wetterextreme bisher unterschätzt worden, warnen Fachleute. Neben Einzelmeldungen, etwa betreffend die ungewöhnlich starke Erwärmung des Mittelmeeres oder den durch die Temperatur bedingten Anstieg des Anteils von Weibchen in Schildkrötenpopulationen, fehlt vor allem ein Gesamtbild, das hilft, das Ausmaß der Veränderung einzuordnen.

Eine wertvolle Großstudie ist nun in der Fachzeitschrift "Nature Climate Change" erschienen. Ein internationales Forschungsteam hat sowohl optimistische als auch pessimistische Klimaprognosen des International Panel of Climate Change (IPCC) zum Ausgangspunkt seiner Arbeit gemacht und für 25.000 Meerestiere untersucht, welche Risiken durch unterschiedlich starke Erderwärmung entstehen. Die veröffentlichten Ergebnisse zeichnen ein durchaus dramatisches Bild. Die Veränderungen sind groß genug, um die Ernährungssicherheit in ärmeren Küstenregionen zu bedrohen.

Drei wichtige Faktoren

Um die Einschätzungen vornehmen zu können, haben die Forschenden drei Faktoren berücksichtigt: Wie stark ist eine Art den Klimaveränderungen ausgesetzt? Wie sensibel reagiert sie darauf? Und schließlich: Wie groß ist ihre Anpassungsfähigkeit an die neuen Bedingungen?

Das IPCC hat eine Reihe möglicher Szenarien zur Intensität des Klimawandels benannt. Das Forschungsteam konzentriert sich bei seiner Arbeit auf zwei Extreme, die als SSP1-2.6 und SSP5-8.5 bezeichnet werden: einen vergleichsweise "moderaten" Klimawandel mit rund zwei Grad bis 2100 und einen ungebremsten Klimawandel, bei dem die Durchschnittstemperatur um vier bis sechs Prozent steigen würde. Die Bezeichnung "moderat" ist im Kontext zu verstehen, im Pariser Klimaabkommen ist noch von einer Begrenzung der Erwärmung auf "deutlich unter zwei Grad" die Rede, um die schlimmsten Folgen zu verhindern.

Das optimistische ...

Eine Betrachtung des optimistischeren Szenarios ergab eine Gefährdung von 50 Prozent der betrachteten Arten in neun Prozent ihres Lebensraums. Die Gefährdung ist dabei in Küstenregionen mit großer Biodiversität, wie etwa in der Karibik und in Indonesien, besonders hoch. Am stärksten sind große Arten wie Haie oder Wale betroffen, außerdem Spezies, die in Regionen leben, wo das Wasser von vornherein eher warm ist.

Tropische Küstenregionen sind vom Klimawandel besonders betroffen, auch bei einer vergleichsweise moderaten Klimaerwärmung von zwei Grad.
Foto: imago/OceanPhoto

... und das pessimistische Szenario

Deutlich drastischer sind die Auswirkungen bei einer Erderwärmung von mehr als vier Grad. In diesem Fall sind es 87 Prozent der Arten, die in 85 Prozent ihres Verbreitungsgebiets gefährdet wären.

Das Team konzentrierte sich dabei rein auf Temperaturänderungen, der pH-Wert oder der Sauerstoffgehalt des Meeres wurde nicht in die Betrachtungen einbezogen. Außerdem war die Untersuchung auf Arten beschränkt, die in weniger als 100 Metern Tiefe leben. Eine Gefährdung im Sinn der Forschenden ist übrigens nicht automatisch mit dem Aussterben gleichzusetzen. Auch negative Einflüsse auf Reproduktion und Wachstum sind hier gemeint.

Andere Fachleute begrüßen die Veröffentlichung: "Die Relevanz der Studie besteht darin, dass sie eine erste einheitliche und relativ hoch aufgelöste Abschätzung des Risikos für den Weltozean und eine große Menge von Arten liefert", sagt Christian Möllmann von der Universität Hamburg. Zwar seien manche der Schlussfolgerungen bereits bekannt, dennoch sei die nun entwickelte Methode von Bedeutung: "Der Risiko-Index kann des Weiteren eine Bedeutung für die Implementierung von Anpassungsmaßnahmen gegenüber dem Klimawandel haben, da er anzeigt, in welchen Regionen eine Etablierung von Meeresschutzgebieten sinnvoll erscheint", erklärt Möllmann.

Küstenregionen sind besonders betroffen

Was die beiden sehr unterschiedlichen Extremszenarien angeht, so gelten einige Aussagen unabhängig von den gewählten Szenarien. Tropische Küstenökosysteme sind in beiden Fällen am stärksten bedroht.

Die Studie fügt sich scheinbar nahtlos in eine Reihe von Schreckensmeldungen, die von großen Veränderungen berichten. Doch es gibt diesmal auch konkrete Lösungsvorschläge: Schutzzonen könnten die schlimmsten Auswirkungen abfedern. Die Forschenden empfehlen, 30 Prozent der Meeresfläche unter Schutz zu stellen. Dieses Ziel solle vom Weltbiodiversitätsrat im Dezember 2022 in die Post-2020-Biodiversitätsziele aufgenommen werden. Die nun veröffentlichten Forschungen können als Leitfaden dienen, wo diese Schutzzonen besonders sinnvoll sind. (Reinhard Kleindl, 22.8.2022)