Die Stadtbibliothek in Graz sieht sich mit Zensur-vorwürfen konfrontiert.

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Steirischer Landarzt und Nazidichter: Hans Kloepfer.

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Was macht die Grazer Politik mit den alten Geehrten, denen Straßen gewidmet und für die Büsten modelliert wurden, die sich jedoch bei historischer Betrachtung als glühende Verehrer des NS-Regimes erwiesen haben?

Die rot-grüne Stadtregierung hat begonnen, die Namen historisch belasteter Straßen zu ändern, etwa jene Straßen, die einst nach Ottokar Kernstock, dem Verfasser des Hakenkreuzliedes, und Max Mell, dem Befürworter der NS-Bücherverbrennungen, benannt wurden. Die Diskussion über alte Nazidichter, die mit öffentlichen Ehren bedacht worden sind, entbrannte nun um den Landarzt und weststeirischen Säulenheiligen der Mundartdichtung, Hans Kloepfer. Für ihn ist in dessen Geburtsort Eibiswald ein eigenes Hans-Kloepfer- und Heimatmuseum eingerichtet. Es sind dessen Mundartgedichte und sein Wirken als Landarzt, für die er in der Gemeinde und der Region verehrt wird. Wofür er sich neben seinem Medizinerdasein und seinen Mundartreimen sonst noch engagierte, blieb lange Jahre nach dem Krieg eher nebensächlich. Der kürzlich verstorbene Literat Gerhard Roth hatte schließlich sehr eindringlich und schonungslos die andere Seite des als harmlos beschriebenen Heimatdichters aufgezeigt, nämlich jene eines Hitler-Verehrers.

"Bücherverbannung"

Zu einem heiß diskutierten Thema wurde Kloepfer jetzt, als die Grazer Stadtbibliothek seine Werke aus den Regalen nahm. Die FPÖ wetterte umgehend gegen die "Bücherverbannung", Kloepfer müsse zurück ins Regal. Die lokale Medienwelt bebte. Der zuständige Kulturstadtrat Günter Riegler (ÖVP) gab dem öffentlichen Druck nach und veranlasste, dass die Bücher wieder zurückgestellt werden. Experten sollen sich aber um eine "Kontextualisierung" kümmern.

Die Leiterin der Stadtbibliothek, Marie Therese Stampfl, kann die Erregung nicht ganz nachvollziehen. Sie sei angetreten, um das Museum zu einem neuen, modernen Kulturort mit mehr Platz und besserer Atmosphäre fürs Lesen zu machen. Und da habe sich eben die Frage gestellt, wie in den überbordenden Bücherregalen Platz geschafft werden könne. "Der erste Gedanke war natürlich, dass wir jene Bücher aus dem Regal nehmen, die ohnehin seit Jahren niemand mehr liest", sagt Stampfl. Zu den "Buchopfern" zählte eben auch Hans Kloepfer. Wobei selbstverständlich auch dessen NS-Verherrlichung eine Rolle gespielt habe. "Wir haben ihn auch rausgenommen, um zu überlegen, wie wir mit so belasteten Namen in Zukunft umgehen sollen."

Ode an Hitler

Immerhin hat Kloepfer ja auch Schriftstücke wie den Steirischen Bergbauerngruß verfasst, in dem es heißt: "Schreibm tuat er si Hitler, / und uns so guat gsinnt, /wia ma weit in der Welt / net an liabern wo findt."

Kloepfer hatte sich auch am Bekenntnisbuch österreichischer Dichter beteiligt, in dem er als Mitglied der NSDAP den "Anschluss" begeistert begrüßte. Als er 1944 starb, schickten Hitler und Goebbels Kränze.

Mitten hinein in die Überlegungen der Bibliotheksleitung, wie in Zukunft mit Nazidichtern umzugehen ist, ist durch einen "Leak" der Wirbel um die angebliche Zensur Kloepfers losgebrochen. "Wir haben ja ohnehin schon in die Richtung gedacht, dass wir die Bücher stehen lassen, kontextualisieren und sie quasi mit einem Beipackzettel versehen", sagt Stampfl zum STANDARD. Aber das sei im Grunde nicht notwendig,weil Kloepfer ohnehin niemanden mehr interessiere.

Der in Prag tätige Medizinhistoriker Harald Salfellner, der neben einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Spanischen Grippe auch eine umfangreiche Biografie über den Dichterarzt verfasst hat, plädiert im STANDARD-Gespräch dafür, die Emotionen beim Thema Kloepfer etwas abzukühlen. Natürlich sei er ein Nazi gewesen, kein Zweifel. Für ihn sei Kloepfer aus medizinhistorischer Sicht aber ein Fundus. "Es gibt kaum einen Mediziner dieser Zeitspanne, dessen tägliches medizinisches Wirken derart gut, bis ins Detail dokumentiert ist", sagt der gebürtige Steirer, der in Graz Medizin studiert hat und sehr früh schon über Kloepfer "gestolpert" sei.

"Wo anfangen?"

Natürlich habe der Landarzt Kloepfer über die "Rassenhygiene", Eugenik und Euthanasie Bescheid wissen müssen, in die Organisation sei er als Landarzt aber nicht eingebunden worden. "Er war ein Hitler-Verehrer, aber kein monströser Nazikiller", sagt Salfellner.

"Ich denke, man sollte in Graz versuchen, die Sache etwas zurückgelehnter zu betrachten. Mir fallen eine ganze Reihe anderer Literaten ein, die viel schlimmere Nazis waren. Ich denke mir, ein historischer Hinweis in seinen Büchern ist gar nicht notwendig. Denn wer Kloepfer lesen will, weiß mit großer Sicherheit auch über seine Vergangenheit als Hitler-Verehrer Bescheid. Ich stelle mir auch die grundsätzliche Frage bei solchen Warnhinweisen: Wo und bei welchen Autoren und Autorinnen anfangen – und wo aufhören?", sagt Salfellner.(Walter Müller, 12.4.2022)