Auch Introspektion kann sehr leidenschaftlich ausfallen wie Jehnny Beth, bekannt als Sängerin der Savages, solo beweist.

Foto: Steve Gullick

Dass Diebstahl auch nur eine Kulturtechnik ist, brachte Oscar Wilde einmal mit den Worten "Talent borrows, genius steals" auf den Punkt – beziehungsweise wurde ihm das Bonmot wie so viele andere zugeschrieben und stammt eigentlich von T. S. Eliot, der es anders formulierte: "Immature poets imitate, mature poets steal." Vielleicht stammt es aber auch überhaupt von wem ganz anderen, von jemandem, der von den Geschichtsschreibern übergangen wurde – warum sollte gerade ein Aphorismus über Stehlen vor Diebstahl sicher sein?

"Cultural Appropriation", ein Thema, das schon länger durch diverse Diskurse von links nach rechts und wieder zurück schwirrt, seit letztem Monat ein Gros der Menschen im DACH-Raum aber vermutlich an Dreadlocks denken lässt, meint mehr als den reinen Diebstahl im Kulturfeld. Es geht um eine Form der Aneignung, die bestehende Machtverhältnisse konsolidiert. Wer darf sich von wem inspirieren lassen, und wann ist die Grenze zur Ausbeutung überschritten? Wann ist der Dieb kein Genie, sondern ein Unterdrücker? Und wer soll darüber entscheiden?

Das Donaufestival wird sich heuer aber nicht nur mit diesen ohnehin schon ziemlich komplizierten Fragestellungen beschäftigen, sondern unter dem Motto Stealing the Stolen auch darüber nachdenken (lassen), wie Formen von Counter Appropriation aussehen können, sprich: Wie kann Aneignung auch als Mittel der Unterdrückten gegen die wahrgenommenen Unterdrückenden oder an ihnen vorbei eingesetzt werden?

Egalitäre Zusammenarbeit

Gerade in zeitgenössischer Popmusik, egal, ob sie sich in den Charts oder Nischen, im Mainstream oder der Avantgarde abspielt, geht ohne Samples, ohne Instrumente und Rhythmen aus anderen Kulturen, ohne bewusste und unbewusste Zitate, ohne Einflüsse und Netze gar nichts. In einer Auftragsarbeit des Donaufestivals beschäftigt sich der französische Produzent Aho Ssan damit, indem er in Bezug auf die Theorie des Rhizoms von Gilles Deleuze und Félix Guattari Werke anderer Musikerinnen und Musiker (auch solcher wie Moor Mother, die beim Festival selbst spielen werden) ineinander Wurzeln schlagen lässt (8. 5.).

In Aneignungsfragen spielt auch Egalität eine Rolle – sicherlich ein Grund, warum Kollaborationen, bei denen Partnerinnen und Partner sowie ihre Sounds verschieden, aber gleichberechtigt sind, so präsent im Festivalprogramm sind. Ein gutes Beispiel sind Lua Preta (7. 5.), ein Duo bestehend aus der angolanischen MC Ms. Gia und dem polnischen Produzenten DJ Mentalcut, das panafrikanische Beat-Kultur mit Elektronik made in Europe zu einer Melange jenseits von Landescodes vermengt.

Lua Preta

Auch die Zusammenarbeit des kenianischen Powerhouses MC Yallah mit dem französischen Produzenten Debmaster, der ihre dringlichen Botschaften in fieberhafte Elektronik mit dunklen Bässen verpackt, verspricht ein hörenswertes Live-Erlebnis zu werden (29. 4.).

Diverse Formen der Liebe

Das Donaufestival geizt in seinem Musikprogramm dieses Jahr aber auch mit großen Namen nicht. Die kultisch verehrte Künstlerin Arca wird wieder in Krems zu Gast sein und ihre überbordende Album-Pentalogie von 2021 vorstellen (30. 4).

Arca

Während Arca im wahrsten Sinne des Wortes "alles Mögliche" in diese fünf Alben hineingesaugt und als das Ihre wieder ausgespuckt hat, widmet sich die heimische Musikerin Soap & Skin (29. 4.) einer gar nicht so unähnlichen Form der Aneignung. Auch sie macht etwas anderes zu Ihrem, indem sie einen Zyklus von ausschließlich Cover-Songs präsentiert, den sie für das Donaufestival zusammengestellt hat.

Freilich finden sich auch Acts im Programm, bei denen das Thema "Stealing the Stolen" nicht im Vordergrund steht. Besonders freuen darf man sich auf die Britin Tirzah (29. 4.) und ihr herrliches Understatement-Album Colourgrade sowie auf Jehnny Beth (7. 5.), die sich als Sängerin der Post-Punk-Band Savages einen Namen gemacht hat und Songs ihres 2020 erschienenen Solodebüts To love is to live präsentieren wird.

Jehnny Beth

Beide Alben drehen sich um die eigenen Gefühle. Einmal kühl und zart, einmal mit großer Wucht. (Amira Ben Saoud, 9.4.2022)