Die neue Küchenbudel im neuen Mochi, ein Origami-Relief von Lehmgott Martin Rauch nach Plänen von Büro KLK.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Architekturkenner wissen, dass der Gott des Lehms ein Vorarlberger ist. Martin Rauch von Lehm Ton Erde in Schlins bearbeitet den uralten Baustoff auf eine Weise ("gestampfter Lehm"), die Weltarchitekten wie Herzog / De Meuron und Snøhetta ebenso wie Künstler von Olafur Eliasson bis zu Simon Starling zur Zusammenarbeit inspiriert. Jetzt hat auch das Mochi in der Praterstraße eine archaisch-futuristische Küchenbudel von diesem Gott des Lehms gestampft bekommen, nach Plänen von Mochi-Architekt Jonathan Lutter (Büro KLK).

Auch sonst wurde komplett umgebaut, weshalb das begehrteste Lokal der Stadt erst eine Woche nach der Öffnung wieder aufmachte. Beim Reinkommen erkennt man: Mochi bleibt Mochi, auch wenn alles anders wurde, damit es bleiben kann, wie es war. Nur: Leider trifft das auch auf die Karte zu. Offenbar hatte panischer Protest der Stammgastregimenter Eddi Dimant dazu gezwungen, nach einer eleganten Speisekarten-Neuausrichtung im ersten Lockdown die bald zehn Jahre alten Signature-Dishes wieder zu exhumieren.

Gaumenbeton ohne Gnade

Mochi ohne Trüffel-Yuzu-Dressing, Crispy Prawns und andere Museumsstücke aus der Zeit, als wir noch jung und sexy zu sein glaubten? "Sicher nicht", lautete das Diktum der Gaumenbetonfraktion, womit die Stellung Wiens als kulinarisch wohl konservativste Hauptstadt des Kontinents frisch zementiert werden konnte.

Ein paar gemein gute Neuentwicklungen konnte Dimant der Talibanfraktion aber doch unterjubeln. Kohlrabi-Salat mit Minze, Limette, knusprig frittierten Schalotten und Erdnüssen zum Beispiel, eine Schüssel Glück in denkbar knackiger Gestalt. Oder Hamachi Ssam, koreanisch inspirierte, gehackte Gelbschwanzmakrele mit fermentierter Chili, Mayo und Yuzu auf Sushireis – löffelt man auf geröstete Nori-Blätter und schießt sich damit auf Wolke sieben. Auch der mit Ingwer und Miso gegrillte Black Cod kickt einen mittels abrupten Euphorieschubs ganz plötzlich aus der Post-Lockdown-Lethargie.

Am Vorgartenmarkt, wo das Mochi am Markt ursprünglich als Ausweich-Location für die Zeit des Umbaus gedacht war, darf man sich auf die spannenden Entwicklungen aus der Mochi-Welt freuen. Das Großstandl wurde mit DIY-Appeal möbliert: Aus Spanplatten gezimmerte, tiefblau lackierte Bänke und Tische, Leuchten mit Lampenschirmen aus Kaffeefiltern (machen gutes Licht!), dazu eine Karte, die ungeniert mit mexikanischen und peruanischen Nikkei-Einflüssen spernzeln darf – und zeigt, was im Mochi alles möglich wäre, wenn die Gäste es nur zuließen.

Tiradito vom Wolfsbarsch etwa, wächsern schmelzende Chunks vom rohen Fisch in Koriander-Limetten-Salsa, dazu knackgrüner Spargel und Shiso: Frühling, Frische, unbekümmerte, vor Grün berstende Lebensfreude. Oder gegrillter Solospargel, mit Miso lackiert und mit frittiertem Gari garniert, der die würzige Süße des Sushi-Ingwers auf überraschende Art ins Knusprige wendet.

Das Feuer lodern lassen

Mittels Butterfly-Schnitts filetierter Wolfsbarsch wird auf der Hautseite knusprig gegrillt und dann, extrem saftig, in der tief aromatischen Umami-Bombe Nuoc Cham aus Fischsauce und Zitrus serviert, mit nichts als einer Handvoll Kräuter oben auf: So was fänden auch strukturkonservative Gaumen geil – wenn sie sich bloß trauten, beim Bestellen einmal vom rechten Trampelpfad abzukommen.

Tostada schließlich kündigt sich schon von weitem mit herrlichem Kukuruz-Aroma an. Das mexikanische Knusperdings ist nicht nur wunderhübsch, sondern mit Guacamole, rauchiger Chipotle-Mayo, mächtigen Hamachi-Würfeln, Grapefruitfilets, Chili, Zwiebel und Koriander so abenteuerlich fett und doch ausgewogen belegt, dass man ganz deppert wird vor Verlangen – herrliche Konsistenzkontraste, berauschende Aromen, fantastisches Mundgefühl.

Darf man noch dazu mit den Händen essen, ist also ganz nah an der Verheißung. Auch weil man das Ding nur sehr begrenzt mit anderen teilen kann und es einem in diesem Paradies der "sharing plates" ganz allein gehört. Ergo muss für jeden eines her. Vertrauen Sie drauf: Genau so will man das auch haben. (Severin Corti, RONDO exklusiv, 11.6.2021)

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