Muhammed Günay führt hinunter in seine Backstube. Dort, neben dem Ofen und einem dröhnenden Lüftungsrohr, steht ein Mitarbeiter und formt Vanillekipferl. Günay ist der Eigentümer der Bäckerei Tschörek an einer beliebten Straßenkreuzung im Bezirk Ottakring. An diesem Nachmittag wirkt Günay nicht ganz zufrieden mit den Kipferln.

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Der Bäcker, runde Brille, sanfte Stimme, nimmt selbst einen Batzen Teig und biegt einen zurecht. Sie sollen runder werden, erklärt er seinem Mitarbeiter, "wie kleine Halbmonde". Der Bäcker meint mit "Halbmonden" natürlich keine religiösen Symbole, er will einfach hübsche Kipferl. Formen und Wörter können mit allen möglichen Bedeutungen aufgeladen werden, das musste Günay an seinem eigenen Namen erfahren.

Als er 2005 die Türkei verließ, um in Wien zu studieren, konnte er nicht ahnen, wie oft sein Vorname ihm noch im Weg stehen würde. Denn "Muhammed" in seinen diversen Schreibweisen ist der Name des wichtigsten Propheten des Islam, das weiß auch in Österreich jedes Kind. "Ich hätte mich mit einem anderen Vornamen auf jeden Fall wohler gefühlt und weniger Hemmungen gehabt", erzählt Günay.

Muhammed Günay: "Ich hätte mich mit einem anderen Vornamen auf jeden Fall wohler gefühlt und weniger Hemmungen gehabt."
Foto: Stefan Joham

Ein Politikum

In diesen Tagen wird ihm wieder deutlich vor Augen geführt, dass sein Vorname inzwischen ein Politikum geworden ist. Die Stadt Wien veröffentlichte die Namensstatistik des Jahres 2020. Nach Aussprache werden die meisten Buben Alexander (139) genannt – ungeachtet der verschiedenen Schreibweisen –, gefolgt von Filip (131). Auf Platz sieben kommt, ebenfalls in seinen verschiedenen Schreibweisen, Muhammed (111). Mehr als 9000 Buben kamen in Wien zur Welt, der Anteil von Muhammed/Mohammad betrug 1,2 Prozent.

Für die FPÖ Wien ist dies Grund genug, "ein alarmierendes Symptom" und "unsere Freiheit, Gleichberechtigung und Demokratie bedroht" zu sehen. So kommentierte der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp vor einem Jahr, dass 127 Babys 2019 den Namen Muhammed bekommen hatten. Auf Nachfrage bleibt Nepp dabei: Mehr als ein Drittel der Wiener habe keine Staatsbürgerschaft, mehr als die Hälfte der Schüler spreche abseits vom Klassenzimmer nicht Deutsch.

Der Name Muhammed sei "ein weiteres Signal für den Trend". Auch die Boulevardzeitungen Krone, Österreich und Heute picken jährlich aus der Babystatistik den Namen Muhammed heraus. Die Botschaft: In Wien leben mehr Muslime als früher, die Stadt habe ein Problem – ein Muhammed-Problem.

Spricht man mit dem Bäcker Günay und anderen Männern mit diesem Namen, merkt man, dass dieser wenig über die Religiosität aussagt. Günay sagt über sich selbst zum Beispiel, er sei gar nicht religiös. Aus dem Anteil der "Muhammeds" unter den Wiener Babys auf die Zahl von Muslimen in der Stadt zu schließen, sei "genauso irreführend, wie aus 'Christians' oder 'Marias' abzuleiten, wie viele Christen in Wien leben", schrieb im Jahr 2018 der damalige Leiter der MA 23, Klemens Himpele. "Ich will nicht nach meinem Namen beurteilt werden, das stört mich extrem", sagt Günay. Man müsse eine Person doch kennenlernen und ein bisschen Zeit mit ihr verbringen, bevor man sich ein Urteil bilde. Oft ist das nichts weiter als ein frommer Wunsch, das weiß der 36-Jährige selbst.

Seine Frau habe ihm schon oft geraten, seinen Vornamen zu ändern. So weit will Günay doch nicht gehen. Wenn er eine E-Mail oder eine SMS schreibt, dann beendet er diese aber nur mit den Worten "Mit freundlichen Grüßen, Günay". Den Vornamen lässt er weg. Das Schwierigste sei gewesen, mit diesem Namen eine Wohnung zu finden. Als er sich einst auf die Suche begab und Absage um Absage bekam, begann er zu forschen. Er schrieb sich Telefonnummern aus Anzeigen auf, die erst spätnachts online gegangen waren, und rief gleich am nächsten Morgen an. Dennoch hieß es, die Wohnung sei bereits vergeben. Schließlich wollte er es genauer wissen. "Ich habe ein Experiment durchgeführt", sagt Günay.

Seine Frau habe ihm schon oft geraten, seinen Vornamen zu ändern. So weit will Muhammed Günay doch nicht gehen.
Foto: Stefan Joham

Starke Benachteiligung

Er rief bei einem Vermieter an und meldete sich als Muhammed Günay, wenig später griff ein österreichischer Freund zum Hörer und gab seinen heimischen Namen an. Siehe da, die Wohnung war beim ersten Anruf angeblich schon weg, dem zweiten Anrufer wurde ein Besichtigungstermin angeboten. "Ob es daran liegt, dass ich ein Ausländer bin, oder daran, dass ich Muhammed heiße, habe ich bis heute nicht herausgefunden", sagt Günay nüchtern.

Auch auf dem Arbeitsmarkt werden Menschen mit Migrationshintergrund benachteiligt, zeigen zahlreiche Studien. So verschickte das Wissenschaftszentrum Berlin zwei Jahre lang mehr als 6.000 fiktive Bewerbungen für echte Jobs. 60 Prozent der Bewerber ohne Migrationshintergrund bekamen in Deutschland eine positive Antwort, nur 51 Prozent der Bewerber mit Migrationshintergrund. Noch viel größere Unterschiede stellten die Forscher aber zwischen den Herkunftsländern fest. Polen oder Spanier erlebten kaum Diskriminierung, Muslime und Schwarze würden auf dem deutschen Arbeitsmarkt hingegen stark benachteiligt werden, hieß es in der 2018 veröffentlichten Studie.

Und Muhammed ist so eindeutig muslimisch, wie es ein Name nur sein kann. Probleme, einen Job zu finden, kennt Muhammed Sarac dennoch nicht. Er ist Besitzer eines Friseursalons. Sarac öffnet in einem engen schwarzen T-Shirt die Tür seines Ladens "Hair by Bruno Crew" in Wien-Margareten. Dass er nun, wie alle Friseure, geschlossen halten muss, tue ihm weh, das Geschäft nach Weihnachten wäre wichtig.

Muhammed Sarac: "Mit dem Namen Muhammed muss man den Leuten etwas beweisen, ich muss ihnen schon zeigen, dass ich auch gut bin."
Foto: Stefan Joham

Sarac wurde vor 43 Jahren als Sohn türkischer Eltern in Wien geboren, "ein österreichischer Muhammed", wie er sagt. Seinen Vornamen würden ihm die Kunden nicht vorwerfen, erzählt er, dieser werde nur oft verwechselt. "Ich war bei meinen Kunden schon der Ali, der Mustafa, der Mehmet oder einfach 'der Türke'", sagt Sarac und lächelt. "Wenn jemand Ali zu mir sagt, dann bin ich halt der Ali, was soll ich tun?" Außerhalb seines Friseursalons, wo die Leute ihn nicht kennen, ist Sarac' Welt eine andere. "Mit dem Namen Muhammed muss man den Leuten etwas beweisen, ich muss ihnen schon zeigen, dass ich auch gut bin", sagt er. "Einer, der Matthias oder Jürgen heißt, muss nichts beweisen. "

Manchmal bekommt Sarac aber gar keine Chance. Einmal wollte er über das Anzeigenblatt "Bazar" seinen Golf verkaufen. Als er dem potenziellen Käufer die Hand gab und sich als Muhammed vorstellte, wollte der das Auto nicht einmal mehr besichtigen. Ein anderes Mal bemühte Sarac sich um ein Häuschen eines Kleingartenvereins. Mit den Obmännern sei er schon handelseins gewesen, ein Nachbarschaftstreffen später habe es plötzlich geheißen, die Reihung der Bewerber habe sich geändert.

Andere Stimmung

Wenn man mit Günay und Sarac redet, bekommt man das Gefühl, es gebe zwar ein großes Problem in Wien wegen des Namens Muhammed – aber vor allem für die Menschen, die diesen Namen haben und buchstäblich tragen, weil er wie ein schwerer Balken auf den Schultern liegen kann. Die "Krone" ließ ihre Leser im vorigen Jänner dennoch wissen, "Muhammed liegt in Favoriten, Rudolfsheim-Fünfhaus und der Brigittenau an erster Stelle".

Dass in Hietzing der Name David oder in Neubau Leopold führte, war dem Blatt keine Schlagzeile wert. "Warum bringen die Medien diese Geschichte?", fragt sich Muhammed Sarac. "Damit möglichst viele Österreicher denken, ihr Land wird überrannt von den Muslimen?" Der Friseur betont, dass er Österreich möge und sich mit den allermeisten Menschen gut verstehe. Nur bemerke er, dass sich die Stimmung gegenüber seiner Herkunft und seinem Namen gedreht habe. Sein ganzes Leben hat er in Wien verbracht hat, seit 1992 arbeitet er als Friseur.

Muhammed Sarac hat sein ganzes Leben in Wien verbracht, seit 1992 arbeitet er als Friseur.
Foto: Stefan Joham

"Wenn man damals gesagt hat, man kommt aus der Türkei, war das meistens ein nettes Gespräch", erinnert er sich. Nicht erst seit der Flüchtlingskrise 2015, sondern schon seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 habe sich etwas verändert.

Große Last

2017 warf die Krone der Stadt Wien wegen der "Muhammeds" in der Babystatistik sogar Trickserei vor. "Auf der offiziellen Liste der beliebtesten Kindernamen" finde sich "kein Mohammad", in einem internen Ranking der Stadt sehr wohl, empörte sich die auflagenstärkste Zeitung. Die MA 23, zuständig für Statistik, wies dies als "absurd" zurück. Was war tatsächlich geschehen? Mit der MA 23 und der MA 63 (Standesämter) geben zwei Magistratsabteilungen der Stadt jeweils Listen von Kindernamen heraus.

Die MA 63 erstellt das Ranking nach der tatsächlichen Schreibweise. Die MA 23 liefert hingegen auch eine phonetisierte Liste – Namen werden nach ihrer Aussprache zusammengefasst. So werden zum Beispiel "Alexander" und "Aleksandar" addiert. Die Folge: Im Ranking der MA 23 lag Muhammed im Jahr 2016 auf Platz fünf, in der Aufzählung der MA 63 nicht einmal in den Top Ten.

Bei "Muhammed" ist die häufigste Schreibweise in Wien übrigens ebendiese, gefolgt von "Mohammad", "Muhammad" und Mohamed". Die MA 23 widersprach der damaligen Theorie der Krone, die Stadt Wien wolle die Beliebtheit des Vornamens Muhammed verheimlichen, entschieden: Beide Listen, die phonetische und jene mit der genauen Schreibweise, seien auf den Internetseiten der Stadt öffentlich und für jeden zu finden.

"Der Name Muhammed kann als eine Bürde oder als ein Makel empfunden werden, mit dem man durch das Leben geht", erklärt der Soziologe Kenan Güngör, der selbst kurdische Wurzeln hat. In westlichen Ländern neigten das soziale Umfeld sowie auch die Namensträger selbst dazu, Muhammed und andere islamisch klingende Namen abzukürzen. "Dies ist der Versuch, sich im Alltag von einem Stigma zu befreien", sagt Güngör. Der Bäcker Muhammed Günay wird zum Beispiel von seinen österreichischen Freunden Muhi genannt. "Das fällt ihnen wohl leichter", sagt er.

Nichts Negatives

Mohamed Moustafa, ein Wiener mit ägyptischen Eltern, berichtet Ähnliches. Der 40-Jährige, der in Penzing einen hippen Barbershop führt, wird von all seinen Freunden "Motsch" gerufen. Moustafa trägt eine schwarze Jacke und, standesgemäß als Barbershop-Besitzer, einen Hipster-Bart. Im Gegensatz zu Günay und Sarac sei ihm wegen seines Vornamens in Österreich nichts Negatives widerfahren.

"Ich habe einen Vollbart und heiße Mohamed. Bei Verkehrskontrollen oder auf Ämtern zeige ich mich automatisch von meiner besten Seite", sagt er. "Ich will auch den anderen Mohameds in dieser Stadt das Leben nicht schwerer machen." Dass sein Vorname sein eigenes Leben nicht unbedingt vereinfacht, weiß Moustafa nicht erst, seit er an den Flughäfen von Atlanta und Toronto längere Polizeiverhöre absolvieren musste. Auf dem Anzeigenportal Willhaben gab er sich früher den Benutzernamen "Flo".

Mohamed Moustafa: "Ich habe einen Vollbart und heiße Mohamed. Bei Verkehrskontrollen oder auf Ämtern zeige ich mich automatisch von meiner besten Seite."
Foto: Stefan Joham

Diesen hat er mittlerweile auf seinen echten Namen geändert, aus Prinzip. "Mit diesem Namen habe ich jetzt halt einen zusätzlichen Filter für potenzielle Käufer", sagt Moustafa und lächelt.

Günay hat im vergangenen Februar, noch bevor die Pandemie Österreich mit voller Wucht traf, ein zweites Geschäft übernommen, eine Wiener Traditionsbäckerei im Bezirk Alsergrund. Er will das Sortiment dort beibehalten. Im 16. Bezirk verkauft er weiterhin Çörek (süßes Gebäck) und Baklava, im 9. Bezirk nun Punschkrapfen und Topfengolatschen.

"In meinen Betrieben kümmere ich mich um alles", sagt Günay, "ich bin wie ein Schweizer Taschenmesser." Für die FPÖ wird Muhammed Günay dennoch ein "alarmierendes Symptom" bleiben – weil er den falschen Vornamen trägt.

Als Muhammed Sarac seinen Friseursalon verlässt, erzählt er beiläufig, von Spitznamen wie "Muhi" oder "Mo" halte er nichts: "Muhammed ist doch ein schöner Name, wie auch David oder Markus." Aber über seiner Tür fällt ein kleines silbernes Schild auf, dort steht nur "Inh. M. Sarac". Nicht "Muhammed"? Der Friseur nickt. "Ich will halt nicht, dass jemand deshalb nicht in den Salon kommt", sagt er. (Lukas Kapeller, 9.1.2021)