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Die OECD empfiehlt einen schnelleren Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft.

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Berlin/Wien – Das Coronavirus und die Einreisebeschränkungen haben zu einem starken Rückgang bei der Migration geführt. Die Zahl neuer Visa und Aufenthaltsgenehmigungen sank in den OECD-Ländern in der ersten Jahreshälfte 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 46 Prozent. Im zweiten Quartal betrug der Rückgang sogar 72 Prozent, in Österreich waren es 40 Prozent. Der OECD-Experte Thomas Liebig sprach am Montag bei der Präsentation des OECD-"Migrationsausblicks 2020" von einem "historischen Rückgang".

Gleichzeitig warnte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aber vor einer Integrationskrise, weil gerade Zuwanderer und Menschen mit Migrationshintergrund von der Pandemie besonders stark betroffen seien. Das Infektionsrisiko sei zwei- bis dreimal so hoch wie bei im Inland Geborenen, sagte Liebig. Das liege daran, dass Migranten häufiger in beengten Wohnverhältnissen und in stärker bewohnten Gegenden wohnen, mehr öffentliche Verkehrsmittel nutzen, weniger Zugang zu Telearbeit haben und häufiger in systemrelevanten Berufen tätig seien.

Migranten überproportional betroffen

Außerdem hätten Migranten durch die Corona-Krise ein höheres Risiko, Arbeitslosigkeit ausgesetzt zu sein, so Liebig. In allen Ländern, für die Daten verfügbar sind, ist die Arbeitslosigkeit unter den Zugewanderten laut OECD stärker gestiegen als unter den im Inland Geborenen. In Österreich entfielen 41 Prozent des anfänglichen Anstiegs der Arbeitslosigkeit auf Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft. "Das gilt in Deutschland und Österreich besonders für Flüchtlinge." Als Gründe führte der Experte etwa instabile Arbeitsverhältnisse und eine kürzere Betriebszugehörigkeit von Migranten an. Gleichzeitig erklärte er: "Diskriminierung nimmt in wirtschaftlichen Krisenzeiten zu." Für das Finden eines neuen Arbeitsplatzes seien Netzwerke wichtig, über die Neuzugewanderte weniger verfügen.

Ein Problem könnte die Situation zu Beispiel für den medizinischen Bereich darstellen, denn dort stellen Zuwanderer einen besonders hohen Teil des Fachpersonals dar. Im OECD-Durchschnitt stamme ein Viertel der Ärzteschaft aus dem Ausland – in Deutschland etwa ein Fünftel, in Österreich ein Sechstel und in der Schweiz sogar fast die Hälfte. Ähnlich sieht es bei den Krankenpflegekräften aus: Ein Fünftel von ihnen in Österreich sind Immigranten – ein Sechstel in Deutschland und ein Drittel in der Schweiz. Außerdem stellen Zuwanderer in vielen OECD-Ländern über ein Drittel der Beschäftigten im Verkehr, im Reinigungsgewerbe, in der Nahrungsmittelindustrie und bei IT-Dienstleistungen. In Österreich liege ihr Anteil in diesen Sektoren jeweils bei mindestens einem Viertel.

OECD empfiehlt schnelleren Zugang zur Staatsbürgerschaft

Laut OECD wird es voraussichtlich noch längere Zeit dauern, bis beim Thema Zuwanderung wieder das Vorkrisenniveau erreicht wird. Das liege einerseits an der geschwächten Arbeitsnachfrage und andererseits an den weiterhin strengen Reisebeschränkungen sowie der Zunahme von Telearbeit unter Hochqualifizierten und Fernunterricht für Studierende.

Die Pandemie bedrohe die Fortschritte, die bei der Arbeitsmarktintegration in den vergangenen zehn Jahren erreicht wurden, warnte Liebig. Die OECD ruft deshalb dazu auf, die Gesundheit und Sicherheit aller Beschäftigten in systemrelevanten Wirtschaftsbereichen zu gewährleisten und ausreichend Mittel für die Integration bereitzustellen. Dies sei Voraussetzung, damit Migranten weiter zum gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben beitragen können. Liebig regte auch an, die Leistung von Migranten in der Pandemie besonders zu würdigen, etwa durch Integrationspreise oder den schnelleren Zugang zur Staatsbürgerschaft. (APA, red, 19.10.2020)