Axel Melchior war im Wahlkampf 2019 ÖVP-Bundesgeschäftsführer, jetzt ist er Generalsekretär. Vom Bericht des "Falter" habe er sich ungerecht behandelt gefühlt, sagte er vor Gericht.

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Wien – Beim ersten Termin des Prozesses der ÖVP gegen den "Falter" im Februar hatte "Falter"-Anwalt Alfred Noll noch die schlechte Aussicht aus dem damaligen Saal im Handelsgericht beklagt. Für den zweiten Termin am Montag hatte sich Richterin Christiane Kaiser für einen neun Stöcke tiefer gelegenen, dafür aber weitaus größeren Saal eingesetzt – freilich nicht, um Nolls ästhetische Wünsche zu sabotieren, sondern um "möglichst viele Babyelefanten" zu garantieren, wie sie stolz verkündete. Da ein Vergleich zwischen den Parteien auch in den Monaten der Corona-Hochphase nicht zustande gekommen war, musste am Montag die ÖVP-Führungsspitze in Gestalt von Innenminister Karl Nehammer und Generalsekretär Axel Melchior aussagen.

Anonyme Quelle

Stein des Anstoßes ist ein Artikel von vergangenem September, in dem "Falter"-Journalist Josef Redl – er war ebenfalls als Zeuge geladen – mitten im Wahlkampf über interne Dokumente aus der ÖVP-Buchhaltung aus anonymer Quelle berichtet hat. Aus diesen Informationen ging laut "Falter" hervor, dass die Volkspartei im Wahlkampf 2019 – wie schon 2017 – mit einer Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenze von sieben Millionen Euro kalkuliere und mittels einer zweigeteilten Buchführung die wahren Ausgaben künstlich kleinrechne. Die ÖVP hatte die Zeitung daraufhin auf Unterlassung, eine entsprechende Veröffentlichung sowie Kostenersatz geklagt.

Anfänglich warfen ÖVP-Politiker dem "Falter" die Publikation manipulierter Zahlen vor, das ist mittlerweile vom Tisch, wie auch ÖVP-Anwalt Werner Suppan zur Eröffnung der Verhandlung sagte. Mittlerweile steht fest, dass die geleakten Dokumente tatsächlich authentische Aufzeichnungen der ÖVP widerspiegeln. Über die Schlüsse, die man aus diesen ziehen darf, besteht hingegen weiterhin Dissens.

ÖVP gab Wahlkampfkosten von 5,6 Millionen bekannt

Um die Vorwürfe der Gesetzesübertretung zu widerlegen, gab Suppan die Abrechnung für den Wahlkampf 2019 preis – "exklusiv für das Gericht und den 'Falter'", wie er sagte. Die Exklusivität hielt aber nur gar kurz, denn die Partei veröffentlichte wenig später eine Presseaussendung gleichen Inhalts. Demnach habe die ÖVP nur rund 5,6 Millionen Euro ausgegeben, was klar unter der gesetzlichen Schranke liegt. Dieses Zahlenwerk muss allerdings noch von zwei Wirtschaftsprüfern überprüft und vom Rechnungshof bestätigt werden; es widerspricht aber jedenfalls einem jüngst veröffentlichten Gutachten im Auftrag des Parteientransparenzsenats, das sehr wohl eine Überschreitung nahelegt.

Als erster Zeuge nahm dann Innenminister Nehammer Platz, der während des Wahlkampfs Generalsekretär der Partei war. Er versuchte zu erläutern, dass es sich gleichsam um eine artfremde Klage handle, schließlich sei es "nicht unsere Art, Medien zu klagen". In diesem Ausnahmefall habe ihn aber die Unterstellung gestört, dass die ÖVP bewusst die Wahlkampfkostenobergrenze zu sprengen gedachte – und das, obwohl er sich so bemüht habe, dass sich 2017 nicht wiederholt, als die ÖVP fast das Doppelte des Erlaubten ausgegeben hatte und dafür knapp eine Million Euro Buße zahlen musste.

Das Chaos von 2017

Als der Ex-Abgeordnete Noll dann allerdings in amikalem Tonfall ("Sehr geehrter Herr Minister, lieber Karl") mit Nehammer die Details der zweigeteilten Buchungsliste durchgehen wollte, war von Nehammer nicht viel zu erfahren. Warum etwa die Ausgaben der Bundespartei für Luftballons alle unter der Rubrik Nichtwahlkampf stehen, obwohl doch im Wahlkampf reichlich Luftballons verwendet wurden, konnte sich Nehmammer nicht so recht erklären, er sei aber nur für die groben Zahlen und nicht für die Feinheiten zuständig.

Mehr Einblick gab es vom Chefbuchhalter der ÖVP, über dessen Schreibtisch alles Geld in der Partei fließt, wie er in seiner Job-Description anführte. Er wurde etwa gefragt, wozu die ÖVP ein internes Dokument mit dem Titel "Nationalratswahl 2019" führte, in dem es auch eine Spalte für Nichtwahlkampfkosten gibt. Der Buchhalter begründet dies mit der zweifachen Funktion der darin enthaltenen Liste. Sie diene sowohl der Liquiditäsplanung als auch der Übersicht über die Wahlausgaben. Sollte sich im Endeffekt herausstellen, dass die budgetierten Posten nicht in der richtigen Rubrik einsortiert wurden, könne man immer noch umbuchen. Seit wann man in der ÖVP auf diese Weise kalkuliere, ist dem Buchhalter nicht geläufig. Spannend gestaltete sich des Buchhalters Erinnerung an den Wahlkampf 2017. Ein internes finanzielles "Chaos" habe da geherrscht, als es Neuwahlen gab und die Kurz-Truppe die ÖVP übernahm. Daher sei er schon im Wahlkampf 2017 überzeugt gewesen, dass die Wahlkampfkosten über sieben Millionen liegen müssen. Der Aufseher der türkisen Parteikasse ahnte also schon stark vom Gesetzesbruch, während zeitgleich ÖVP-Politiker medial stets beteuerten, man halte sich auf jeden Fall ans Gesetz.

Freundschaftsbänder nach Graswurzelmethode der ÖVP

Nach ihm kam Ex-ÖVP-Bundesgeschäftsführer und Generalsekretär Axel Melchior dran. Er argumentierte, dass schon aus ökonomischen Gründen ein überschießendes Wahlkampfbudget nicht möglich gewesen sei, da die finanzielle Lage der Partei mau war. Selbst die maximal legalen sieben Millionen hätte man sich nicht leisten können. Unter seiner Ägide habe man aus Sparsamkeitsgründen einen "Grassroots-Wahlkampf" geführt – einen "Wahlkampf, der von unten heraufkommt", wie er der Richterin erklärte. Als Beispiel nannte er von Aktivisten selbstgebastelte türkise Freundschaftsbändchen, wobei die Anleitung zu deren Fertigung ironischerweise von oben ausgeschickt wurde.

Nächster Termin im Oktober

Ein wiederkehrendes Thema des Prozesses waren die budgetierten "Wahlprämien". In den ÖVP-Dokumenten scheinen diese unter der Rubrik "Nichtwahlkampf" auf. Noll versuchte, einen semantischen Widerspruch herauszuarbeiten: "Etwas, das 'Wahlprämie' heißt, muss doch wohl etwas mit dem Wahlkampf zu tun haben. Wieso ist das nicht unter Wahlkampfkosten verbucht?" Melchiors Replik: Es handle sich um Erfolgsprämien, die an ständige Mitarbeiter der Partei (und nicht an Wahlkampfhelfer) ausgezahlt würden. Der Begriff "Wahlprämie" meine nur, dass die Prämie in einem Wahljahr ausgeschüttet wurde.

Geklärt ist die Sache damit nicht, im Oktober geht der Prozess weiter. Geladen sind der ehemalige Pressesprecher der ÖVP sowie die Mediensachverständige Barbara Sommerer, die ein Gutachten über die Wahlausgaben der ÖVP für den Parteientransparenzsenat verfasst hatte, das die ÖVP für "ungeeignet und falsch" hält. (Theo Anders, 22.6.2020)