Anna Veith mit ihrer Trophäensammlung.

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Schladming/Rohrmoos/Wien – Das Erwartete hat sich am Samstag bestätigt. Das vor rund einem Jahr neu entflammte Feuer ist nun doch langsam erloschen. Anna Veith hängt ihre Rennlatten tatsächlich an den Nagel. Die Olympiasiegerin, dreifache Weltmeisterin und zweifache Gesamtweltcupsiegerin verkündete am Samstagabend im ORF-Gespräch mit Alexander Meissnitzer ihren Rücktritt als Skirennläuferin. "Ich bin glücklich, dass ich heute meine Karriere gesund und erfolgreich beenden kann", sagte die 30-jährige Salzburgerin. "Ich habe meinen Kindheitstraum gelebt. Ich bin sehr stolz auf das, was ich erreicht habe. Aber ich weiß auch, wie viele Mühen und Entbehrungen dazu gehört haben. Meine Leidenschaft für den Sport hat mich immer angetrieben, ich habe alles gegeben und die harte Arbeit wurde immer belohnt."

Die Entscheidung sei im vergangenen Winter allmählich gereift, als ihr klar wurde, dass Rennfahren für sie nicht mehr denselben Sinn ergeben würde wie früher. Grundsätzlich sei aber "ein Mix aus vielen kleinen Dingen ausschlaggebend" gewesen. So werde es zum Beispiel immer schwieriger, hundertprozentig fit zu sein. "Den Schlussstrich zu ziehen ist mir nicht so schwer gefallen", sagte die 30-jährige Salzburgerin bei der Sendung in ihrem Hotel in Rohrmoos. "Es ist der richtige Zeitpunkt. Ich freue mich auf Veränderung."

Konkrete Ziele für die Zeit danach nannte sie nicht. Sie möchte ihre Werte weiterverfolgen, die Jugend unterstützen und ihre Erfahrungen weitergeben. Ein Trainerjob im klassischen Sinne sei für sie nicht vorstellbar, sie wolle nun erst einmal zuhause "Wurzeln schlagen".

Tränen

Zu Tränen gerührt zeigte sich Veith nach Video-Botschaften von Wegbegleiterinnen wie Michaela Kirchgasser, der Deutschen Maria Höfl-Riesch, der Slowenin Tina Maze und der Schweizerin Lara Gut-Behrami, die sie als sympathische Kollegin, große Sportlerin und "unglaublichen Menschen" würdigten. Neben ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel, der Veiths Rücktritt bedauerte, sie als Ausnahme-Athletin, an die man sich lange erinnern wird, lobte und ihr alles Gute für den neuen Lebensabschnitt wünschte, meldete sich auch Marcel Hirscher zu Wort: "Gute Entscheidung, du wirst es genießen. Du warst uns allen ein Vorbild. Ich wünsche dir das Beste für die Zukunft."

Mit Hirscher verbindet Veith einiges. Beide wurden in Hallein geboren, sie fuhren nicht nur als Kinder gemeinsam Rennen, sie drückten auch in der Hotelfachschule Bad Hofgastein gemeinsam die Schulbank, bevor sie im Weltcup reüssierten. 2014 holten sie beide Großes Kristall für den Gesamtweltcup. Es war Hirschers dritter von acht Streichen en suite, Veiths Erster von zwei in Folge.

"Zum Erfolg gibt es keinen Lift. Man muss sich selbst bewegen", steht auf der Startseite des Internetauftritts von Österreichs dreimaliger Sportlerin des Jahres (2013, 2014 und 2015) und Preisträgerin des Skieur d'Or (2014 und 2015). Und weiter: "Anna Veith. Stilvoll, kämpferisch und elegant." Eine Beschreibung, die durchaus zu der Rennläuferin mit dem lila Helm im Gepardendesign ("Ich bin ein Geschwindigkeits-Junkee") passt. "Natürlich und bodenständig" könnte man noch ergänzen.

Kontakt

Starallüren sind den Skistars generell und waren auch Veith stets fremd. Das bekam etwa der Standard 2014 in Sölden zu spüren, als der Redakteur im Außendienst als einziger Medienbeauftragte nicht ganz zufällig ein intimes Fotoshooting des Ausrüsters Head crashte und das muntere Treiben mitverfolgen durfte. Aksel Lund Svindal (NOR) beliebte trotz eben beim Fußballspiel gerissener Achillessehne zu scherzen, Ted Ligety (USA) war guter Dinge, seinen vierten Söldensieg zu schaffen (Am folgenden Rennsonntag war dann aber doch Hirschers Feiertag). Höfl-Riesch schien der erste Saisonauftakt nach ihrem Rücktritt nicht im geringsten zu irritieren, Julia Mancuso (USA) gab eine Art übermütigen Clown und Veith, damals noch Fenninger, die in der Vorsaison im Duell mit Höfl-Riesch erstmals den Gesamtweltcup holte, stellte den beim Schnabulieren von links liegen gelassenen Lachsbrötchen ertappten Redakteur charmant lächelnd zur Rede: "Na, hast dich reingeschwindelt?"

Zwei Tage später sollte Veith ex aequo mit der US-Amerikanerin Mikaela Shiffrin den Riesentorlauf am Rettenbachferner gewinnen und damit den fünften Erfolg in dieser Disziplin in Serie schaffen. Bei der Ski-WM in Vail/Beaver Creek 2015 avancierte sie zur Doppelweltmeisterin (Super-G und Riesenslalom) und holte sich Silber in der Abfahrt. Am Ende der Saison fixierte sie nach einem packenden Duell mit Maze zum zweiten Mal Großes Kristall für den Gesamtweltcup. Das Werkel schien perfekt zu laufen, doch zu dieser Zeit übten längst die Querelen mit dem ÖSV einen störenden Einfluss auf die Ambitionen der Salzburgerin aus.

Aufbegehren

Veith forderte eine bessere Betreuung, ähnlich jener, wie sie Hirscher genoss, und spielte gewissermaßen mit dem Feuer, weil ihr deutscher Manager, Klaus Kärcher, just mit Mercedes, der Konkurrenz des ÖSV- und Weltcupsponsors Audi, verhandelte. Als der monatelang schwelende Konflikt aus der Welt geschaffen wurde, sollte zu Saisonbeginn 2015 der Startschuss zu einer neuen Siegesserie erfolgen, stattdessen aber begann die Verletzungsmisere: Kreuzbandriss unmittelbar vor dem Auftakt in Sölden.

Auch heute würde sie einem Konflikt wie jenem mit dem ÖSV nicht aus dem Weg gehen. "Für mich war es in der Phase wichtig, für etwas zu stehen, meine Meinung zu vertreten. Ich wollte etwas erreichen und habe das auch erreicht. Die Verletzung danach möchte ich nicht darauf zurückführen", sagte Veith.

Nach dem Comeback sollte sie allerdings nur noch ein einziges Mal ganz oben stehen, nämlich im Dezember 2017 beim Super-G in Val d'Isere. 1001 Tage nach ihrem bis dahin letzten Sieg im Riesentorlauf, der ihr 2015 beim Weltcupfinale in Meribel gelang, holte sie ihren 15. Weltcuptriumph. Den ersten feierte sie 2011 beim Riesentorlauf in Lienz, nachdem sie in Garmisch-Partenkirchen bereits zu WM-Gold in der Super-Kombination gerast war.

Olympia

Denkbar knapp ging es 2018 in Pyeongchang her, als die Super-G-Olympiasiegerin von Sotschi 2014 ihre zweite Olympia-Goldene um eine Hundertstel verpasste und der Tschechin Ester Ledecka überlassen musste. Veith: "Der emotionalste Tag in meiner Karriere, ähnlich wie Val d'Isere 2017." Davor habe sie eine große Unsicherheit verspürt, "ob es nochmal möglich sein wird, erfolgreich zu werden."

Mit dem neuerlichen Kreuzbandriss im Jänner 2019 schien sich das Karriereende anzubahnen, doch Veith wagte noch einmal ein Comeback, verkündete vor rund einem Jahr auf der Wiener Donauinsel, weitermachen zu wollen. "Es ist ein neues Feuer entflammt", sagte sie damals. 2019/20 schaffte sie allerdings nur bei den Super-G in Bansko (Zehnte) und Rosa Khutor (Siebente) Top-Ten-Platzierungen. Ihren letzten von 46 Weltcup-Podestplätzen holte sie als Zweite beim Super-G in Crans-Montana im März 2018.

In der Corona-Krise blieb Veith nicht untätig, mit der Hilfsaktion #annahilft unterstützt sie durch Online-Verlosungen handsignierter Ausrüstungsgegenstände den Corona-Nothilfefonds der Caritas #wirhelfen für Menschen in Notlage.

Träume

Ganz wichtig sei für sie, "von etwas träumen zu können". Ihre Träume hätten sich in den vergangenen Jahren allerdings verändert. Wichtig sei ihr auch, weiterhin "authentisch" zu sein. Fehlen werde ihr, "konkrete Ziele zu verfolgen", selbstverständlich auch das Team. Und die "Kicks und Adrenalinschübe" einer Rennfahrerin. (Thomas Hirner, 23.5.2020)