New York City steht weiterhin im Zentrum der Coronakrise in den Vereinigten Staaten mit der höchsten Konzentration von Infektionen und Todesfällen. Die Stadtverwaltung versucht sicherzustellen, dass die ärmsten Bevölkerungsgruppen in dieser äußerst schwierigen Lage versorgt sind und Zugang zum Notwendigsten haben. Es werden beispielsweise tägliche Gratismahlzeiten für alle New Yorker an 400 Orten in der ganzen Stadt ausgegeben. Schulkinder können nach wie vor in die Schulen kommen, um dort ihr Essen abzuholen. Die Bevölkerung wird durch Textnachrichten über diese und andere Maßnahmen informiert. In den letzten Tagen rückte dieses Nachrichtensystem außerdem eine besorgniserregende versteckte Begleiterscheinung häuslicher Quarantäne ins Bewusstsein, nämlich die Zunahme häuslicher und sexueller Gewalt. „Wir wissen, dass ein Zuhause nicht immer Sicherheit bietet. Sie sind nicht allein. Opfer häuslicher Gewalt können sich an die folgenden Stellen wenden“, lauten die Textnachrichten und die Nummer einer Hotline wird angegeben. Auch befürchten Experten ein Ansteigen von familiärer Gewalt gegen Kinder, die in ihrer momentanen Isolation überhaupt keine Möglichkeit haben, Hilfe zu suchen.

Menschen, die in medizinischen Bereichen arbeiten, sind die Helden der Stunde. Täglich um 19.00 Uhr öffnen New Yorker ihre Fenster, klatschen, rufen oder klopfen auf Töpfe, um ihre Dankbarkeit für den fast übermenschlichen Einsatz von Krankenschwestern, Pflegern, Krankenwagenfahrern oder Ärzten auszudrücken. Ein befreundeter Filmproduzent, dessen Frau Ärztin im Elmhurst Hospital Center in Queens ist, das sehr schwer von der Krise getroffen wurde, hat dazu ein Video gemacht.

Hier noch ein weiteres Video: We clap because we care.

Guardian News

Österreicher berichten

In den USA und in Kanada lebende Auslandsösterreicher und ein Südtiroler haben mir ihre Erfahrungsberichte zur momentanen Krise zugeschickt. Petra lebt in einer ländlichen Gegend eineinhalb Stunden nördlich von New York und macht sich Sorgen um das Ansteigen der Arbeitslosigkeit. Wolfgang berichtet, dass in San Francisco Cannabis Geschäfte als systemrelevant eingestuft und somit offen sind. Angelika schickt einen Lagebericht aus Chicago, Dominik aus Dallas, Marion und David aus Vancouver.

New York State

Petra lebt mit ihrem Mann seit 13 Jahren zwischen Albany und New York City in Upstate New York in einem kleinen Dorf. Sie wohnt in einem 230 Jahre alten Holzhaus mit Obst- und Gemüsegarten.

„Leider haben viele in den letzten Wochen ihren Job verloren und so haben wir schon ein Schloss an der Garage angebracht. Wir werden die verschiedenen Aussentüren mit eingelegten Glasscheiben verstärken, weil wir glauben, dass es nicht lange dauern wird, bis Leute ans Einbrechen denken werden. Das Leben in einer Gesellschaft, von der man als Individuum nur hängengelassen wird, ist in Österreich nicht wirklich vorstellbar. So etwas wie Mindestsicherung gibt es nicht, oder Urlaub, den man zu bekommen hat. Wir haben sogar vor einer Woche daran gedacht, uns ein Gewehr zuzulegen, aber wir haben zu lange gewartet. Jetzt sind alle ausverkauft. Immerhin hat Aldi wieder Klopapier.

Es gibt viele Leute, die keine Ahnung haben und komplett uninformiert sind. Hier läuft bei vielen den ganzen Tag der Fernseher. Falls sie Fox News schauen, haben sie wahrscheinlich noch immer keine Ahnung vom Ernst der Lage. Heute stand in der Zeitung, dass Patienten ohne Versicherung mit einer Krankenhausrechnung von über 70.000 Dollar rechnen müssten (Quelle: Business Insider). Sogar mit Krankenversicherung hätten wir mehrere tausend Dollar Selbstbehalt. Die Mutter meines Mannes hat das als Blödsinn abgetan und liegt jetzt im Bett mit, wie wir hoffen, einer Erkältung. Leider wollen die Ärzte hier keinen Test machen, weil es einfach nicht genug Tests gibt. 

Und so warte ich ab, was die Zukunft bringt. Man versucht positiv zu denken, aber das ist schwierig.  Am Tag, als ich das E-Mail vom Außenministerium bekommen habe, das auf letzte Flüge nach Österreich hingewiesen hat, habe ich geweint. Es könnte ja sein, dass das eine verpasste Chance war, einer sehr dunklen Zukunft zu entkommen.”

Gesperrter Spielplatz im Hudson Valley.
Petra

San Francisco

Wolfgang ist Südtiroler und lebt mit seiner Familie seit zehn Jahren in San Francisco. Er arbeitet als Biologe an der dortigen Universität.

„Generell bin ich erstaunt, wie langsam sich das Problem hier in der Bay Area entwickelt hat. Wir sind mit China sehr eng durch die zahlreichen hier lebenden Chinese-Americans verbunden, sowohl wirtschaftlich als auch privat. Auch ist der Anteil an Ausländern sehr hoch, die häufig beruflich verreisen, wie zum Beispiel Leute aus dem Hightech-Bereich im Silicon Valley. Die Dunkelziffer an Coronavirus-Infizierten ist sicher gewaltig hoch, da die Testanzahl immer noch relativ gering ist. Die lokale Politik reagierte dann aber recht schnell und setzte sehr früh harte Schritte, wie die Aussetzung des Schulbesuchs. Dann folgte rasch die Schließung von Restaurants und anderen Betrieben, sowie die Einführung des 'Shelter in Place‘. Zu den wenigen Geschäften, die als 'wesentlich' eingestuft und daher noch geöffnet sind, gehören die Cannabis-Shops. Offensichtlich ist die Stadtverwaltung der Meinung, dass die Bevölkerung ein wenig Beruhigung brauchen kann.

Unsere Kinder, die öffentliche Schulen besuchen, erhalten täglich ein relativ umfangreiches Paket an Hausaufgaben, das sie den ganzen Vormittag über beschäftigt. Wir haben Glück. Unsere Lehrer sind zum Großteil sehr engagiert. Die Kinder verwenden Chromebooks, die ihnen von der Schule gratis zur Verfügung gestellt wurden. Man könnte von der Schule auch Nahrungsmittel gratis beziehen, wenn man wollte. Es gibt natürlich auch hin und wieder Viodeokonferenzen der ganzen Klasse, oder der Lehrer schreibt persönliche Emails, um sich nach dem Wohl der Kinder zu erkundigen. Allerdings ist diese Erfahrung nicht allgemeingültig. Es gibt leider auch Schulen, die weitaus schlechter organisiert sind, oder Lehrer, die nur ein Minimalprogramm bieten.

Vor wenigen Tagen wurde der Zugang zu den meisten Parks und Grünanlagen stark eingeschränkt, da am Wochenende zu viele Städter ins Grüne geflüchtet sind. Wir wohnen zum Glück nur um die Ecke vom pazifischen Ozean, und daher gehen wir dort öfter spazieren. Man sieht immer noch relativ viele Surfer im Wasser, so ist halt Kalifornien! Die meisten Strandbesucher schlendern recht brav mit Respektabstand zu anderen am Wasser entlang.” 

Ocean Beach bei San Francisco
Wolfgang

Chicago

Angelika lebt seit 18 Jahren mit ihrer Familie in Chicago im Bundesstaat Illinois. Sie stammt ursprünglich aus Wien und kam vor 20 Jahren nach Chicago, um zu studieren. Angelika ist Psychologin, ihr Mann Sonderschullehrer an einer Privatschule in einem armen Vorort Chicagos.

„Die jetzige Situation ist eindeutig überwältigend. Seit zweieinhalb Wochen lernen meine Kinder von zu Hause via E-Learning. Auch mein Mann und ich arbeiten zu Hause. Da meine Mutter in einem Wiener Altersheim ist, das schon einen Covid-19 Krankheitsfall hatte, machen wir uns natürlich Sorgen um sie. Für mich persönlich ist die Sorge um meine österreichische Familie das Schlimmste. Besonders das Wissen, dass es keine Flüge mehr nach Österreich gibt, ist schon sehr belastend. Der Gedanke, dass ich meine Mutter, falls sie krank wird, nicht besuchen kann, oder dass ich zu einem etwaigen Begräbnis nicht zurückfliegen könnte, zehrt schon sehr.

Wir sind froh, dass wir, im Gegensatz zu vielen anderen Amerikanern, eine gute Krankenversicherung und bis jetzt noch unsere Jobs haben. Diese beiden Dinge sind hier keine Selbstverständlichkeit. Mehrere meiner Bekannten und Freunde bangen um ihre Jobs und diejenigen, die als Ärzte arbeiten, müssen mit unglaublichen Situationen umgehen. Viele machen sich nicht nur Sorgen darüber, ob sie selbst krank werden, sondern auch, ob sie den Virus zu ihren Familien bringen. Da ich für das Chicagoer Rote Kreuz fürs Kriseninterventionsteam ehrenamtlich arbeite, sehe ich auch dort, wie sehr diese Virussituation Menschen existenziell und psychologisch betrifft.”

Leere Highways, Chicago
Angelika
Dankesschild fuer medizinisches Personal.
Angelika

Dallas

Dominik lebt seit 1998 in Dallas, Texas. Er arbeitet im Technikbereich.

“Dallas ist strukturell weniger exponiert als andere Städte, da hier alles auf das Auto ausgerichtet ist und es relativ einfach ist, sich von den Mitmenschen zu isolieren. Dallas ist wirtschaftlich stark von der Pandemie betroffen. Zwei riesige Fluglinien sind hier beheimatet, American Airlines und Southwest. Dazu kommt noch die Restaurantsparte, die in Dallas sehr wichtig ist und jetzt stark leidet. Es wurden hier fast die gleichen Maßnahmen wie von der österreichischen Regierung mit einer fast identischen Strategie umgesetzt, allerdings zu einem Zeitpunkt, zu dem es nur ein paar Covid-19 Fälle gab. In meinem Bekanntenkreis kenne ich nur eine Person, die an Covid-19 erkrankt ist. Es ist ein fitter 35-Jähriger ohne Vorerkrankungen, der seit zehn Tagen unter Narkose am Beatmungsgerät hängt.

Mein Arbeitgeber hat schon seit langem Arbeitsreisen gestrichen und dann seit Anfang März Heimarbeit angeordnet. Ich arbeite hauptsächlich mit Firmen in China zusammen und habe die Situation daher seit dem Chinese New Year sehr stark in meiner täglichen Büroarbeit gemerkt. Jetzt sind meine Kunden in China fast alle wieder voll aktiv und ich bin ziemlich gut ausgelastet. Mein 'significant other' ist im Gesundheitswesen angestellt und muss daher wie gehabt arbeiten. Das Spital hat im Gegensatz zu den Berichten aus NYC noch keine Kapazitätsprobleme, aber N95-Masken sind seit dem Ausbruch der Pandemie unter Inventurkontrolle und weggesperrt.

In den USA gibt es schon ein soziales Netz, es ist allerdings nicht ganz so engmaschig wie in Österreich. Adäquat ist es für die Senioren und die sehr Einkommensschwachen (Medicare und Medicaid). Das Netz ist großmaschig für Selbständige, die sich Selbstvorsorge leisten könnten, es aber nicht tun. Die sind speziell jetzt in einer schwierigen Situation.  Arbeitslosenversicherung ist zumeist vorgeschrieben. Daher sind fast alle Angestellten, die wegen der Covid-19-Maßnahmen den Job verloren haben, dazu berechtigt, Arbeitslosengeld zu beziehen."

Leere Station in Dalllas.
Dominik
Beim Einkaufen in Dallas werden Masken getragen und die Einkaufswägen desinfiziert.
Domink
White Rock Lake Park, Dallas. Hier trainiert Dominik für Marathons.
Dominik

Vancouver

David und Marion leben in Vancouver, Canada. David ist Amerikaner, Marion Österreicherin. Sie sind beide im Gesundheitsbereich tätig. Vor kurzem wollten sie ihrem in Österreich lebendem Sohn ein Paket schicken, wurden aber informiert, dass Österreich zur Zeit keine Pakete annimmt.

”Wir haben grosses Glück, denn mein Mann hat einen sicheren Job, den man bei diesen Mietpreisen hier unbedingt benötigt. Auch ich wurde nicht gekündigt und bekomme alle 14 Tage meinen Scheck. Alle Arbeitgeber, die ihre Angestellten nicht kündigen, bekommen 75 Prozent des Gehaltes vom Staat ersetzt und die restlichen 25 Prozent bezahlt der Arbeitgeber in dieser Covid-19-Krise. Wir haben nicht unbedingt eine Ausgangssperre hier, aber es wird in den Nachrichten immer wieder gesagt, dass man unbedingt Zuhause bleiben und nur zum Einkaufen oder Arbeiten sein Zuhause verlassen soll. Alle Parks und Spielplätze sind gesperrt. Wir leben hier in Nord Vancouver im Lynn Valley. Es gibt wunderschöne Wanderwege, da wir direkt an der Waldgrenze leben. Die meisten sind geöffnet, aber es werden die Parkplätze kontrolliert und nur noch eine limitierte Anzahl von Autos dürfen direkt in das Lynn Valley hineinfahren. Es sind auch überall Info-Zettel angebracht, dass man Abstand halten und aufeinander Rücksicht nehmen soll. Wir müssen hier beim Einkaufen keine Masken tragen, aber wenn man in das Geschäft hineingeht, werden die Hände mit Desinfektionsmittel besprüht. Alle Restaurants und Cafes, Friseure, Nailsalons und Büchereien sind geschlossen. Wenn man zum Arzt will muss man vorher anrufen oder man wird nur telefonisch beraten.

In den Krankenhäusern scheint alles unter Kontrolle zu sein. Die meisten Toten sind hier in British Columbia in den Altersheimen. Nicht weit entfernt von uns befindet sich ein Care-Home, in dem es bereits elf Todesfälle gibt. Im Vancouver Stadtteil East Hastings leben sehr viele Drogenabhängige und Obdachlose. In den Nachrichten wurde berichtet, dass man besorgt ist, dass sich dort das Virus ausbreiten könnte. Es wurden Hotels zur Verfügung gestellt, die diesen Menschen in Not helfen. Ansonsten muss ich sagen, dass mich diese Gegend immer wieder entsetzt und ich so etwas von Wien zum Beispiel überhaupt nicht kenne, obwohl die Größe der Stadt ja ungefähr die Gleiche ist.“ 

Social Distancing mit Cougar.
Marion
Kanadische Regeln zum Abstandhalten.
Marion
Social distancing Vancouver
Marion

Aufruf

Liebe Leserinnen und Leser in den USA! Wie geht es Ihnen? Welche Erfahrungen machen Sie in Zeiten des Coronavirus? Wie gehen Sie und Ihre Familie mit der Krise um? Flugverbindungen in die österreichische Heimat gibt es nicht mehr - wie erleben Sie diese emotional schwierige Situation? Ich freue mich, von Ihnen im Forum zu lesen. Oder schicken Sie mir Ihre Erfahrungsberichte oder Fotos an stellaschuhmacher@hotmail.com. Bleiben Sie gesund! (Stella Schuhmacher, 10.4.2020)

Ein kleiner Ostergruss von Daniela Reinsch, Journalistin und Fotografin, seit 20 Jahren in NYC.
Daniela Reinsch

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