Bruno Kreisky hat es erfunden, Sebastian Kurz kehrt ihm jetzt den Rücken zu: das Pressefoyer nach dem Ministerrat, bei dem die Medien die Gelegenheit haben, ihre Fragen unmittelbar an den Bundeskanzler zu stellen. Kreisky sah das als Möglichkeit, sich direkt an die Journalisten zu wenden und das Verhältnis zu den Medien zu verbessern. In der Folge behielten die Bundeskanzler das Pressefoyer bei, gestalteten es aber jeweils anders. Je nach dem Verhältnis zu den Medien wurde Nähe gesucht oder Distanz geschaffen. Unter Viktor Klima (SPÖ) kam die Kordel, um sich die Journalisten vom Leib zu halten. Wolfgang Schüssel (ÖVP) war sehr experimentierfreudig, manches ging ordentlich daneben. Es gab Stehpulte, Fahnen, dann ein beschriftetes UFO auf einem Podium, um die Botschaften an die Erdlinge zu bringen.

Werner Faymann (SPÖ) überlegte, das Pressefoyer abzuschaffen, ihn nervten die Journalisten mit ihren lästigen Fragen. Sebastian Kurz will das Pressefoyer zwar nicht abschaffen, entzieht sich diesem aber. Er lässt den Regierungskoordinatoren oder den Fachministern den Vortritt.

Der Beobachtungszeitraum erstreckt sich auf die Zeit seit der Gründung des STANDARD 1988.

1989

Bundeskanzler Franz Vranitzky im grauen Ecksalon, gleich beim Ausgang des Großen Ministerratssaals. Dort stand auch schon Kreisky, der Erfinder des Pressefoyers.

1995

1997

Der neue Bundeskanzler Viktor Klima setzt die Tradition fort.

1997

Vereinzelt gibt es auch erstmals gemeinsame Auftritte mit Vizekanzler Wolfgang Schüssel.

1997

Im Lauf des Jahres beginnt Schüssel mit eigenen Auftritten in seinem Büro im Bundeskanzleramt.

1998

Viktor Klima wechselt in den Kongresssaal. Das erste und einzige Mal gibt es eine Kordel. Das ist der Beginn der staatsmännischen Inszenierungen. Stehpult und Fahnen tauchen auf.

1998

1999

Auch Schüssel verwendet ein Stehpult in seinem Büro, und die Inszenierungen nehmen zu.

2000

Wolfgang Schüssel, nunmehr Bundeskanzler, verwendet wie Klima Stehpulte, die Anzahl der Fahnen nimmt zu. Die Zeit der gemeinsamen Auftritte mit Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer beginnt.

2001

Erstmals sind auch Fachminister Teil des Pressefoyers.

2003

Nach dem FPÖ-Umsturz in Knittelfeld gibt es mit Herbert Haupt einen neuen Vizekanzler und im Pressefoyer ein neues Setting. Dieser Tisch wurde nur ein einziges Mal so verwendet.

Foto: Matthias Cremer

2003

Eine Woche später präsentiert Schüssel den veränderten Schreibtisch.

2004

Es gibt einen neuen Vizekanzler: Hubert Gorbach. Der Schreibtisch erhält eine neue Beschriftung, und auch die Seitenflügel verschwinden.

2004

Ende des Jahres gibt es den Versuch, das Pressefoyer mit Bildschirm und Powerpoint zu bereichern. Hat sich nicht durchgesetzt.

2007

Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und Vizekanzler Wilhelm Molterer präsentieren sich in ihrem ersten Pressefoyer im Kongresssaal inmitten der Journalistinnen und Journalisten.

2007

2007

Das Bad in der Menge war ein einmaliges Ereignis. Es folgen Auftritte nur mit Stehmikrofon und Blumenschmuck als Hintergrund.

2008

Getrennte Auftritte von Kanzler und Vizekanzler im Kongresssaal und nebenan im Steinsaal. Gleichzeitig.

2008

Bundeskanzler Gusenbauer bleibt in der Regel nun alleine vor der Presse.

2008

Dezember. Ein neuer Bundeskanzler, ein neuer Vizekanzler, ein neues Setting: eine Rückkehr zu Tisch und Fahnen.

2008

Über zwei Jahre präsentieren sich Werner Faymann und Josef Pröll an diesem Tisch.

2011

Mit dem neuen Vizekanzler Michael Spindelegger kommen die Stehpulte wieder, und jetzt neu: der Bundesadler im Hintergrund.

2011

Der neue Hintergrund gibt Gelegenheit für Spielereien.

2011

2011

2013

Der Adler verschwindet, sonst bleibt alles beim Alten.

2014

Ein neuer Vizekanzler, die Dekoration bleibt gleich.

2016

Ein neuer Bundeskanzler: Christian Kern. Erstmals ein Pressefoyer im Steinsaal. Keine Fahnen, kein Tisch, keine Blumen. Funkmikrofone für beide Herren.

2016

Bundeskanzler Kern kündigt zwar an, nicht mehr regelmäßig zum Pressefoyer zu erscheinen, kommt dann aber trotzdem in der ersten Woche. Das einzige Mal, dass dieses Tischlein zum Einsatz kommt.

2016

Das neue Wort: "Debriefing" statt "Pressefoyer". Es folgen regelmäßige Auftritte von Fachministern.

2016

Sporadisch, aber doch immer wieder Auftritte von Kern und Reinhold Mitterlehner.

2017

2018

Der neue Bundeskanzler Sebastian Kurz, der neue Vizekanzler Heinz-Christian Strache und mehr Fahnen als je zuvor beim Pressefoyer im Kongresssaal.

2018

Es kam, wie es kommen musste.

2019

Die Fahnen werden reduziert

2019

Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein hat keinen Auftritt bei einem Pressefoyer. Stattdessen gibt es regelmäßig Pressebriefings mit dem Regierungssprecher Alexander Winterstein in einem Raum des Bundeskanzleramts.

2020

Das Pressefoyer ist wieder zurück, allerdings ohne den Bundeskanzler. Beim ersten Pressefoyer treten Vizekanzler Werner Kogler und Finanzminister Gernot Blümel in ihrer Eigenschaft als Regierungskoordinatoren vor die Presse. Das Setting ist wie zuletzt bei Kurz und Strache.

Fotos: Matthias Cremer