Bild: Red Dead Redemption 2
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DER STANDARD

In Red Dead Redemption 2 wird man im Jahr 1899 zum Outlaw Arthur Morgan, der sich als Teil der Van-der-Linde-Gang auf der Flucht vor Bundesagenten und Kopfgeldjägern und auf der Suche nach einem Land frei von Gesetzen befindet. So darf man sich in einem gewaltigen Minimundus des Wilden Westens horrender Verbrechen bedienen, um der zunehmenden Zivilisierung und Industrialisierung des Landes zu entkommen. Ein Open-World-Action-Blockbuster, der mit beispiellosem Entwicklungsaufwand realisiert wurde und Spieler dutzende Stunden durch einen über weite Strecken zermürbenden Raub- und Mordzug peitscht.

Was ist gelungen?

Red Dead Redemption 2 schafft es besser als jedes andere Spiel bisher, eine glaubhafte, lebendige Welt zu simulieren, deren enorme Dimensionen ebenso imponieren wie die mannigfachen Facetten. Auf die eisigen Gipfel des Nordens haben sich die letzten überlebenden Ureinwohner zurückgezogen. In der satten Prärie suchen Farmer ihr Glück. Im Osten schuften in Kohlebergwerken Tagelöhner, deren Familien die Kannibalen des Waldes fürchten. Im Westen lässt der Reichtum erste Ziegelstädte aus dem Boden sprießen, und im Süden verpesten illegale Schnapsbrennereien ebenso die Sümpfe wie die Schlote des Sündenpfuhls Saint Denis.

Morgan wirft sich für Anführer Dutch Van der Linde in ein Feuergefecht nach dem anderen. Gerät zwischen die Fronten ehemaliger Sklaventreiber, überfällt Banken und Passagiere in Zügen und nimmt es mit korrupten Politikern und schmierenden Ölmagnaten auf. Das ist der zugespitzte amerikanische Albtraum, der die Prachtkulisse mit jedem weiteren Coup stärker erodiert. Mit dem Rücken zur Wand werden die Bandenmitglieder zusammengeschweißt. Ein drogensüchtiger Prediger, eine rachsüchtige Witwe, ein Revolverheld mit Kind und Ehefrau, ein unehrenhaft entlassener Soldat und viele weitere – fast alle erzählen mitreißende Geschichten, wachsen einem ans Herz oder gehen einem auf die Nerven und lassen einen immer tiefer in die Ausweglosigkeit schlittern.

Verwöhnt werden dabei Auge, Ohr und Neugier – durch eine von Hand gemeißelte Landschaft, herzschmerzend eingestreute Countrymelodien und durch die entschleunigende und in Gestalt von Grizzlys, Alligatoren oder Wölfen gefährliche Schönheit der Tierwelt. Anstatt die Karte mit virtuellen Touristenattraktionen zu überladen, wird es den Spielern überlassen, die Geheimnisse dieser Welt zu lüften. Mit fast jedem Bewohner darf man interagieren und wird so nicht nur in nervenaufreibende Duelle verstrickt, sondern auch in witzige Dialoge, oder man verbringt seine Abende singend am Lagerfeuer, spielt auf einem Casinodampfer Poker oder nimmt im Hotel ein Vollbad. Ein winziger Funken Erotik in einem ansonsten lichterloh brennenden Outlawfegefeuer, in dem auch Tiere als Nahrungsquelle und ob ihres handelbaren Fells nicht verschont bleiben. Gleichzeitig ist es die pure Huldigung von Pferden als Transportmitteln, Gepäckträgern und Menschenfreunden.

Was ist weniger gelungen?

Der minutiös gezeichnete Verfall wird an Morgans Antlitz ebenso ersichtlich wie an der Niederringung des Spielers selbst. Eine Realitätsversessenheit, die nicht jedem verspielten Gemüt gefallen wird. Unzählige Stunden verbringt man auf seinem Pferd und sucht in der Wildnis neben umwerfenden Naturschauspielen schon bald nach Schnellreisemöglichkeiten und ärgert sich, dass man nicht über das Menü zwischen Orten wechseln kann. Morgan verkommt dabei zwar nicht zum Tamagotchi, dennoch muss man alle paar Tage ans Essen und an die Pflege seiner selbst, seines animalischen Begleiters und seiner Waffen denken. Erledigte Widersacher sollten nach Geld, nützlichen Gegenständen, Heiltränken und Snacks durchsucht werden.

Denn Red Dead Redemption 2 ist ein kräftezehrendes und materialverschleißendes Abschlachten tausender Gegner. Die eigentlichen Missionen, die in ihrer Vielfalt zwar gut gestreut sind, werden gerade in den zahlreichen größeren Showdowns nicht selten zum Hamsterrad althergebrachter Mechaniken, die die spielerische Freiheit zu einem abrupten Ende bringen. Ob metaphorisch beabsichtigt oder ein technischer Kompromiss: Manche Widersacher sind so übermächtig, dass sie in Unendlichkeit erhaben sind. Die wohl ebenso beabsichtigte Trägheit des Animationssystems, die auf Bewegungsrealismus abzielt, wirkt dabei wie die Schwerkraft, die Morgan trotz Zeitlupenmodus und Schnellfeuerkünsten auf den Boden der Tatsachen drückt. Ohne Zielautomatik ist man sowohl im Sattel als auch aus der Deckung heraus der aus allen Richtungen ballernden Gegnerschar kaum gewachsen.

Fazit

Red Dead Redemption 2 ist ein zukunftsweisender Meilenstein im Open-World-Genre. Dabei wurde auf massenmarktübliche Weichspülung verzichtet, und wird als Spieler anstelle dessen durch ein Drama gejagt, das man als Westernfan irgendwie gespielt haben muss. Selbst wenn man im Nachhinein am Boden zertrümmert feststellt, dass man es lieber nicht gespielt hätte. Denn jedes Quäntchen Hoffnung dieses so verlockenden Revolverheldentraums wird mit schwerer Verbitterung aufgewogen. (Zsolt Wilhelm, 7.11.2018)