Nanny McPhee hat einen guten Tag. Flott, aber nicht zu hastig umkreist sie die ovale Bahn. Obwohl der Boden zuvor mit Wasser besprüht wurde, wirbelt sie hie und da Staub hinter sich auf. Zwei Minuten und 42 Sekunden werden Pferd Nanny und Fahrer Christoph Fischer schließlich gebraucht haben, um die vorgegebenen 2.100 Meter zurückzulegen. Damit stechen sie die direkte Konkurrenz (Glamour Dancing) knapp aus und dürfen sich über Platz eins freuen. Alle, die richtig gewettet haben, dürfen sich ihren Gewinn abholen.

Auch Ronald Lichtenwallner hat heute schon zweimal den Gang zum Wettschalter absolviert. Für je fünf Euro hat er sein Glück herausgefordert – und ist insgesamt mit drei Euro Minus ausgestiegen. Seit den Sechzigerjahren, als ihn erstmals ein Kollege zu einem Rennen mitnahm, zieht es den 70-Jährigen an die Trabrennbahn in der Wiener Krieau. Wetten ist dabei nicht seine oberste Priorität. Viel lieber "trinke ich mal ein Achterl und rauche ein Zigaretterl zwischen den Rennen", sagt der pensionierte Schriftsetzer, der das Geschehen vom Inneren der Tribüne aus beobachtet.

Elf Rennen haben am Sonntag in der Krieau stattgefunden. Pro Rennen sind acht bis 14 Pferde und ihre Fahrer angetreten.
Foto: Clara Gottsauner-Wolf

140 Jahre Rennbahn

Draußen geht indes das zweite Rennen über die Bühne, das dieses Mal August Kraushofer gewidmet ist. Kraushofer fuhr selber Rennen und feierte kürzlich seinen Neunziger. Bis heute verpasst er keinen Bewerb, ist noch Funktionär im Wiener Trabrennverein (WTV). Sein großer Wunsch, einmal noch selbst mitzufahren, soll ihm heute erfüllt werden. Er steht inmitten einer Traube von Menschen am Rande der Bahn und wird von zwei Bekannten in den Sitz gehoben. Ein Fahrer dreht mit ihm eine Runde, Kraushofer winkt den Besuchern zu. "Das war das schönste Geschenk von allen", sagt er beim Abstieg. Auch WTV-Präsident Peter Truzla kommt, um zu gratulieren. Die Überschaubarkeit der Besucher erlaubt einen familiären Umgang.

Denn die goldenen Zeiten der Wiener Trabrennbahn in der Krieau sind vorbei. 1874 gründete sich der Wiener Trabrennverein, der die Bahn, die vier Jahre später eröffnet wurde, bis heute betreibt. Anfang des 20. Jahrhunderts war Österreich-Ungarn in dem Sport international tonangebend, noch bis in die 1960er-Jahre blühte in der Krieau das Geschäft. Mitunter kamen zehntausende Besucher zu einem Rennen.

Heute verirren sich nur noch wenige hierher, laut Präsident Truzla sind es durchschnittlich 1.000 pro Renntag. Dabei sei der Trabrennsport ein Ereignis für jedermann, vor allem für Familien, meint Truzla, und habe nichts mit dem gehobenen Galopprennsport gemein: Der Mindestwetteinsatz liegt bei einem Euro, der Eintritt bei fünf, Pensionisten zahlen die Hälfte.

Der Besucherschwund macht sich seit Jahren bemerkbar. Vor allem der Nachwuchs fehlt.
Foto: Clara Gottsauner-Wolf

Alterungsprozess

Vor allem die Jungen bleiben aus. Die kommen nur noch dann in Scharen in die Krieau, wenn sich Größen wie David Guetta ansagen. Mit Einnahmen aus Großveranstaltungen finanziert sich der Verein gewissermaßen auch die Renntage, die längst nicht mehr viel Geld abwerfen. In Zeiten vor der Dominanz der Wettbüros und des Internets sah das noch anders aus. Zwei Rennen wurden früher pro Woche ausgetragen. Heuer kommt man auf 26 Renntage im Jahr.

Inmitten der vielen Pensionisten fällt eine größere Gruppe junger Leute, etwa Mitte zwanzig, besonders auf. Moritz Dragosits ist einer von ihnen. Auch er wurde – so wie fast alle, mit denen der STANDARD an diesem Renntag spricht – in puncto Trabrennsport familiär durch den Vater vorgeprägt. Er genieße es einfach, einen "netten Sonntag" hier zu verbringen. Zuweilen kann das auch ein Geburtstag sein: Dafür hat er sich jüngst eine Loge gemietet. Weil das so ungewöhnlich war, kam sogar der Präsident vorbei, um zu gratulieren.

Zwei Welten, die aufeinanderprallen: Neubauten des "Viertels Zwei" und die Wiener Trabrennbahn.
Foto: Clara Gottsauner-Wolf

Wetten mit Sperrstunde

Trotz der turbulenten Jahre steht der Trabrennbahn die größte Veränderung womöglich erst bevor. Um 10,4 Millionen Euro Mindestkaufpreis hat der Immobilienentwickler IC Development GmbH die zweitälteste weltweit noch in Betrieb befindliche Trabrennbahn erstanden. Sollte das Areal bebaut werden, wird der Preis steigen. Es ist dieselbe Firma, die direkt neben dem Areal das hippe "Viertel Zwei", bestehend aus Eigentumswohnungen und Bürogebäuden, hochgezogen hat. Der Trabrennverein hat zwar einen unbefristeten Pachtvertrag – aber Truzla bestätigt Gerüchte, dass man nicht Nein sagen werde, wenn sich eine passende, bessere Alternative für einen neuen Standort finden lässt.

"Es wäre schade, wenn die Rennbahn in der Krieau zusperren würde. Immerhin hat sie schon zwei Weltkriege überlebt." Fritz Matula steht auf der ersten Etage der Tribüne. Er blickt auf die Bahn, die vor der Kulisse der schicken Neubauten des Viertels Zwei besonders antiquiert wirkt. In der rechten Hand hält er die Zeitschrift "Krieau aktuell", in der die heutigen Rennen samt Startern aufgelistet sind. "Früher waren hier so viele Leute, da hat man gar keinen Platz gehabt", sagt Matula. Auf Pferde zu wetten sei die beste Art zu wetten, meint er: "Im Kasino haust mehr Geld raus, und Lotto daratest nie." Es könne schon vorkommen, dass er pro Tag zwei- oder dreihundert Euro verliere.

"Früher waren hier so viele Leute, da hat man gar keinen Platz gehabt", sagt ein Besucher.
Foto: Clara Gottsauner-Wolf

Nostalgie pur

Bei zehn Rennen setze er jeweils etwa hundert Euro, sagt ein anderer Besucher. Er wünscht sich, dass sich aktiver um neue Besucher bemüht würde, etwa durch Werbung im Viertel Zwei. Auch der 42-jährige Willi hätte gerne, dass mehr geboten wird. Sollte der Verein umziehen, würde er auch woanders hinfahren, "solange es gut öffentlich erreichbar ist".

Würde die Krieau aber noch mehr bebaut werden, wäre ihm das jedenfalls "nicht wurscht". Auch ein anderer Besucher beschwert sich unabhängig von der Zukunft des Vereins darüber, dass die Stadt die Fläche verkauft hat: "Wenn es besser für den Verein ist abzusiedeln, soll er das machen. Aber dann sollen bitte leistbare Wohnungen und kein teures Eigentum entstehen."

"Wir können nicht Zwangserhalter denkmalgeschützter Gebäude sein", sagt Truzla und meint damit den finanziellen Aufwand, der unter anderem für die Tribüne 1 und den Richterturm zu stemmen sei. Außerdem gebe es bereits jetzt regelmäßig Anrainerbeschwerden – wegen der Lautsprecherdurchsagen. Wiewohl er verstehe, dass mancher Besucher an der Krieau hänge. Die IC Development hält die Augen jedenfalls schon aktiv offen. Das Gefühl der Nostalgie würde im Fall des Falles wohl mitübersiedeln. (Vanessa Gaigg, Video: Clara Gottsauner-Wolf, 2.10.2018)