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Wie schwer ist Manhattan?

Foto: REUTERS/Yuri Gripas

In vielen Beiträgen wird dieser Tage die 68er-Generation gelobt, nicht zuletzt in der STANDARD-Agenda ("1968 – war da was?"). Im Text "Im Wartesaal des Lebens" wird beschrieben, was diese Generation so einzigartig macht. Als junger Mensch lässt man sich von den Erzählungen gerne zum Träumen inspirieren, von Rebellion und aufrührerischem Gedankengut, das das Zeug dazu hat, die Welt für immer zu verändern. Doch leider haben sich nicht nur die Studenten verändert, die letztendlich nur der Output eines generellen Wertewandels sind, sondern auch die Bestrafungskultur ist eine ganz andere geworden. Und das beginnt nicht erst an der Uni.

Wenn man den Berichten über Lausbubenstreiche lauscht, welche die eigenen Eltern und Großeltern in ihrer Kindheit angestellt haben, so bleiben einem oftmals Augen und Mund weit offen stehen. Man könnte meinen, in einem Abenteuer der Knickerbocker-Bande gelandet zu sein. Heute würde man mit vielen Streichen kaum ungeschoren davonkommen. Ebenso unvorstellbar erscheint es heutzutage, auf den Katheder der Uni zu defäzieren, denn die mediale Debatte und die Konsequenz hierfür würde kaum in einem angemessen Verhältnis zu dieser politischen Aktion stehen. Vielleicht sind die rechtlichen Konsequenzen nicht mehr derart dramatisch, das latente Stigma, welches einem aber ein Leben lang im Beruf und in der Gesellschaft verfolgt, ist in Zeiten wie diesen nicht zu unterschätzen.

Unreflektiertes Nacheifern

Man wird ständig mit der Großartigkeit bestimmter Menschen aus verschiedenen Generationen konfrontiert, wenn nicht gar verglichen, obwohl kaum irgendwo aufgezeigt wird, welchen Preis sie dafür bezahlen mussten und das mussten sie, wie das traurige Beispiel von Rudi Dutschke belegt, bestimmt. In der heutigen Zeit passiert es nur allzu oft, dass Bilder vom Leben großartiger Menschen gezeichnet werden, bei denen weder die Umstände noch die Widrigkeiten in ihrer gesamten Grausamkeit dargestellt werden. Hiervon sind allerdings nicht nur Genies sondern auch Berufsbilder betroffen.

Das Resultat eines derartigen Schmackhaftmachens zeigt sich dann in einem Nacheifern dieser Verhaltensmuster von oft unreflektierten, naiven, jungen Menschen, die das Verhalten lediglich ohne tieferen Beweggrund nachahmen und die dann vor den Trümmern ihrer eigenen Träume stehen, da sie die Konsequenz nicht abschätzen konnten. Ein Beispiel dafür ist der "Superstar"-Kult. Jeder wäre gerne ein zweiter Justin Bieber oder eine zweite Beyoncé, wie man in Fernsehformaten wie DSDS sehen kann. Den Preis, den man dafür zahlt, und der Weg zum Ziel ist jedoch vielen nicht bekannt. Auch der Faktor, dass diese Menschen oft unglücklich und mit ihrem Leben nicht zufrieden sind, ist den Bewunderern nicht bewusst. Es ist gut möglich, dass in Zeiten, in denen Studenten das Lehrerpult als Abort benutzen konnten, ein einigermaßen normales Weiterführen des Studiums möglich war, in der heutigen Zeit könnte der betroffene Student dies jedoch mit Sicherheit nicht.

Angepasst und einfallslos

Wer sich über die Angepasstheit der Jugend brüskiert, sollte auch überlegen, weshalb das so ist. Man versetze sich in die Situation eines Anwärters bei einem Bewerbungsgespräch. Nicht nur, dass hier in vollendeter Hohlheit nach Stimulusworten in den Antworten des Kandidaten gescreent wird, denn es soll ja jeder teamfähig, flexibel und lösungsorientiert sein, sondern als Sahnehäubchen wird dann eine gut gemeinte "Brainteaser"-Frage vom Personalchef à la "Wie schwer ist Manhattan?" gestellt, wie in einer aktuellen STANDARD-Beilage treffend dargestellt wurde, um die Problemlösungsstrategie des Bewerbers zu erfassen. Der Revoluzzer von einst wäre vielleicht so kreativ und würde die passende Antwort vor den sündteuren internationalen Unternehmensberatern in manifester Form auf den Tisch platzieren. Das wäre wirklich revolutionär und würde den Geist der 68iger wieder aufleben lassen. Dutschke hätte seine helle Freude damit. Stattdessen erzählen wir brav unsere angepassten und leicht modifizierten Geschichten, wie wir mehr oder weniger einfallslos kreativ im Strom des Lebens mitgeschwommen sind. Viva la Revólucion! (Daniel Witzeling, 23.5.2018)