Eine Aussage Alexander Van der Bellens schlägt Wellen: Der Bundespräsident dachte laut über ein Solidaritätskopftuch nach, um Frauen zu unterstützen, die es aus religiösen Gründen tragen.

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Wien – Es ist ein Stück Stoff, gebunden über die Haare einer Frau – und doch polarisiert das Thema Kopftuch in Österreich wie fast kein anderes. Ein Artikel über Alexander Van der Bellens Äußerungen darüber bei einer Diskussionsrunde im Haus der Europäischen Union ist auf der Webseite des STANDARD allein innerhalb der ersten 24 Stunden mehr als 4.000-mal kommentiert worden. Einige Leser zeigen sich "besorgt", andere kritisieren den Islam, viele halten die Aufregung für überzogen und die Debatte für falsch geführt – jeder hat eine Meinung.

Der Bundespräsident hatte Folgendes gesagt: "Es ist das Recht der Frau, sich zu kleiden, wie auch immer sie möchte. Im Übrigen nicht nur die muslimische Frau, jede Frau kann ein Kopftuch tragen." Nachsatz: "Und wenn das so weitergeht bei dieser tatsächlich um sich greifenden Islamophobie, wird noch der Tag kommen, wo wir alle Frauen bitten müssen, ein Kopftuch zu tragen. Alle, als Solidarität gegenüber jenen, die es aus religiösen Gründen tun."

Veränderungen seit 9/11

Da stellt sich die Frage, was Islamophobie eigentlich bedeutet? Wo endet berechtigte Religionskritik, wo beginnt Hass? Und: Wird die Angst vor dem Islam tatsächlich größer?

"Islamophobie bezeichnet grundsätzlich Diskriminierungen aufgrund der religiösen Zugehörigkeit", sagt Reinhold Gärtner, Politikwissenschafter an der Universität Innsbruck. "Die Terroranschläge vom 11. September 2001 setzen eine Zäsur, seither wird der Islam immer häufiger als homogene Religion wahrgenommen." Inzwischen würden liberale Muslime nämlich laufend mit Fundamentalisten "in einen Topf geworfen". "Mit jedem Terroranschlag, der dem Islamismus zugerechnet wird, verfestigt sich bei vielen ihr Bild vom Islam", erläutert der Politologe.

"Ein Kampfbegriff"

Der Wiener Politikwissenschafter Thomas Schmidinger stößt sich schon am Wort "Islamophobie": "Das ist ein Kampfbegriff des politischen Islam, um Kritik ruhigzustellen", sagt er. Schmidinger beobachtet aber durchaus eine Zunahme an konfessionellem und kulturellem Rassismus. Das zeige sich allein darin, dass inzwischen selbst die Regierung ständig über Kopftuchverbote diskutiere. Gerechtfertigte Kritik am Islam sei für ihn solche an Organisationen und deren inhaltlichen Positionen. "Wenn man sich nicht an einem bestimmten Verständnis des Islam, sondern an der Religion an sich abarbeitet, handelt es sich zumeist um Ressentiments."

Belegen Zahlen den Anstieg an Islamfeindlichkeit? Ja, heißt es bei der Anti-Rassismus-Initiative Zara. Im Jahr 2016 hielt die Organisation in ihrem Jahresreport 1.107 Fälle von Rassismus fest – erfasst werden allerdings nur jene, die an die Stelle gemeldet wurden. Seit zwei Jahren nehme die Agitation gegen Muslime zu: "Viele Frauen erleben offen Anfeindungen. Es wird etwa versucht, ihnen das Kopftuch runterzureißen", sagt Claudia Schäfer von Zara. Muslime seien auch aus Geschäften verwiesen worden, nennt sie ein weiteres Beispiel.

"Sehr, sehr viel" Rassismus

Obwohl für heuer noch keine Zahlen vorliegen, könne man schon jetzt sagen: Besser ist es nicht geworden. "Es gibt sehr, sehr viele rassistische Vorfälle", sagt Schäfer. Ein ähnliches Bild zeichnet die Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit der Initiative Muslimischer Österreicherinnen. Es sei noch zu früh, aussagekräftige Tendenzen für 2017 festzustellen. Ein Blick ins Vorjahr zeige aber einen Anstieg an Beschimpfungen und Wandbeschmierungen: 2016 wurden 253 Fälle dokumentiert, im Jahr davor waren es 156.

Im Innenministerium wird diese gesellschaftliche Entwicklung genau beobachtet, auch wenn sich die Straftaten mit islamfeindlichem Hintergrund in Grenzen halten. Im Vorjahr wurden 28 Delikte – von Verhetzung über Körperverletzung bis hin zu gefährlicher Drohung – erfasst, 2015 waren es mit 31 Fällen unmerklich mehr.

"Zunehmende Polarisierung"

Grund zur Sorge gebe es dennoch, sagt Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums: "Das eine sind die konkreten Straftaten, das andere ist die Frage des öffentlichen Diskurses." Da würde man seit Jahren eine "zunehmende Polarisierung" bemerken und die sei der Nährboden für Straftaten: "Das Potenzial ist da." (Peter Mayr, Katharina Mittelstaedt, 27.4.2017)