Foto: Microsoft

In einer Reihe von exklusiven Berichten hat der Technologieblog Digital Foundry die Hardware Microsofts kommender Spielkonsole vorgestellt. Das Fazit: Die nächste Xbox mit dem Codenamen Scorpio wird zur für Ende 2017 erwarteten Veröffentlichung die bislang leistungsstärkste Konsole auf dem Markt sein und den bisherigen technischen Spitzenreiter PS4 Pro ablösen.

Ein Schluss, der nach der Erstpräsentation der Xbox Scorpio im Juni 2016 zu erwarten war – bereits damals gab Microsoft einen kleinen Ausblick auf die Spezifikationen. Insofern zeigten sich Branchenbeobachter von der jüngst orchestrierten Leistungsschau in ihren Annahmen bestätigt, aber nicht überrascht. Anstelle dessen zeigten sich so manche großen Fachseiten darüber erstaunt, was Microsoft bei Scorpios erster echter Tuchfühlung mit der Presse nicht zeigte: Games.

Mangel an Hochkarätern

"Die Scorpio wird eine mächtige und vermutlich teure Waffe im Konsolenkrieg sein. Aber die Munition muss in Form von Software kommen", schreibt Ben Kuchera in einem Kommentar auf Polygon. Die PS4 und Nintendo Switch hätten gezeigt, dass ausgezeichnete exklusive Games einer der wichtigsten Gründe seien, weshalb sich Spieler für eine Plattform entscheiden. Sony konnte unter anderem mit "Horizon Zero Dawn", "Nioh" und "Persona 5" Anfang 2017 gleich mehrere exklusive Titel an der Spitze der Wertungs- und Verkaufscharts platzieren. Und Nintendos neue Konsole dürfte allein durch einen einzigen namhaften, aber umso populäreren Starttitel in Form von "Zelda: Breath of the Wild" einen Rekordstart hingelegt haben.

"Technische Spezifikationen sind nur Zahlen auf dem Papier bis Microsoft uns zeigen kann, was wir von dem neuen System wirklich bekommen. Und das erfordert das Zugeständnis, die besten Games und die größten Fortsetzungen bieten zu können", so Kuchera. "Der Mangel an (hochkarätigen exklusiven) Games hat der Xbox One mehr geschadet als ein Mangel an Leistung und die Einstellung namhafter Projekte wie 'Scalebound' hat ihnen in dieser Hinsicht nicht geholfen. 'Quantum Break' ist im Sand verlaufen und wir haben praktisch nichts zu 'Crackdown 3' gehört. Und einst populäre Franchises wie 'Halo' und 'Gears of War' schlagen heute nicht mehr so hohe Wellen, wie sie es früher taten."

Die Probleme eines Mid-Generation-Updates

Kotaku-Autor Rich Stanton stimmt mit der Kritik weitgehend überein und gibt zu bedenken, dass Microsofts Fokus auf pure Leistung riskant ist. "Nichts, was von Drittherstellern für die Scorpio kommt, wird die Hardware ausreizen, da jeder vernünftige Entwickler zurecht seinen Fokus darauf legen wird, dass sein Spiel gut auf aktuellen PCs und der PS4 läuft. Scorpio-Spiele werden wohl besser aussehen als die PS4-Versionen, aber es wird keine grundsätzlichen Unterschiede geben. Die Hardware hätte zwar das Potenzial für Spiele, die auf der PS4 und der Xbox One einfach nicht möglich wären, doch niemand außerhalb Microsofts und vermutlich auch nicht Microsoft selbst wird sich dazu hinreißen lassen und die bestehende installierte Basis zurücklassen. Das sind die tatsächlichen Kosten eines Mid-Generation-Updates", schreibt Stanton und spricht damit das gleiche Problem an, mit dem bereits die PS4 Pro konfrontiert ist. Xbox Scorpio und PS4 Pro würden dadurch zu Nischenprodukten für Premiumkunden, die idealerweise noch einen 4K-Fernseher haben.

"Leistung und einen Premium-Preis zu verfolgen, ist unter diesem Gesichtspunkt eine riskante Strategie. Umso mehr wenn man bedenkt, dass viele von Microsofts Kernmarken straucheln und die vergangenen Jahre von einem Mangel an herausragenden exklusiven Games geprägt waren und sich zudem die Bedeutung eines Xbox-Exclusives geändert hat. Das schwarze Loch in Mitten des technologiebasierten Scorpio-Wirbels sind die Videospiele. Einst große Xbox-Serien wie 'Gears of War' und 'Halo' wirken ausgelutscht und selbst fantastische Einzeltitel wie 'Forza Horizon 3' fühlen sich nicht mehr wie Xbox-Exclusives an – dank der Kompatibilität zu Windows 10", moniert der Autor. Kunden, die bereit seien, viel Geld für Hardware auszugeben, könnten Xbox-Games nun auch auf dem PC spielen. Damit mache Microsoft mit Windows-PCs der Scorpio selbst Konkurrenz.

Der Ball ist bei Microsoft

Den Kritikern zufolge liege es an Microsoft nach der technologieaffinen Konsolenkundschaft nun auch die Allgemeinheit mit Games zu überzeugen, auf den Scorpio-Zug aufzuspringen. Die Gelegenheit dazu nutzen will der Konzern auf einem Presseevent im Vorfeld der E3 Anfang Juni. Die Veranstaltung solle ganz im Zeichen der Xbox-Games stehen und unter anderem Einblick in die Microsoft-Spiele "Crackdown 3", "Forza Motorsport 7" und "State of Decay 2" geben. Zudem wird der Konzern wohl zeigen, um wie viel besser Multiplattformspiele wie "Fifa", "Call of Duty" und Co. tatsächlich auf der neuen Hardware aussehen können. So manchem Grafikfan, der nicht auf PC spielt, dürfte dies womöglich ausreichen, um sich für die Scorpio zu begeistern.

Mat Piscatella, Analyst des Marktforschers NPD zeigt sich zuversichtlich, dass Microsoft damit Konkurrenten Sony zumindest in den USA überholen können wird. "Ich denke, die Scorpio hat das Potenzial, die Xbox-Verkäufe in den USA 2017 vor die PS4-Verkäufe zu schieben. Unter der Kernspielerschaft könnte die Verbreitung signifikant sein. Und wenngleich es ein Nischenpublikum ist, ist diese Nische wichtig für die weitere Verbreitung am Massenmarkt", so Piscatella gegenüber der Branchenseite Gamesindustry. Kollege David Cole von DFC Intelligenz ist weniger optimistisch. "Microsoft versuchte einst noch die breite Kundschaft anzusprechen, doch jetzt beschränken sie sich auf die Spitze der Spielerschaft, denen die leistungsstärkste Hardware wichtiger ist als die tatsächlichen Spiele. Wie unsere Berichte gezeigt haben, entscheiden sich dieses Jahr immer mehr Hersteller dazu, ihre Games nicht für Xbox One herauszubringen. Die Scorpio gibt ihnen keinen Anreiz, daran etwas zu ändern, da sie lediglich auf die größten Xbox-Fans abzielt, die bereits überzeugt waren. Damit die Scorpio erfolgreich sein kann, muss Microsofts Nicht-Xbox-Besitzer irgendwie davon überzeugen, auf den Zug aufzuspringen." (zw, 7.4.2017)