Uniko-Vorsitzender Oliver Vitouch hofft auf ein "Wunderjahr" für die Universitäten und fordert: "Der Staat muss Farbe bekennen: Wie viele Studierende kann und will er finanzieren?"

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STANDARD: Noch ist die Zeit der Neujahrswünsche. Was muss 2017 den Universitäten bringen, damit es für Sie ein "gutes" Jahr wäre?

Vitouch: Als unverbrüchlicher Zweckoptimist gehe ich davon aus, dass 2017 ein Annus mirabilis, ein Wunderjahr, der österreichischen Wissenschafts- und Forschungspolitik wird. Insbesondere würde ich mir wünschen, dass die SPÖ aus dem die Universitäten betreffenden Dornröschenschlaf aufwacht und wieder eine hochschulpolitische Position entwickelt, die über "Wir haben eh den freien Zugang und keine Studiengebühren" hinausgeht. Ich habe den Eindruck, dass es in der SPÖ gegenwärtig Persönlichkeiten gibt – vom Kanzler und Klubobmann über die Bildungsministerin bis zum Infrastrukturminister -, die das Problem erkennen und sich dem auch stellen wollen.

STANDARD: Heißt das, Sie machen vor allem die SPÖ für die unipolitische Misere verantwortlich?

Vitouch: Es wäre dringend nötig, Anspruch und Wirklichkeit ins Lot zu bringen. Wenn ich den Anspruch habe, dass alle, die es versuchen wollen, an der Uni studieren können, dann muss ich das auch budgetär unterlegen. Leider hat man über mehr als dreißig Jahre die Erfahrung gemacht, dass das sehr teuer und obendrein wenig effizient ist. Der Staat muss Farbe bekennen: Wie viele Studierende kann und will er unter halbwegs gesicherten Rahmenbedingungen finanzieren? Alles andere würde ich als freien Zugangsschwindel per ungedeckten Scheck bezeichnen. Das Hauptproblem ist, dass sich die wesentlichen Akteure in ihren Positionen so tief eingegraben haben. Die SPÖ sagt: "Wir haben den freien Zugang, also passt alles." Die ÖVP sagt: "So viel Geld, wie es dafür braucht, kann man vernünftigerweise nicht aufwenden". Aus diesem Deadlock kommt man nicht heraus, wenn nicht die SPÖ eine auch rechnerisch konkretere Perspektive einnimmt, wie man Anspruch und Wirklichkeit gut in Balance bringen kann.

STANDARD: Was verbinden Sie denn mit dem "freien Unizugang"?

Vitouch: Ich möchte mit einem Gedankenexperiment antworten. Die Kunstunis genießen zu Recht einen sehr guten Ruf und machen offensichtlich vieles richtig. Es käme aber niemand auf die Idee, den freien Zugang zu Kunstunis zu fordern, obwohl man so ein Hineinschnuppern für alle, die in der Oberstufe Musik oder Bildnerische Erziehung hatten, zweifellos argumentieren könnte. Auch jemand, der das kurz versucht und bald wieder abbricht, würde dieser Denkweise zufolge durchaus wertvolle Erfahrungen mitnehmen. Das Problem ist nur: Der Betrieb an den Kunstunis würde umgehend kollabieren. Von den wissenschaftlichen Unis erwartet man genau dieses Kunststück.

STANDARD: Apropos rechnerische Realität: Studiengebühren werden nach der Wahl wohl wieder Thema sein. Sind Sie dafür oder dagegen?

Vitouch: Die Universitätenkonferenz hat zu Studiengebühren keine einheitliche Meinung. So, wie wir sie hatten, 363 Euro pro Semester (derzeit zahlen noch EU-Ausländer und Studierende mit längeren Studienzeiten), sind wir unter Abzug der Verwaltungskosten bei bundesweit etwa 120 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr. Natürlich wäre es fein, diesen Betrag zusätzlich zu haben, aber er ist nicht spielentscheidend.

STANDARD: Spielentscheidend ist die Grundfinanzierung der Unis. Wie viel Geld fehlt denn derzeit?

Vitouch: Wenn man den Vergleich zu Bayern und der Schweiz herstellt, zeigt sich: Wir bekommen deutlich weniger Budget und nehmen gleichzeitig deutlich mehr Studierende auf. Man braucht kein Doktorat dafür, um zu erkennen, dass sich das auf Dauer nicht ausgeht. Wir brauchen obendrein ein wesentlich besseres Verhältnis zwischen der Zahl der Studienanfänger und der Absolventen, weil deren Relation in einer extremen Schieflage ist. Es wird eine bessere Dotierung zur Verbesserung der Betreuungsrelationen, aber auch zur Schaffung von Exzellenz und Spitzenprogrammen brauchen. Man wird in manchen Bereichen aber auch die Aufnahmeverfahren ausweiten müssen. Was die Zahlen betrifft: Es gibt konkrete Vorstellungen des Ministeriums dahingehend, dass es für die Leistungsvereinbarungsperiode 2019 bis 2021 einen Zusatzbaustein von 500 Millionen Euro zur Verbesserung der Betreuungsrelationen gibt.

STANDARD: Wie kann man die hohe Drop-out-Rate senken? Auch mit mehr Verbindlichkeit seitens der Studierenden, oder ist das ein Symptom für ein grundlegend überfordertes Unisystem?

Vitouch: Der Vergleich mit den Fachhochschulen – aber auch vielen anderen Unisystemen – zeigt, dass Aufnahmeverfahren, geregelte Studienbedingungen, planbare Studienverläufe sehr attraktiv sind und ein gutes Verhältnis zwischen Anfängern und Absolventen hervorbringen. Wir haben im österreichischen Studienrecht einige Besonderheiten, die nicht dazu beitragen, dass Studien auch abgeschlossen werden. Etwa die hohe Zahl von Prüfungswiederholungen und Prüfungsterminen, zu denen man sich anmelden kann, aber sich weder solide vorbereiten noch wirklich hingehen muss. Also eher ein "Anything goes"-Zugang. Die Kombination aus in vielen Fächern sehr schlechten Studienbedingungen und geringer Verbindlichkeit ist leider eine besonders giftige Mischung, die noch dazu sozial selektiv wirkt.

STANDARD: Würden Sie die Zahl der Prüfungswiederholungsmöglichkeiten reduziert sehen wollen?

Vitouch: Ich würde nicht von Haus aus die Zahl der Prüfungstermine reduzieren, aber die Verbindlichkeit, dass man, wenn man sich zu einem Termin anmeldet, auch tatsächlich antritt, heben wollen.

STANDARD: Wie sanktioniert?

Vitouch: Sanktionen sind ein böses Wort, aber um ein Extrembeispiel zu nennen: Wir hatten einen Studenten, der bei seiner letzten Prüfung die maximale Zahl an möglichen Antritten ausgeschöpft hatte und das Studium deswegen nicht abschließen konnte. Ein Blick in den Studienakt zeigte, dass der Betreffende in seiner Studienkarriere insgesamt 33 negative Prüfungen angehäuft hatte, darunter Mehrfachantritte zu Einführungsvorlesungen mit Fünfern in Serie. Darauf sollte man nicht erst nach 33 "Nicht genügend" reagieren.

STANDARD: Die Fachhochschulen haben Zugangsregeln, Studienplatzfinanzierung, teils auch Studiengebühren – plus Geld aus der Bankenmilliarde. Die Unis nicht. Werden Sie schlecht behandelt?

Vitouch: Die Fachhochschulen verfügen über einen Vorzug, der selbstverständlich sein sollte: Anspruch und Ausstattung sind im Lot. Wenn man sagen könnte, an den Unis passt es grosso modo ja auch, wäre das kein Problem, die herrschenden Zustände sind aber seit Jahrzehnten andere.

STANDARD: Es gibt noch einen Player im Hochschulsystem, der ironischerweise Steuergeld erhält: Privatunis. Die grüne Wissenschaftssprecherin Sigrid Maurer fordert ein generelles Finanzierungsverbot für die öffentliche Hand für Privatunis, nicht nur für den Bund. Würden Sie sich dem anschließen?

Vitouch: Die Privatunis sind gegenwärtig ein echtes Austriakum, weil die meisten weder privat noch Universitäten sind. Es bedarf dringend – das hat zuletzt auch der Wissenschaftsrat deponiert – einer Gesetzesnovelle. Es ist besonders eigenartig, dass der Bund versucht, per Hochschulplanung ein strukturiertes Angebot herzustellen – Motto: Was Standort A macht, muss Standort B nicht auch machen -, aber gleichzeitig Länder und Gemeinden öffentliche Mittel aus dem anderen Hosensack ziehen und das konterkarieren, weil regionale Interessen bis zu Kleingemeindeinteressen eine dominante Rolle spielen.

STANDARD: Sie spielen auf die geplante Medizin-Uni Mürzzuschlag an, wo US-Investor John K. Eapen mit der "Bukovinian State Medical University" ab Herbst 2017 für 18.000 Euro pro Jahr Mediziner ausbilden will – samt Aufbau einer Firma für Patiententourismus.

Vitouch: Das ist ein besonders kurioses Beispiel, weil da eine ukrainische Uni quasi einen Feigenblatt-Filialbetrieb eröffnen würde. An solchen Einrichtungen ist der Universitätsanspruch – eine gewisse Quote an Habilitierten, Forschungsintensität, wissenschaftlicher Nachwuchs, eine kritische Zahl an Studierenden – vielfach nicht erfüllt, sodass der Begriff Universität und zumal das Promotionsrecht nicht gerechtfertigt sind. Das wird ganz besonders heikel, wenn wir auf die Qualitätssicherung für Absolventen der Medizin blicken. Da liegt etwas im Argen, das ist gesetzlich adäquat zu regeln. Ich hielte ein Finanzierungsverbot für sehr konsequent, es heißt ja schließlich privat. Da wir in Österreich sind, wird es so konsequent wohl nicht werden. Aber man darf sich vielleicht wünschen, dass der überwiegende Teil der Mittel – mehr als 50 Prozent – privat aufgebracht werden muss. (Lisa Nimmervoll, 9.1.2017)