Elisabeth Wehling erforscht politische Framings und testet, wie man die "politische Mitte" auf eine Seite ziehen kann.

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STANDARD: Sie sagen, dass Sprache uns manipuliert. Wie läuft das ab?

Wehling: Sprache kann uns manipulieren, vor allem beeinflusst sie uns aber. Ein Missverständnis ist, dass sogenannte Frames, also linguistische Deutungsrahmen, immer als Trick eingesetzt werden. Der österreichische Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer hatte im Wahlkampf aus seiner Sicht tolle Frames, die bei uns im Kopf ebenfalls einen Deutungsrahmen aufrufen. Das ist erstmals keine Manipulation, sondern er ist einfach ein Mensch, der sich ideologisch gut begreifbar macht, weil er mit aller Intensität sagt, worum es ihm geht. Das ist das eine. Eine zweite Frage ist, an welchen Stellen er einfach nur mit Sprache manipuliert. Ein anderes Beispiel ist der gewählte US-Präsident Donald Trump. Er hat im Wahlkampf viel getrickst, mit seiner Sprache manipuliert. Etwa, als er gegen Mexikaner gehetzt hat. Oder als sexistische Übergriffe durch das Bus-Video Thema wurden, hat er dem einen anderen Spin gegeben und es als "locker-room banter" – als Umkleideraum-Geplänkel – abgetan. Das ist gezielte Manipulation, die das Denken der Mitmenschen beeinflussen soll. Er hat aber auch den Amerikanern klar gesagt, wer er ist, und viele finden das gut.

STANDARD: Wofür steht Trump dann wirklich?

Wehling: Zum Beispiel, Männer passen auf Frauen und Kinder auf, verteidigen uns gegen das Böse in der Welt. Reiche sind besser als Arme. Donald Trump hat gesagt: "Ich bin reich, und darum bin ich gut." Das ist eine von Grund auf sozialdarwinistische Idee, die dem erzkonservativen Teil Amerikas zugrunde liegt. Das ist das Framing, das eingesetzt wurde. Man muss sich dessen bewusst sein, dass man viel mit Sprache anrichten kann. Ich kann mich begreifbar machen, oder ich kann manipulieren, oder ich kann die Augen zumachen und "irgendwie" reden – mit der Gefahr, dass mich mein Gegenüber nicht versteht.

STANDARD: Woran kann man gerade in politischen Diskussionen die Grenze festmachen?

Wehling: Die ehrliche Antwort aus Forschungsperspektive: Es ist die Analyse von Moment zu Moment. Wenn man herausfinden will, ob sich jemand begreifbar macht oder manipuliert, muss man erst seine Ideologie durchdringen. Es gibt keine Daumenregel, wie man manipuliert, die sagt: "Wenn Sie dieses Wort hören, dann werden Sie manipuliert." Aber ein Beispiel: Als Hofer die Wahl verloren hatte, hat er den ganzen Abend eine Idee, ein Framing, wiederholt: "Alexander Van der Bellen, passen Sie gut auf das Land auf, ich hätte gerne auf Österreich aufgepasst." Da nutzte er das Wort "aufpassen", das ist ein Begriff, der Gefahr impliziert, und von dieser Gefahrenlage hat er den Wahlkampf über gesprochen.

In dem Moment hat er es vermutlich bewusst getan, sonst hätte er dem gewählten Präsidenten "sorgen Sie gut für das Land" oder "führen Sie das Land gut" sagen können, aber er hat "aufpassen" gewählt. Hier scheint die Strategie zu sein, im Kopf der Zuhörer zu suggerieren, dass wir in Gefahr sind. Wenn man sich die Kampagne ansieht: "Flüchtlingswellen", "Zuwanderungsislamismus" – überall Gefahr. Sich ideologisch ehrlich ausdrücken heißt immer, dass man klar kommuniziert, um welche Grundwerte es einem geht, das sind nie abstrakte Ideen wie Freiheit oder Solidarität, das sind leere Worthülsen.

STANDARD: Welche Werte sind das?

Wehling: Es sind konkrete Formen des Miteinanders. US-Präsident Barack Obama hat in seiner Kommunikation sehr stark die Empathie in den Vordergrund gestellt. Die Idee ist, dass man sich in seinem Gegenüber erkennt, egal wie unterschiedlich man ist, dass man die eigene Menschlichkeit im Gegenüber erkennt, wohlwollend ist und etwas Gutes für die andere Person will. Kein hartes System von Bestrafung und Disziplinieren. Sondern füreinander sorgen, Schutz vor Schaden wie dem Klimawandel, Sexismus oder Rassismus. Das ist, wie man Ideologie verständlich macht.

STANDARD: Die Beispiele sind positiv, wenn man sich verständlich macht, negativ bei Manipulation. Funktioniert Manipulation besser über schlechte Gefühle?

Wehling: Nein. Man kann auch mit positiven Gefühlen manipulieren. Man kann der Bevölkerung vorgaukeln, dass man ganz toll für sie sorgen wird und in kürzester Zeit das Land rettet. Man kann Gefühle von Hoffnung und Rettung ansprechen. Man kann sich aber auch im Negativen ehrlich machen. Wenn Sie einer erzkonservativen strengen Ideologie folgen, halten sie es für gut, dass jeder auf sich alleine gestellt ist, weil dann jeder die Chance hat, stark zu werden. In der Familienforschung kennen wir das Tough Love. Das ist eine Frage der Ideologie.

STANDARD: Kann dann politisches Framing über ideologische Grenzen hinweg überzeugen?

Wehling: Es gibt in der Forschung die strenge und die fürsorgliche Ideologie mit je 35 Unterpunkten. Es gibt Menschen, die sind nur fürsorglich und haben mit Strenge nichts am Hut, genauso gibt es die umgekehrte Variante. Es gibt aber auch die politische Mitte: Menschen, die in bestimmten Themen in die progressive oder in die konservative Richtung gehen und sich damit in der Mitte einfinden. Das sind Menschen, die beide Seiten gut finden, die Wechselwähler. Oft gehen sie gar nicht zur Wahl, weil sie sich nicht entscheiden können. Das sind in der Regel zwischen 23 und 30 Prozent. Diese Menschen nennen wir bikonzeptuell.

STANDARD: Und sie kann man überzeugen?

Wehling: Wir haben getestet, wie wir sie nach rechts oder nach links bringen. Wir haben erst faktische Argumente verwendet, etwa: Experten sagen, dass die Arbeitslosigkeit unter Trump in die Höhe schießen oder die Wirtschaft zusammenbrechen wird. Die Leute sind nicht zu Hillary Clinton gegangen. Faktische, rationale Argumente haben sie nicht bewegt, obwohl sie politisch in der Mitte waren. Dann haben wir ihnen andere Argumente gegeben, etwa dass Trump der "starke Vater" ist, den unser Land braucht. Die Menschen haben sich umgehend für ihn entschieden. Das zeigt, dass wir Menschen am besten ansprechen können, wenn wir ihre Werte ansprechen. Wenn Sie aber in die Mitte gehen und versuchen, die Weltsicht Ihres politischen Gegners anzutriggern, dann stärken sie diese langfristig.

STANDARD: Das heißt, nur auf Fakten basiert kann man Menschen nicht abholen?

Wehling: Der Mensch kann nicht nur faktisch denken. Das zeigen viel Studien. In einem sehr klassischen Experiment haben Teilnehmer für todkranke Patienten entscheiden müssen, ob sie eine Operation machen, die eine 70-prozentige Überlebenschance und ein 30-prozentiges Sterbensrisiko hatte. Sprach man von Überlebenschance, stimmte man für die OP. Sprach man von Tod, dagegen. Der Fakt 70 oder 30 Prozent hat nicht den Unterschied gemacht, sondern der Fokus, der ihnen kommuniziert wurde. Also, die Idee nur rein faktisch zu argumentieren funktioniert überhaupt nicht. (Oona Kroisleitner, 21.12.2016)