Nach 1017 Tagen war auch für Matteo Renzi, 27. Ministerpräsident in 70 Jahren republikanischer Geschichte Italiens, Schluss. Er scheiterte mit seinen Reformplänen.

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Dass es Matteo Renzi mit dem Verfassungsreferendum schwer haben würde, war klar. Doch das Ausmaß der Abfuhr, die der 41-jährige italienische Premier Sonntagabend erlebte, war unerwartet: Da war nicht nur die deutliche Ablehnung von 60 zu 40 Prozent, sondern auch die überdurchschnittliche Wahlbeteiligung von 70 Prozent.

So hat nun also auch Italien seine Protestwahl erlebt. Die Bootsflüchtlinge, die Perspektivlosigkeit von Millionen Jugendlichen, das Sich-abgehängt-Fühlen vieler Bürger, all das hat zweifellos die Abstimmung beeinflusst. Dennoch wäre es verfehlt, Renzis Niederlage auf das Phänomen des in den meisten europäischen Ländern zu beobachtenden Erstarkens der Rechtspopulisten und Europagegner zu reduzieren.

Viele Lager, eine Meinung

Das lässt sich schon an der unterschiedlichen Herkunft der Reformgegner ablesen: Zwar haben die fremdenfeindliche Lega Nord und die mal links- und mal rechtspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo an vorderster Front Stimmung gegen die Reform gemacht. Im Lager der Gegner fanden sich aber auch die größte Gewerkschaft, der Verband der Weltkriegspartisanen, dutzende Verfassungsrechtler sowie der linke Flügel von Renzis eigener sozialdemokratischer Partei.

Die Wut richtete sich nicht gegen "die da oben", sondern gegen "den da oben": gegen Matteo Renzi. Der Premier hat sich seine Niederlage wohl selbst zuzuschreiben: Kein Regierungschef kann dem Land bei Amtsantritt das Blaue vom Himmel versprechen und drei Jahre später – bei praktisch gleich hoher Jugendarbeitslosigkeit von fast 40 Prozent und einer stets schwächelnden Wirtschaft – so vor die Wähler treten. Schon gar nicht im anarchistisch angehauchten Italien, wo die Bürger staatliche Macht traditionell mit Argwohn sehen.

Renzi hat seine Verdienste als Reformer offenbar überschätzt. Dabei hatte der junge Wilde aus Florenz zu Beginn seiner Amtszeit viel frischen Wind in den sklerotischen Politikbetrieb Roms gebracht und mit seiner Arbeitsmarktreform wenigstens einen ermutigenden Start hingelegt. Mut und Standfestigkeit bewies er auch, als er gegen den Willen der mächtigen Kirche das Gesetz für eingetragene Partnerschaften durchboxte. Doch damit erschöpft sich seine Reformbilanz beinahe.

Viel Energie, wenig Kraft

Renzi hat zu viel politische Energie auf die Wahlrechts- und Verfassungsreform verwendet, ohne überzeugend darlegen zu können, dass diese entscheidend dazu hätte beitragen können, die Probleme des Landes zu lösen. Die Durchführung von Reformen hängt nicht vom politischen System, sondern vom politischen Willen ab. Das beweist das Beispiel von Mario Monti: Der Wirtschaftsprofessor setzte in 401 Tagen Amtszeit von 2011 bis 2013 mit der alten Verfassung mehr und härtere Reformen durch und schnürte einschneidendere Sparpakete als Renzi in seinen 1017 Tagen als Regierungschef.

Die Ablehnung der Reformpläne und der baldige Rücktritt Renzis bedeuten keinen dramatischen Rückschlag; aber es wird damit auch kein einziges Problem gelöst – zumal weit und breit keine Persönlichkeit auszumachen ist, von der zu erwarten wäre, dass sie es besser machen würde. Diese Feststellung gilt besonders für diejenigen, die sich nun als Sieger feiern.

Staatspräsident Sergio Mattarella wird nun alles daransetzen, die Bildung einer handlungsfähigen Übergangsregierung zu ermöglichen, die das Land mit neuem Wahlgesetz zu vorgezogenen Neuwahlen 2017 oder auch erst, wie geplant, Anfang 2018 führen wird. Die Chancen dafür stehen gut. Spätestens bei den Wahlen wird dann aber die Frage beantwortet werden müssen: Wer folgt wirklich auf Renzi?

Sollte der Sieger dann Grillos Protestbewegung sein, werden plötzlich auch jene glücklich über das Scheitern der Verfassungsreform sein, die heute noch darüber trauern. Denn mit Renzis neuer Verfassung hätte ein künftiger Premier von Grillos Gnaden viel mehr Macht besessen. Und das wäre ein Szenario, das sich viele lieber nicht zu genau ausmalen möchten. (Dominik Straub aus Rom, 5.12.2016)