Schon am 2. Dezember war Wahlschluss. Die APA veröffentlicht das Ergebnis aber erst am Freitag. Als Favoriten galten "arschknapp" für das Wort und "postfaktisch" als Unwort des Jahres. Viele hätten das lieber umgekehrt. So wie den Ausgang der Präsidentschaftswahl. Doch Polarisierung ist in keiner Wortkategorie nominiert, sie setzt sich in parteipolitischen Taktiken fort: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Vor allem beim Nationalrat geht es ums Wann.

Im austrologischen Wechselspiel von Koalition und Opposition spricht nicht nur viel gegen den 21. Mai 2017. Diesen Wahltag hat Norbert Hofer als zwischen SPÖ und ÖVP paktiert genannt, und so viel Rechthabe wird auch einem unterlegenen Gegner selten gegönnt. Wider die vorzeitige Auflösung des Parlaments gibt es insgesamt bessere Argumente, als gegenseitige Blockaden der Regierungsarbeit nahelegen. Denn im erwartbaren "Wind of Change" der rechtspopulistischen Art zeigt sich noch kein "Window of Opportunity" für das politische Establishment, auch wenn Christian Kern und Sebastian Kurz das gern hätten. Die befürchtete Abnützung der guten Persönlichkeitswerte des nicht mehr ganz neuen Kanzlers und seines gefühlt ewig künftigen Amtsrivalen sind kleinere Übel als das Vorziehen der Nationalratswahl in den absehbaren internationalen und regionalen Abstimmungskalender.

Das beginnt mit der globalen Aufmerksamkeit für die Amtseinführung von Donald Trump am 20. Jänner und endet nicht mit der nationalen Beachtung für den lokalen Urnengang in Graz am 5. Februar. Österreichs zweitgrößte Stadt ist der denkbar beste Ort für den nächsten Stimmungstest. Hier erzielte die FPÖ mit Alexander Götz von 1973 bis 1983 ihren größten kommunalen Erfolg, gründeten sich 1982 die alternativen Grünen, hatte die SPÖ von 1985 bis 2003 mit Alfred Stingl ein Heimspiel, baut Nachfolger Siegfried Nagl seitdem eine Hochburg der ÖVP – und ist die KPÖ mit 20 Prozent noch Nummer zwei.

Dieses Politlabor hat die rasant wachsende Dominanz der Person über die Präferenz zur Partei längst vorweggenommen. Ähnlich und doch ganz anders als die nächste große Gemeinderatswahl im April 2018 in Innsbruck, der einzigen seit 1945 nur von ÖVP-Bürgermeistern regierten Landeshauptstadt, von denen seit 1994 aber keiner mit einer ÖVP-Liste angetreten ist. Wie in Graz orten hier die Umfragen eine Verdoppelung der FPÖ-Stimmen und die SPÖ nur auf Rang fünf.

Zwischen diesen also besonders für die Sozialdemokraten beschwerlichen lokalen Abstimmungen liegen aber nur scheinbar 15 Monate ohne Kollisionsgefahr für eine vorgezogene Nationalratswahl. 2017 wird das Jahr des rechtspopulistischen Durchmarschs in Europa. Die Niederlande wählen im März. Ab April folgen in Frankreich die Wahlen von Präsident und Nationalversammlung. Nach Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Frühjahr ist im September der Deutsche Bundestag dran. Dann Tschechien im Oktober. Geert Wilders und Marine Le Pen, AfD und Aktion unzufriedener Bürger werden hohe Zugewinne vorhergesagt.

2017 ist kein gutes Wahljahr für nichtpopulistische Parteien links der FPÖ. Globalisierung und Digitalisierung bewirken, dass Österreich sich weniger denn je dem internationalen Mainstream entziehen kann. Das Angst erzeugende Agenda-Setting gegen Einwanderung, Europa und Eliten wird von Amsterdam über Paris und Düsseldorf bis Berlin und Prag als Metaebene jede Themensetzung in Wien überlagern. Das hilft nur Heinz-Christian Strache sowie jeder fundamentalen Opposition gegen "die da oben". Und es schadet Kern und Kurz, der sich ohnehin nur aufschwingen wird, wenn er die Kanzlerchance wittert.

Sein bester Zeitpunkt dafür ist 2018 vor den Landtagswahlen in Niederösterreich, Kärnten, Tirol und Salzburg. In einem solchen Szenario kann er als Außenminister infolge des österreichischen Vorsitzes der OSZE 2017 international schaulaufen und danach als frisches Zugpferd die ÖVP in die vier Regionalentscheidungen führen. Das funktioniert aber nur, wenn die Schwarzen den Roten nicht jeden Regierungserfolg streitig machen, sich parallel also Kern profilieren kann – und Reinhold Mitterlehner stabilisiert. Reißen nur einem im unfreiwilligen Dreigestirn die Nerven, bedeutet das Neuwahlen zu ihrer aller Unzeit.

Das durch die Wahl Alexander Van der Bellens abgewendete Damoklesschwert der vorzeitigen Auflösung des Nationalrats durch den Bundespräsidenten würden sie selbst herabfallen lassen. Ob wegen emotionaler Unerträglichkeit, taktischer Unfähigkeit oder persönlicher Selbstüberschätzung wäre dann Nebensache. Sie bereiteten damit jener FPÖ das Feld, die vor allem eines fürchten muss: erst dann anzutreten, wenn rundherum die Rechtspopulisten von Trump bis Viktor Orbán sich schon entzaubern. Ungarn wählt im Frühjahr 2018.

Regulär durchdienen

Für das reguläre Abdienen der Legislaturperiode sprechen nicht nur Interessen der Landeshauptleute Erwin Pröll, Peter Kaiser, Günther Platter und Wilfried Haslauer. Auch Österreichs EU-Vorsitz in der zweiten Hälfte 2018 ist eher Vorteil als Belastung. Er bietet Kern und Kurz jene internationale Bühne, die Strache 2017 als Wahlhelfer für seine Gesinnungskollegen haben wird. Auch die sonst von diesem Dreikampf ins Abseits gestellten Grünen kommen durch Van der Bellen so wieder ins Spiel.

Gegen dieses präreale Drehbuch sprechen nur zwei postfaktische Phänomene:

1. Die Schwarz-Blau-Befürworter in der ÖVP lassen durch den VdB-Sieg nicht nach, sondern werden nur leiser. Sie glauben, dass "der Sebastian" zehn Prozentpunkte bringen werde und die FPÖ auch als Nummer eins mit dem Vizekanzler vorliebnähme. Das eine ist Hoffnung, das andere blauäugig.

2. Während die herkömmlichen Medien ihrer Stellung als vierter Macht im Staat weiterhin ungläubig begegnen, nehmen digitale Netzwerke skrupellos eine solche Rolle ein. Sie sind noch eine Domäne der Rechtspopulisten. Vor allem Kurz, aber auch Kern bliesen in der Deckung der grün-blauen UHBP-Konfrontation zur Aufholjagd. Persönlich erfolgreich, doch ihre Parteien hinken nach. Die digitale Entwicklung von SPÖ und ÖVP bis 2018 ist unvorhersehbar. Sicher scheint aber: Die fünfte Gewalt im Netz wird früher Realität als die Dritte Republik der FPÖ. (Peter Plaikner, 5.12.2016)