"Es ist das erste Mal, dass ein russischer Präsident seinen Kandidaten in Frankreich auswählt", meinte der konservative Primärwahl-Bewerber Alain Juppé vergangene Woche im letzten TV-Streitgespräch vor der Stichwahl. Was er damit gemeint hat, muss er gar nicht weiter ausführen: Mitte der Woche hatte Wladimir Putin mit Blick auf das französische Primärwahlfinale erklärt, François Fillon sei ein Politiker, der sich von seinen Berufskollegen rund um den Planeten deutlich abhebe und eine "aufrichtige Person" sei.

Vor der Stichwahl von Sonntag zwischen Fillon und Juppé zirkulierten in den Pariser Medien reihenweise Bilder und Videos, die Fillon und Putin beim herzlichen Handshake zeigen. Der Russe lud den Franzosen schon in seine Datscha ein, schenkte ihm wertvollen Champagner, und sein Gast dankte es ihm mit einem "lieben Wladimir".

Kursberichtigung

Nicht nur die Pariser Diplomaten fragen sich: Führt der Präsidentenwechsel in Frankreich wie vielleicht in den USA zu einer westlichen Kursberichtigung gegenüber Moskau? Heute wahren Brüssel, Berlin und Paris Distanz zum Kreml-Chef, was sich in den Sanktionen gegen seine Ukraine- und Krim-Einsätze äußert. In Syrien stellen sich Europäer und Amerikaner vereint gegen die Achse Putin/Assad. Ziehen im Elysée wie im Weißen Haus "Putinologen" ein, bricht diese westliche Front zusammen, und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wäre isolierter, als sie es jetzt schon ist.

Fillon relativierte am Donnerstagabend in einem TV-Streitgespräch, die Bilder von den Auftritten mit Putin stammten aus den Jahren 2008 und 2012, als beide Ministerpräsidenten waren und sich damit öfters auf gleicher protokollarischer Ebene begegneten. Putin unterstütze in Paris vor allem den Front National von Marine Le Pen, der Hauptgegnerin der französischen Konservativen. Und er selbst, Fillon, habe schon verschiedentlich Position gegen den Putin-Kurs bezogen.

Das ist nicht falsch. Als der französische Präsident François Hollande 2015 beschloss, die zwei von Russland bestellten Helikopter-Träger des Typs Mistral wegen der Ukraine-Krise nicht auszuliefern, äußerte Fillon "Verständnis" für den Entscheid, der von Moskau scharf kritisiert wurde. "Niemand kann die Haltung Russlands billigen", meinte Fillon zur Begründung. In Interviews bezeichnete er Putin auch schon als "Bulldogge" und "Diktator".

Juppé erklärte allerdings selbst, Frankreich müsse darauf achten, "sich weder an Washington noch an Moskau anzulehnen". Damit nimmt er das alte gaullistische Credo auf. Charles de Gaulle strebte in den 60er-Jahren die gleiche Nähe – oder Distanz – zu den Russen wie zu den Amerikanern an. Und Fillon ist nun einmal der Ziehsohn des Vollblut-Gaullisten Philippe Séguin, dem im Unterschied zu Juppé jede "atlantistische" Ader abging.

Die französischen Républicains sind heute fast geschlossen für die Aufhebung der Russland-Sanktionen, die der sozialistische Präsident François Hollande mitträgt. Fillons Vertrauter Thierry Mariani ist die prägende Figur des französisch-russischen Freundschaftsvereins in der Pariser Nationalversammlung. Der Abgeordnete steht auch dem russischen Thinktank Institut für Demokratie und Kooperation nahe, der in Paris für eine gemeinsame Front der "christlichen Zivilisation" eintritt.

Moralisches Argument

Fillon engagiert sich in dem Verein nicht persönlich. Er ist bisher auch nicht persönlich nach Damaskus gereist, um Putins Verbündeten Bashar al-Assad zu treffen. Seine Mitstreiterin Valérie Boyer hat aber dem syrischen Despoten zusammen mit anderen konservativen Abgeordneten aus Paris schon die Aufwartung gemacht.

Fillon sprach sich am Donnerstagabend für Verhandlungen mit dem syrischen Regime und dessen russischer Schutzmacht aus. Erstes Ziel sei der vereinte Kampf gegen den "Islamischen Staat", meinte der 62-jährige Konservative, der sich dezidiert für die Christen im Orient einsetzt. Das moralische Argument Hollandes oder Juppés, man setze sich mit einem Blutherrscher wie Assad nicht an den Tisch, weist Fillon seit langem zurück: Er kritisiert vielmehr, dass Hollande mit dem "fundamentalistischen" Regime in Saudi-Arabien Geschäfte treibe.

De Gaulle habe den Ausgleich zwischen Sunniten und Schiiten gesucht, erklärte Fillon auch schon. Er plädiert dafür, dass Paris auch mit dem Iran engere Beziehungen pflege. Damit schließt sich der Kreis. Wenn Fillon im Mai in den Elysée-Palast einziehen sollte, fände Frankreich gewiss mehr Gehör für die Achse Moskau-Damaskus-Teheran und etwas weniger für die Koalition aus westlichen und Golfstaaten. (Stefan Brändle, 28.11.2016)