Therapeutische Ansätze von Alzheimer, die auf Entzündungsreaktionen im Gehirn abzielen, sollten sehr fein abgestimmt sein.

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Als der deutsche Psychiater Alois Alzheimer vor mehr als 100 Jahren durch sein Mikroskop auf die Gewebeprobe seiner verstorbenen Demenz-Patientin Auguste Deter schaute, erblickte er nicht nur die inzwischen berühmt-berüchtigten Ablagerungen, die senilen Plaques. Er erspähte auch etwas anderes: So genannte Gliazellen hatten sich um die Ablagerungen herum gruppiert, vor allem Mikrogliazellen.

Heute geraten diese Zellen wieder verstärkt ins Visier der Alzheimer-Forscher. Die Mikrogliazellen sind Teil des Immunsystems des Gehirns und scannen fortlaufend mit haarfeinen Ärmchen das Gewebe. Gibt es einen Notfall, begeben sie sich zügig zum Katastrophenherd und fressen Krankheitserreger auf.

Bei Alzheimer sind die Mikrogliazellen allerdings überaktiv und sorgen für eine Entzündungsreaktion im Nervengewebe. Dabei handelt es sich um eine eigentlich gesunde Immunreaktion, um Krankheitserreger im Hirn zu bekämpfen. Bei Alzheimer scheint sie aber aus dem Ruder zu laufen. Dass das Immunsystem tatsächlich eine fatale Rolle bei der Krankheit spielen könnte, lässt eine interessante Beobachtung vermuten: Patienten, denen man Medikamente gegen entzündliche Erkrankungen verabreicht hatte, litten im späteren Leben seltener unter Alzheimer.

"Eine aus dem Gleichgewicht geratene Entzündungsreaktion im Gehirn kann unter anderem die Folge von anomal aktivierten Mikroglia sein", sagt Linda Van Eldik von der University of Kentucky, die kürzlich mit Kollegen eine Übersichtsarbeit zu dem Thema veröffentlicht hat. Normalerweise bestehe die Aufgabe der Zellen ja darin, gemeinsam mit anderen Akteuren des Immunsystems innerhalb und außerhalb des Gehirns, die Denkzentrale zu schützen. "Doch Entzündungsreaktionen, die ineffizient, übertrieben oder länger anhalten, können zu Gewebeschädigungen führen." Sie könnten so letztlich den Untergang von Nervenzellen bedeuten, der sich bei Alzheimer beobachten lässt.

Blockiertes Molekül

Es gibt weitere Belege, die in diese Richtung weisen, wie etwa eine 2016 veröffentlichte Studie von Forschern um Adrian Olmos-Alonso von der University of Southampton. Die Wissenschaftler nahmen zunächst Gewebeproben von gesunden Probanden und Alzheimerpatienten unter die Lupe. Sie zählten die Mikrogliazellen – und siehe da diese waren in den Gehirnen von Alzheimer-Patienten zahlreicher vorhanden. Dann schauten sich Olmos-Alonso und seine Kollegen die gleichen Immunzellen bei Mäusen an, die genetisch so gezüchtet waren, dass sie Aspekte der Alzheimer-Krankheit entwickelt hatten. Die Forscher blockierten medikamentös ein Molekül, das die Mikrogliazellen regulierte.

Wie sich zeigte, verhinderte das bei den Tieren nicht nur einen Anstieg der Mikrogliazellen, der bei unbehandelten Mäusen im Zuge der Alzheimer-Erkrankung zu beobachten war. Die Behandlung verhinderte auch, dass Verbindungen zwischen Nervenzellen zu Grunde gingen, – normalerweise eine natürliche Folge der Alzheimer-Krankheit. Doch das war nicht alles. Der Trick brachte bei den Tieren auch die kognitiven Fertigkeiten auf Trab, sie litten in der Folge weniger unter Gedächtnisproblemen. Wie das Team betonte, war die normale Immunfunktion im Gehirn durch ihren Eingriff nicht in Mitleidenschaft gezogen.

Ankurbeln statt bremsen

So viel versprechend derartige Ansätze auch sind – bei näherem Hinsehen ergibt sich ein komplexeres Bild. Denn der systematische Versuch in klinischen Studien das Immunsystem im Kampf gegen Alzheimer medikamentös zu unterdrücken, war oftmals nicht von Erfolg gekrönt. Manche Forscher schlagen gar den umgekehrten Weg ein und wollen das Immunsystem nicht bremsen, sondern sogar ankurbeln. Zu ihnen gehört Michal Schwartz vom Weizmann Institute of Science in Israel. Ihr Team hatte es in einer Studie von 2015 auf die so genannten regulatorischen T-Zellen abgesehen. Diese Zellen drosseln die Aktivität des Immunsystems, um zu verhindern, dass die Krankheitsabwehr sich in einem gesunden Körper auch gegen die eigenen Zellen richtet. Doch zu viele dieser Zellen können die Immunabwehr auch daran hindern, auf echte Gefahren im Gehirn zu reagieren.

Das Ziel der Forscher war es nun, die Immunabwehr bei Mäusen mit einer im Labor erzeugten Demenz zu pushen. Dafür lockerten sie medikamentös die Bremsen des Immunsystems. Der Plan ging auf. Nachdem sie die T-Zellen blockiert hatten, konnte das Team um Schwartz beobachten, dass mehr Immunzellen ihren Weg von außerhalb hinein ins Gehirn der Nager fanden, wodurch sich dort die schädlichen senilen Plaques verringerten. Auch in Gedächtnistests erzielten die tierischen Probanden bessere Ergebnisse.

Zwei Dinge scheinen also mittlerweile klar zu sein: Das Immunsystem spielt eine lange unterschätzte Rolle bei der Entstehung von Alzheimer. Und: Es gibt keine einfache Antwort darauf, ob man das Immunsystem eher ankurbeln oder drosseln sollte. Das sieht auch Linda Van Eldik so: "Das Entzündungssystem ist komplex und stellt eine im Fluss befindliche Balance aus vorteilhaften und nachteiligen Reaktionen dar." Therapeutische Ansätze von Alzheimer, die auf Entzündungsreaktionen im Gehirn abzielten, sollten daher sehr fein abgestimmt sein. "Sie sollten zur rechten Zeit auf die nachteiligen Immunantworten abzielen und gleichzeitig die vorteilhaften Reaktionen beibehalten und so die gesunde Balance wiederherstellen." (Christian Wolf, 21.9.2016)