PJ Harvey: pflichtschuldig schwarz gewandet.

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Wien – Am Ende standen sie aufgereiht am Bühnenrand und verneigten sich wie das Burgtheater-Ensemble nach einer gelungenen Premiere. Nein, etwas weniger selbstzufrieden, distanzierter. Ganz so, wie es die Kunst der Chefin gebietet. Dem Publikumszuspruch tat das keinen Abbruch, denn was PJ Harvey mit ihrer neunköpfigen Band davor geboten hatte, war von selten erlebter Brillanz, wäre von jedem platten Superlativ bloß in seiner Magie bekleckert.

PJ Harvey markierte am Freitagabend den Höhepunkt des eintägigen Harvest of Art Festivals in Wien, das neben der britischen Musikerin noch Bands und Acts wie Element of Crime, Sophie Hunger oder Glen Hansard bot. Alles gute verdiente Künstler, doch nach der langen Abwesenheit der Polly Jean Harvey hierzulande war ein Großteils des Publikums wegen ihr nach St. Marx gepilgert.

Nüchterner Duktus

Außerdem präsentiert sie sich auf ihren letzten beiden Alben "Let England Shake" und dem im heurigen Frühjahr erschienenen "The Hope Six Demolition Project" in der Form ihres Lebens. Die früher exorzistisch anmutenden Nabelschauen einer gequälten Seele weichen darauf einem nüchterneren Duktus, der ihrer Kunst eine neue Autorität verleiht.

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Es ist ein zärtliche aber bestimmte Autorität, die sich in einer verlorenen Schönheit, in einer integren Radikalität niederschlägt, die Harveys Mitstreiter kongenial ins Liveformat übertrugen. Zu diesen zählen Mick Harvey – lange Nick Caves musikalisches Mastermind und das Gedächtnis dessen Band The Bad Seeds -, James Johnston von Gallon Drunk, der mächtige Terry Edwards oder John Parrish. Allesamt für sich genommen schon von diversen Qualitätssiegeln geadelt, alles freie Radikale, die PJ Harvey lose auf Linie bringt, ohne ihnen Ketten anzulegen.

Prächtige Kakophonien

So ist einen Verband entstanden, in den sich Harvey im Konzert immer wieder zurückziehen konnte, etwa um neben Edwards das Saxofon zu blasen oder sich kurz zu sammeln, bevor sie wieder das Regiment übernahm.

Neun Bandmitglieder, da dräuen natürlich Probleme der Überinstrumentierung und der Blähungen, aber nicht. Aus einer Mischung von Ökonomie und Spaziergängen am Rande prächtiger Kakophonien bezog die Aufführung ihre Dynamik, zu der Harvey ihre Klagelieder formulierte. Immer nahe an den Studioversionen der Songs, kein Schnickschnack, keine Zugeständnisse an momentane Launen, die die Kunst verwässern könnten.

Blues und Trommelmärsche

Immerhin verhandelt Harvey schwere Kost, singt über Krieg und Katastrophen, vertont Eindrücke von Reisen in den Kosovo, Afghanistan oder die Glasscherbenviertel von Washington DC. Von dort bezieht sie für ihr neues Album Blues-Samples und Songs wie "Dollar, Dollar" und die Inspiration für das bei den Zugaben gegebene "Near The Memorials To Vietnam and Lincoln".

Titel, die live kontrolliert an den Rand der Explosion geführt wurden, in denen Mick Harvey wahlweise Bass, Keyboard oder Gitarre spielte, während Johnston seiner Geige Schreie entriss oder an der Orgel mit gedämpftem Moll den Trommelmärschen der Rhythmusabteilung entgegenhielt.

Am Ende die Hoffnung

Im Zentrum der Aufführung illustrierte die 46-Jährige – pflichtschuldig schwarz gewandet – mit reduzierten Gesten ihre Songs: Das ätherische "A Line In The Sand", das in seiner reduzierten Schönheit schwebende "The Orange Monkey", das rohe, den Blues beschwörende "The Ministry of Defence" oder ältere Songs wie "To Bring You My Love".

Lediglich "50ft Queenie" erinnerte an ihre frühe, vom Punk kommende Kunst, war ein gut gesetzter Ausbruch im letzten Viertel der Show. Dieser setzte sie mit "River Anacostia" ein erstes Ende vor den Zugaben, versöhnte das Publikum mit dem darin zitierten Spiritual "Wade in the Water".

Ein schöner Kunstgriff, speist sich doch noch der traurigste Gospelsong bei der Hoffnung. Die Halle war da längst restlos entzückt und verzaubert. Ja, möglicherweise geht es noch besser, vorstellbar erschien es nach dieser Darbietung kaum. Noch einmal verneigte sich das Ensemble, winkte und ging ab. (Karl Fluch, 9.7.2016)