Erstmals seit 55 Jahren waren Ärzte ohne Grenzen auf hoher See tätig (Symbolfoto).

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Wien – Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in Österreich kritisiert die Regierung für ihre Flüchtlingspolitik. "Es ist nicht akzeptabel, dass ein Notstand ausgerufen wird, wo keiner ist, als Rechtfertigung, dass man Schutzsuchende abweisen darf. Das verstößt gegen die Genfer Schutzkonvention", sagte Präsidentin Margaretha Maleh bei der Präsentation des Jahresberichtes 2015 am Donnerstag in Wien.

Das vergangene Jahr war eines der tödlichsten für die Hilfsorganisation. Zahlreiche Krankenhäuser, entweder von Ärzte ohne Grenzen geleitet oder unterstützt, wurden angegriffen. Die Organisation startete 2015 den bisher umfangreichsten Hilfseinsatz für Flüchtlinge in Europa. "Es war ein Jahr mit traurigen Rekorden", sagte Maleh. Insgesamt waren 535 Mitarbeiter wegen der Flüchtlingskrise in Europa im Einsatz, davon 45 allein auf Rettungsbooten.

Deal mit Türkei rückgängig machen

"Besonders besorgt sind wir über die aktuelle Entwicklung in Europa, die beschlossene Asylverschärfung bedeutet eine de facto Abschaffung des Rechts auf Asyl für Kriegsflüchtlinge in Österreich," sagte Maleh. "Österreich ist auf dem besten Weg ein Negativ-Beispiel zu werden. Die Entscheidung, eine Obergrenze einzuführen, hat einen Dominoeffekt auf andere Länder ausgelöst. Daher rufen wir Österreich und die anderen Länder auf, den Deal mit der Türkei rückgängig zu machen." Sie appelliere daher an den neuen Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und an die Regierung, die Verschärfung des Asylrechts zu überdenken. Dazu erschien am Donnerstag in einigen österreichischen Medien ein offener Brief an Kern.

163 Mitarbeiter wurden aus Österreich und dessen Nachbarländern im vergangenen Jahr in die Einsatzländer entsandt – mit Abstand die höchste Anzahl seit der Gründung der österreichischen Sektion im Jahr 1994. Sie leisteten insgesamt 241 Hilfseinsätze in 42 Ländern, also jeder zweite Mitarbeiter war auf zwei Einsätzen tätig. Das sind zwölf Prozent mehr Einsätze als im Vorjahr. Mehr als die Hälfte aller Einsätze von Ärzte ohne Grenzen Österreich fanden vergangenes Jahr in Kriegsgebieten statt. Auch die Spenden sind gestiegen: Insgesamt spendeten 2015 knapp 228.000 Privatpersonen und Unternehmen aus Österreich rund 24,8 Millionen Euro, davon sind 18,3 Millionen direkt in Projekte in 29 Ländern geflossen.

Einsätze auf hoher See

"Erstmals seit 55 Jahren sahen wir uns gezwungen auf hoher See Einsätze zu tätigen," sagte Maleh. Dabei konnten mehr als 20.000 Menschen gerettet und erstversorgt werden. Entlang der Balkanroute bis zu den griechischen Inseln führten Ärzte ohne Grenzen mehr als 100.000 medizinische Versorgungen durch. Zusätzlich wurden Menschen in Flüchtlingslagern an den Grenzen mit Decken, Hilfsgütern und Nahrung versorgt. Ein kleines Team war auch an den Grenzübergängen in Österreich tätig.

Die Arbeit in Kriegsgebieten gestalte sich zunehmen schwierig, in Syrien, im Jemen und Afghanistan werden regelmäßig Krankenhäuser angegriffen. Weltweit wurden im vergangenen Jahr 106 Angriffe auf 75 Krankenhäuser von Ärzte ohne Grenzen dokumentiert. Dazu zählt auch ein tödlicher Angriff auf das Trauma-Krankenhaus in der afghanischen Stadt Kundus, bei dem im Oktober mindestens 42 Ärzte ohne Grenzen-Mitarbeiter und Patienten starben. "Unser Appell an alle kriegsführenden Parteien und Länder, beenden sie die Angriffe", sagte Mario Thaler, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Österreich, abschließend. (APA, 19.5.2016)