Die Familiensaga "Downton Abbey" geht derzeit in die sechste und damit letzte Runde. Am Sonntag strahlte der britische Sender ITV den Anfang vom Ende der Granthams aus. Wir – die "Serienreif"-Damen – sind nicht völlig am Boden zerstört, dass es keine weitere Staffel mehr geben wird. Denn zuletzt waren die Geschichten schon ein wenig platt, dünn, langweilig. Da halfen auch die schönen Kostümchen nicht mehr. Deswegen die Frage: Ist "Downton Abbey" das neue "Reich und Schön"?

Doris Priesching: Ich seh das nicht so eng, und gegen "Reich und Schön" habe ich auch nichts. Ganz abgesehen davon, dass "Reich und Schön" ungefähr 7000 Folgen hat und "Downton Abbey" um ca. 6950 weniger. Natürlich ist seit der zweiten, spätestens dritten Staffel die Luft raus, und alles wiederholt sich. Julian Fellowes hat es sich einfach gemacht, indem er die Figuren ausgewalzt hat – und jetzt wirken sie eben ein bisschen platt. Ich schau’s trotzdem, allein wegen Maggie Smith. Ich vermisse sie jetzt schon.

Daniela Rom: Ach ja, die Dowager Countess ist schon das Großartigste, was "Downton Abbey" zu bieten hatte. Vor allem im Dauerclinch mit der Frau Crawley. Da ist so viel Witz drin, das reicht für sechs Staffeln. Beim Rest der Geschichte allerdings war die Luft eigentlich bald mal draußen. Und dann sterben einfach alle, um das Drama am Kochen zu halten. Ich muss gestehen, ich bin ein großer Fan der Optik von "Downton Abbey" und generell ein Fan von britischem Adelsspaß. Dass die Serie aber spätestens ab Staffel zwei immer mehr versoapisierte, hat meinen anfänglichen Enthusiasmus aber doch gedämpft.

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Ein Blick der Dowager Countess of Grantham sagt in der Regel alles. Wenn sie dann auch noch was sagt, entspricht das in der Regel dem Blick.
Foto: Nick Briggs/AP/dapd

Julia Meyer: Ja, Maggie Smith mit ihrem Elektrizitätstick war lustig. Ich fand auch die Idee, dass Marys Verlobter auf der Titanic stirbt, lustig. Ich fand ehrlich gesagt alles, was tragisch sein sollte, irgendwie lustig. Vor allem wenn die Schauspielerin von Lady Mary versucht hat, ihrer Rolle Profil zu geben, und das irgendwie mit Pathos verwechselt hat. Am lustigsten fand ich den Tod des Diplomaten Mr. Pamuk.

Doris Priesching: Lady Mary ist übrigens auch im wirklichen Leben als Michelle Dockery eine richtige Lady. Wir haben uns beim Interview kaum zu fragen getraut, so ein Eisberg saß da vor uns. Taylor Schilling übrigens auch, aber das ist eine andere Geschichte. Dockery erinnerte mich ein wenig an Christiane Hörbiger, der man auch nachsagt, dass sie seit ihrer Rolle bei den "Guldenburgs" glaubt, eine Gräfin zu sein. Interessantes Phänomen!

Julia Meyer: Ich hab nach einem "Gossip Girl"-Marathon mal gedacht, ich wäre die 16-jährige Serena van der Woodsen. Und dann im Supermarkt auch so geschaut. Passiert also den besten.

Michaela Kampl: Wer mich besonders nervt von der ganzen Familie, ist Lord Grantham. Der macht so gut wie alles immer richtig, und wenn er mal was nicht richtig macht, macht er es so, dass ich ihm nicht böse sein kann. Der verjubelt das Familienvermögen gleich zweimal, und dann müssen die Ladys den Karren wieder aus dem Dreck ziehen. Oder er steigt einem hübschen Zimmermädchen nach oder versteht nicht, warum seine Tochter einen irischen Revolutionssympathisanten heiraten will. Aber am Ende geht dann alles irgendwie immer gut aus – egal was passiert.

Der Lord und sein Butler – in "Downton Abbey" haben die beiden eine freundschaftliche, fast väterliche Beziehung. Historisch korrekt ist das wohl nicht, aber schön anzusehen ist es durchaus.
Foto: © Carnival Film & Television Limited 2012

Daniela Rom: Er ist halt so der gute Lotsch, der aber immer noch in der Vergangenheit festhängt. Da heiratet er zwar seine Amerikanerin, aber wenn es um den Hof geht, machen wir bitte alles so, wie wir es immer gemacht haben. Da ist auch das Spannungsverhältnis zu seiner Mutter, der vermeintlichen Betonschädelin, sehr interessant. Letztlich ist die alte Violet eine Revoluzzerin, selbst wenn sie zuerst verächtlich mit dem Kopf wackelt. Wenn die Enkelin dann unehelich schwanger ist, dann ist Violet zur Stelle und hat einen Plan.

Michaela Kampl: Was mich an "Downton Abbey" stört, ist auch dieses Gefühl, das sie von einer historischen Periode vermitteln. Das eigentlich eh alles super ist, wie es war. Die Angestellten und die Hausherren sind doch wie eine große Familie, und dass den einen alles und den anderen nichts gehört, ist ja sowieso kein Problem, weil sich alle mögen. Und die Reichen geben dann den Armen eh was, und so kann es dann für immer bleiben. Das grenzt an Geschichtsfälschung und regt mich auf. Das ist die eine Seite. Auf der anderen schau auch ich schon gern zu, was sich so tut auf dem Grantham-Anwesen, wer mit wem und was und wo und überhaupt und die Kleider und so.

Daniela Rom: Hmmm, ich verstehe, was du meinst – ob das allerdings schon Geschichtsfälschung ist, weiß ich nicht. Ich finde ja dieses ständige Hinweisen darauf, dass die ganzen Hauselfen urwichtig sind und dass es zur Aufgabe der Gutsherren gehört, Jobs zu schaffen, eher bezeichnend für das ureigene Verständnis dieser Klasse. Dass das wahrscheinlich nicht immer so eitel Wonne wie bei den Granthams war, ist aber auch klar. Und dass der Lord und sein Butler immer Buddies waren, wohl auch.

Michaela Kampl: Ja, Jobs schaffen, eh. Aber das ist so ein bissi der gute, wohlmeinende Industrielle, dem dann die Leute dankbar sein müssen, dass sie ihre Arbeitskraft zu miesen Bedingungen verkaufen dürfen, weil es keine Alternative gibt. "Downton Abbey" bedient hier eine Sehnsucht nach einer Zeit, wie sie so nicht existiert hat – ähnlich wie der Manufactum-Katalog. Aber ich weiß schon, es ist eine Fiktion und ein wenig Kostümschinken und keine Dokumentation. Manchmal bin ich da milder, manchmal nicht. Es gibt auch die Theorie, dass "Downton Abbeys" rigides Klassensystem bei den Zuschauern besonders gut ankam, weil zur gleichen Zeit in der echten Welt die Finanzkrise tobte und drohte, vieles sicher Geglaubtes auf den Kopf zu stellen. Fun Fact: Julian Fellowes, der Drehbuchautor, sitzt auch für die britischen Tories im House of Lords.

Daniela Rom: Ich sag ja eh nicht, dass das Bild des wohlmeinenden, umsorgenden Gutsherren der Wahrheit entspricht – es ist das Eigenverständnis. Darauf wird ständig hingewiesen, und das finde ich schon interessant. Dass es da offenbar immer noch einen tief verwurzelten Wunsch nach den alten gesellschaftlichen Spielregeln gibt und –da geb ich dir recht, Michi – damit nach einer Gesellschaft, die in dieser idealisierten Form nie existierte. Dass der gute Herr Fellowes auch eher aus Upstairs kommt denn aus Downstairs, spiegelt sich dann auch in der Serie wider. Der Blickwinkel ist immer klar jener von den Besitzenden auf die Untergebenen, selbst wenn die Angestellten gleich viel dargestellte Zeit in der Serie kriegen.

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Klare Positionen innerhalb und außerhalb der Familie Crawley.
Foto: AP Photo/PBS/NickBriggs

Julia Meyer: Ja, voll. Wir hatten das im Zuge des Familienserien-Blogs schon mal angerissen: "Dowton Abbey" ist halt Eskapismus pur. Das ist ja nichts Schlechtes, aber ich finde, dass die Serie ihre Zeit nicht ernst nimmt. Die Rollen sind schon arg einfach gestrickt, und anders als beispielsweise bei "Mad Men" ist die 2015er-Perspektive der Serienmacher schon sehr spürbar. Und alles läuft dann im Endeffekt auf moderne Moralvorstellungen hinaus. Das historische Setting ist meiner Meinung nach oft nur Dekor. Aber vielleicht bin ich auch zu streng.

Doris Priesching: Was mir am Anfang so gut gefallen hat, war dieses ständige Nichteskalieren von Situationen. Es musste nicht immer zum Schlimmsten kommen. Das begann mit dem Unkrautsalz, das schon fast zum Dinner serviert wurde – war es Unkrautsalz? Egal, irgendwas Giftiges, jedenfalls wurde es in der letzten Sekunde verhindert. Es ging so weiter, nie kam es zur unumkehrbaren Katastrophe, es gab immer irgendwie einen Ausweg. Das war ungewöhnlich fürs Dramafernsehen, das sich ja meistens von einem emotionalen Höhepunkt zum nächsten schrauben muss. Das Ende dieses zarten Leichtigkeit kam mit dem Tod diverser Hauptdarsteller.

Daniela Rom: Stimmt, in Staffel drei war Schluss mit lustig. Ich meine, die haben da zwei Hauptfiguren ins Gras beißen lassen. Zwei! Das muss ein Serienfan-Herz erst mal verkraften.

Michaela Kampl: Ja, das war schlimm. Und hat irgendwie nicht zum Rest der Erzählweise gepasst. Sonst ging es da zum Teil darum, wer eine Gartenshow gewinnt, und dann das. Ich sag euch ehrlich, ich bin überwiegend froh, dass es nach dieser Staffel vorbei ist. Dann kann die Suppe nicht noch dünner werden – und ich kann "Dowton Abbey" in einigermaßen guter Erinnerung behalten kann. Irgendwie die letzte Chance, nicht zu "Reich und Schön" zu werden. Also mit ein paar Scones, süßem Rahm und schwarzem Tee wird wohl auch dieser Abschied bittersüß und erträglich werden.

Julia Meyer: Teile der Serie wurden übrigens auf dem Anwesen von Deborah Mitford gedreht, der jüngsten der Mitford-Schwestern. Im englischen Raum ist die Familie sehr bekannt. Unity Mitford war zum Beispiel eine gute Freundin Hitlers und schoss sich zu Kriegsbeginn in den Kopf. Ihre Schwester Jessica war wiederum Kämpferin im spanischen Bürgerkrieg, Sozialistin, Menschenrechtsaktivistin und auch sonst ziemlich einzigartig. Und die älteren Schwestern galten in den 20er-Jahren als die ersten It-Girls ever. Der Vergleich zwischen dem Leben der Mitford-Schwestern und "Downton Abbey" taucht in der englischen Presse oft auf. Ich empfehle jeder und jedem, die sich für die Zeit und/oder bewegte Biografien vom Anfang des vergangenen Jahrhunderts interessieren, Susanne Kippenbergers Buch "Das rote Schaf der Familie". Da geht's wirklich wild zu. (Michaela Kampl, Julia Meyer, Doris Priesching, Daniela Rom, 22.9.2015)