Verwechslungsgefahr - besonders in Filmen: Gerichtsmediziner und Pathologe. Im Bild: eine Szene aus "Schnell ermittelt".

Foto: ORF/Petro Domenigg

Wenn die Rohrpost pfeift, dann weiß man auf der Pathologie im Wiener AKH Bescheid: Eine "Bombe" kommt an. Ihr Inhalt: ein Wächterlymphknoten, der irgendwo im Haus gerade einer Patientin mit Brustkrebs entnommen wurde. Nun läuft die Zeit: Die Frau liegt noch auf dem Operationstisch, und der Chirurg wartet, während der Pathologe überprüft, ob sich der Tumor schon in die Lymphknoten ausgebreitet hat.

"Wir sind die Flugsicherung der Medizin: Man sieht uns nicht, aber wir steuern das Ganze", sagt Dontscho Kerjaschki, Vorstand des Klinischen Institutes für Pathologie der Medizinischen Universität Wien. Den Ruhm würden sich allerdings die behandelnden Ärzte holen, die direkt mit den Patienten zu tun haben. So, wie der Alltag von Pathologen in Filmen porträtiert wird, schaut er übrigens überhaupt nicht aus: Das, was in Krimiserien der Pathologe macht, ist in Österreich Aufgabe der Rechtsmedizin. Klinische Obduktionen von Patienten, die im AKH verstorben sind, werden zwar von Pathologen durchgeführt, den Großteil des Berufsalltags nimmt aber die Analyse von Gewebeproben lebendiger Menschen ein.

"Carpaccio" aus Gewebeproben

Normalerweise dauert es mehrere Tage, bis eine Gewebeprobe analysiert wird. Beim Gefrierschnitt während einer Operation kann aber innerhalb von zehn bis 15 Minuten ein vorläufiger histologischer Befund angefertigt werden. Dieser ist sehr genau, betont Kerjaschki: Die Treffsicherheit beträgt 99,9 Prozent. Dafür werden vom Lymphknoten Proben entnommen und mit flüssigem Stickstoff gefroren. So lässt sich die Probe besser schneiden: Zwei bis vier Mikrometer dick sollen die Scheiben sein. Als "sehr dünnes Carpaccio" beschreibt das Renate Kain vom Klinischen Institut für Pathologie. Die Probe wird dann mit verschiedenen Farblösungen eingefärbt und unters Mikroskop gelegt.

Wer sich nicht auskennt, sieht ein abstraktes Kunstwerk aus bunten Strukturen, Blasen und dunklen Tupfern. Ein Experte weiß aber rasch Bescheid, ob das Gewebe gesund ist oder ob der Chirurg im OP noch weiterschneiden muss. Fünf bis zehn solcher Gefrierschnitte bekommt der Pathologe bei einer Brustkrebs-OP. Und die Entscheidungen, die er dem Chirurgen telefonisch mitteilt, sind folgenschwer. Daher schauen immer mindestens zwei Experten auf die Probe: "Wenn wir sagen, dass der Lymphknoten schon befallen ist, werden der Frau alle Lymphknoten in der Achsel entfernt", sagt Kerjaschki. Später, wenn mehr Zeit ist, wird der gesamte Lymphknoten dann in einzelne Scheiben geschnitten. "Dann schauen wir, ob nicht doch noch wo eine Tumorzelle ist, die wir im Schnellverfahren übersehen haben." Das komme aber so gut wie nie vor.

Empfänglich für bestimmte Medikamente

Außerdem kann auf der Pathologie bestimmt werden, um welche Art von Tumor es sich handelt und in welchem Stadium dieser ist. Die Experten können Empfehlungen abgegeben, für welche Medikamente der Tumor empfänglich ist. Dabei wird die Technik immer genauer: "Die immunhistologische und die molekulare Diagnostik sind die Bereiche, wo sich in den letzten Jahren die Untersuchungen fast verzehnfacht haben", sagt Kain. Aber diese Art der Diagnostik dauert, und sie kostet viel. Außerdem eignet sich nicht jeder Tumortyp dafür.

Die Aussichten sind aber vielversprechend: "Wir sind die personalisierte Medizin", sagt Kerjaschki. Trotzdem klagt er über finanzielle Einsparungen und eine regelrechte Pathologen-Flucht in Österreich: "Die Pathologie ist ein mieses Geschäft." Viele Stellen seien in den letzten Jahren abgebaut worden, außerdem hätten sich Kollegen nach Deutschland oder Norwegen verabschiedet, wo die Bezahlung besser ist. Denn in Österreich sei der Job schlecht bezahlt, und man habe keine fixen Arbeitszeiten. Außerdem steht ein Pathologe nie im Vordergrund: "Gleichzeitig haben wir aber die Letztverantwortlichkeit für alles, was geschieht", sagt Kerjaschki.

Medizinische Rätsel

Leicht ist der Job auch nicht: "Eine Faustregel: Gut ausgebildete Pathologen müssen 95 Prozent aller Krankheiten aus einer Gewebsbiopsie erkennen", sagt Kerjaschki. Für vier Prozent sei eine vertiefte Sachkenntnis nötig. "Bei einem Prozent kennen sich auch die Spezialisten nicht aus." Solche Proben werden dann zu Instituten im Ausland, etwa nach Boston, geschickt. Medizinische Rätsel sind zwar selten, es gibt sie aber, berichtet Kain: "Manchmal stehen wir an. Dann müssen wir den Weg der Wissenschaft gehen."

Dass Proben, die verschickt werden, auch verloren gehen können, das hat vor wenigen Wochen ein Fall in Linz bewiesen: Sechs Gewebeproben von Frauen mit Verdacht auf Brustkrebs sind auf dem Postweg ins Klinikum Bayreuth spurlos verschwunden - aber mittlerweile wieder aufgetaucht. Aufgrund von akutem Pathologenmangel ist es im AKH Linz nicht mehr möglich, Analysen im Haus durchzuführen. Kerjaschki überraschte dieser Fall nicht: Jene Krankenhäuser, die keine Pathologien mehr hätten, seien eben auf Kooperationen im In- und Ausland angewiesen. "Mittelfristig wird sich die Situation verschärfen", sagt er, denn Pathologen-Nachwuchs fehlt.

Patienten als Nummern

In einem fensterlosen Gebäudeteil des AKH werden in unzähligen Regalreihen sämtliche Gewebeproben seit den 1950er-Jahren gelagert. Die hauchdünnen Paraffinplättchen sind mit Nummernkombinationen versehen. Auf 600 bis 700 Quadratmeter schätzt Kain die Größe dieses Archivs. Mit neuen Untersuchungsmethoden können alte Präparate heute neu analysiert werden - was beispielsweise dann vorkommt, wenn eine Frau zehn Jahre nach einer Brustkrebserkrankung erneut daran erkrankt.

Dass die Patienten nur Nummern sind, ist für Kerjaschki wichtig: "Sonst fängt es im Hirn zu rumoren an." Letztendlich fehle ohnehin die Zeit, sich über die einzelnen Patientenschicksale Gedanken zu machen. Manchmal fällt der Blick aber doch auf die Patientendaten, sagt Kain: "Es macht mich schon betroffen, wenn der Patient so alt ist wie ich. Oder sogar jünger." (Franziska Zoidl, derStandard.at, 14.11.2014)