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Bewaffnete Polizisten stehen schwarzen Demonstranten gegenüber – die Bilder von Ferguson 2014 (li.) erinnern an ...

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... die Aufstände in den 1960er-Jahren – und ebenso an die Unruhen in Los Angeles 1992 oder den Fall Trayvon Martin in den Jahren 2012 und 2013.

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Als sie der Einladung zu einem Businessdinner gefolgt war, sei sie von der Empfangsdame ins Hinterzimmer geführt und nach ihrer Dienstbotenuniform gefragt worden, erzählt Mellody Hobson. "Und das hat mich nicht einmal überrascht." Im Mai hielt die afroamerikanische Vorsitzende einer Investmentbank bei einer TED-Konferenz eine Rede über Rassismus in den USA. Ihre Freunde hätten ihr davon abgeraten, "aber die Zahlen lügen nicht", betont Hobson, "wir müssen darüber reden".

Der Tod des 18-jährigen Schwarzen Michael Brown und die Straßenschlachten, die ihn begleiten, haben ein amerikanisches Tabu wieder an die Oberfläche gespült: Rassismus ist in den USA auch ein halbes Jahrhundert nach der Rede Martin Luther Kings und trotz eines schwarzen Präsidenten noch nicht Geschichte.

Wirtschaftlicher Abstieg hat Schwarze besonders getroffen

"Ich würde sogar behaupten, es ist schlechter geworden", sagt Christian Hacke, ehemals Professor für Politikwissenschaft am Institut für Politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Zum einen habe die Wirtschaftskrise und der damit verbundene Niedergang der amerikanischen Gesellschaft die schwarze Bevölkerung besonders hart getroffen. Vor allem aber habe es US-Präsident Barack Obama verabsäumt, echte Post-Race-Politik zu betreiben.

In seinen nun fünf Jahren als schwarzer Präsident habe er sich nie zu deutlichen Initiativen bewegen lassen, um die Rechte der Schwarzen zu stärken. "Obama macht angepasste Politik, er ist ein Opportunist, der die Weißen nicht verschrecken möchte ", resümiert Hacke.

Sei es beim Einkommen, dem Zugang zu Bildung oder der Wohnsituation: Die afroamerikanische Bevölkerung schneidet im Durchschnitt schlechter ab. Bei einer Meinungsumfrage des Pew-Research-Institutes im Vorjahr gaben 88 Prozent der Afroamerikaner in den USA an, diskriminiert zu werden, die Hälfte davon sogar "in hohem Maße".

Enorme Einkommensunterschiede

Während weiße Familien laut der Wohltätigkeitsorganisation United for a Fair Income im Durchschnitt 109.000 Dollar auf ihrem Rentenkonto angespart haben, kommen Schwarze und Hispanos lediglich auf 17.000 Dollar. "Die Lage ist explosiv", sagt Hacke.

Der Fall Brown erinnert an den Tod des 17-jährigen Schwarzen Trayvon Martin, der 2012 in Florida von George Zimmerman, Mitglied einer Nachbarschaftswache, angeblich aus Notwehr erschossen wurde. Als Zimmerman freigesprochen wurde, flammten die Proteste erneut auf.

Auch die Polizisten, die 1991 den Afroamerikaner Rodney King vor laufender Kamera schwer misshandelt hatten, wurden freigesprochen. Dem Urteil folgten tagelange Ausschreitungen in Los Angeles. Am Ende starben 53 Menschen, mehrere Tausend wurden verletzt. Ein Funke reicht, um das Pulverfass Rassismus zu entzünden.

"Rassistische weiße Polizeikaste"

Ein dritter Punkt, der die Dramatik in den USA ausmache, sei die "unglaubliche Unsensibilität der Polizei", meint Hacke. Eine "rassistische weiße Polizeikaste" habe überall, wo Schwarze leben, das Sagen. Mit dem "Stop and Frisk"-Programm ist es Polizisten beispielsweise erlaubt, gezielt Minderheiten aus dem Straßenverkehr herauszufangen und auf Verdacht hin zu durchsuchen.

"Viele, vor allem weiße Amerikaner sind der Meinung, Obama sei der Indikator dafür, dass Rassismus überwunden ist", sagt Wulf D. Hund, emeritierter Professor für Soziologie der Universität Hamburg mit Schwerpunkt Rassismusforschung. "Dabei hat sich an der Grundstruktur des Rassismus in den vergangenen Jahrzehnten wenig verändert." Die Botschaft von Mellody Hobson, dass persönliche Einstellung und Anstrengung zu ihrer Überwindung führen könnten, greife deswegen zu kurz und ziele in die falsche Richtung. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 19.8.2014)