So viel diplomatische Rücksichtnahme ist man von Wladimir Putin nach den Erfahrungen der vergangenen Monate eigentlich nicht gewöhnt. Das Timing war jedenfalls perfekt. Kurz bevor die Iljuschin IL96-300PU des russischen Präsidenten – mit der fast schon gewohnten Verspätung – in Wien-Schwechat landete, kam aus Moskau ein Entspannungssignal bezüglich der Ukraine-Krise: Putin wolle, dass der Föderationsrat (die zweite Kammer des Parlaments) die am 1. März erteilte Erlaubnis zum Truppeneinsatz in der Ukraine zurücknehme.

Die Rücknahme galt nach der Bitte Putins als Formsache. Für die Wiener Gastgeber war es ein ideales Geschenk – hatte es doch im Vorfeld innerhalb der Europäischen Union und seitens der USA kaum verhüllte Kritik am EU-Mitglied Österreich gegeben, das dem mit Sanktionen belegten Kreml-Chef den roten Teppich ausrolle.

Kurz vor dem Eintreffen Putins erklärte die US-Botschaft in Wien, seit Ausbruch der Ukraine-Krise bemühten sich Europa und Nordamerika gemeinsam, weitere russische Aggression zu entmutigen und konstruktive Gespräche zu erleichtern. Die österreichische Regierung, Wirtschaftsführer und das österreichische Volk "sollten sorgfältig überlegen, ob die heutigen Ereignisse zu diesen Anstrengungen beitragen".

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Ließ seine Gäste warten: Wladimir Putin
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Als Putins Konvoi am Nachmittag in den Inneren Burghof einfuhr, dominierte die Kraft des Faktischen. Knapp 40 Minuten betrug die Verspätung, wieder durften sich die Gastgeber geschmeichelt fühlen: Papst Franziskus hatte der Kreml-Chef im November im Vatikan länger warten lassen.

Bei Bundespräsident Heinz Fischer bedankte sich Putin charmant für den Empfang: "Ich freue mich sehr, in Wien sein zu dürfen, das mir sehr ans Herz gewachsen ist." Fischer hatte nach seinem Russland-Besuch 2011 eine Gegeneinladung ausgesprochen.

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Militärische Ehren gehören natürlich auch zum Empfang.
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Dialog und klare Worte

Nach einem Vieraugengespräch mit Putin berichtete Fischer von "verlässlichen und seriösen Beziehungen". Die Lage in der Ukraine beschrieb er als "schwierige Situation, in der es Meinungsverschiedenheiten gibt", etwa in der Frage der Krim. Aber: Die Gefahr, dass man in so einer Situation zu wenig miteinander spreche, sei "wesentlich größer als die, dass man zu viel miteinander spricht". Österreichs Botschaft laute im Einklang mit dem Friedensprojekt Europa: "Es kann nur friedliche Lösungen geben." Fischer hoffte, dass von dem Wiener Treffen Impulse für eine solche friedliche Lösung ausgehen, denn "Gewalt ist kein Instrument der Politik".

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Fischer führt Putin durch die Hofburg.
Foto: apa/neubauer

Putin zeigte sich nach dem Treffen erleichtert, dass Moskau auf eine Intervention in der Ostukraine habe verzichten können. Sein ukrainischer Amtskollege Petro Poroschenko habe Bereitschaft zum Frieden signalisiert. Allerdings: Der Waffenstillstand müsse länger als sieben Tage halten und zu substanziellen Gesprächen zwischen Kiew und den Separatisten führen. Die Kräfte im Westen des Landes, die (auf dem Maidan, Anm.) "zuerst zu den Waffen gegriffen" hätten, müssten sich ebenfalls entwaffnen. "Was bisher gemacht wird, wird nicht ausreichen." Moskau werde "ethnische Russen" und jene Bevölkerungsteile schützen, die "unzertrennbar mit Russland verbunden" seien.

Den Vertrag über den Bau der South-Stream-Pipeline bis kurz vor Wien, der, so Fischer, "nicht als Teil des Besuchsprogramms, aber zeitlich synchron" unterzeichnet wurde, verteidigten beide. Das Projekt sei sinnvoll, so Fischer. Durch die Nato- und EU-Mitglieder Bulgarien und Ungarn führten deutlich längere Teile der Trasse. "Es kann mir niemand erklären, wieso die Pipeline Österreich nicht berühren darf."

Wiener Übereinstimmung

Vor Putins Ankunft hatten auch Bundeskanzler Werner Faymann – mit dem Putin nach dem Treffen mit Fischer sprach – und Vizekanzler Michael Spindelegger den Staatsbesuch zum jetzigen Zeitpunkt verteidigt. Österreich sei ein "Brückenbauer", lautete der Tenor am Rande des Ministerrats am Vormittag. Man könne als neutrales Land bei den Bemühungen um Frieden und Deeskalation in der Ukraine behilflich sein, sagte Faymann, auch wenn nicht gleich eine Lösung zu erwarten sei. Auch Spindelegger betonte die Bedeutung von Gesprächen.

In seltener Übereinstimmung mit der Regierung befürwortete auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache den Besuch. Kritisch äußerten sich nur die Grünen. Es gehe um die "Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen mit Russland" und nicht um die Ukraine, sagte die EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek. (Josef Kirchengast, Manuel Escher, Lisa Aigner, DER STANDARD, 25.6.2014)