Ein hochrangiger Asylbeamter hat sich seinen beruflichen Frust von der Seele geschrieben. Ob er damit möglicherweise rechtliche Verfehlungen begangen hat, wie ihm Vorgesetzte vorwerfen, müssen die zuständigen Stellen klären. Sein Buch über angebliche Praktiken, wie man sich in Österreich Asyl quasi erschwindeln kann, passt jedenfalls gut in die immer kompromissloser werdende Debatte über Asylpolitik. Es ist nicht nur in Österreich fast unmöglich geworden, emotionslos zu argumentieren. Als Folge haben zum Beispiel auch Nachbarländer wie Ungarn, Tschechien oder die Slowakei vor kurzem die Rechte von Schutz suchenden Ausländern eingeschränkt und deren Pflichten verschärft. Auf den Hinweis, dass immer mehr Menschen nicht zum Spaß ihre Heimat verlassen müssen und oft nach lebensgefährlichen Reisen irgendwo in Europa stranden, folgt meist das Killerargument, dass immer mehr Asylwerber kriminell werden würden. In diese Kerbe schlägt auch das Buch des hochrangigen Beamten aus dem Bundesasylamt. Beide Standpunkte lassen sich empirisch und statistisch nachvollziehen. Aber dass unter den gegeben Umständen das Eine das Andere bedingt, wird selten gesagt. Wer Flüchtlinge monatelang kaserniert oder jahrelang vom Arbeitsmarkt ausschließt, darf sich nicht wundern, wenn Betroffene auf Upgrading-Angebote aus der illegalen Marktwirtschaft eingehen. Zur "materiellen Wahrheit", der sich Buchautour Hermann Winkler verpflichtet fühlt, sollte auch das Aufzeigen derartiger Zusammenhänge gehören. Die Wahrheit bleibt sonst immer nur eine halbe. Oder ging es vielleicht doch nur darum, endlich einmal in die Bestsellerlisten zu kommen? Das wäre freilich glatter Asylmissbrauchsmissbrauch. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.2.2005)