"Ich war immer sehr bescheiden. Es hat Jahre gedauert, bis ich herausfand, dass Bescheidenheit in Hollywood ein ,dirty word' ist.": Ray Harryhausen und seine bemerkenswerte Menagerie.

Foto: Kino unter Sternen
Der Oscar- prämierte "Master of Stop Motion" Harryhausen, sprach mit Isabella Reicher über Dinosaurier, Skelette und destruktive Fantasien.


London/Wien - Generationen von Fans sind mit Ray Harryhausens fantastischen Filmerzählungen aufgewachsen. Regisseure wie Steven Spielberg oder George Lucas hat er beeinflusst. Lange vor Erfindung digitaler Tricktechnik war seine Domäne die Stop-Motion-Animation: Schritt für Schritt, Bild für Bild hat er in monatelangen Arbeitsklausuren Dinosaurier, Aliens, Zyklopen und andere Fabelwesen entworfen und in Bewegung versetzt. Und damit Genres maßgeblich geprägt, die noch heute zu den einträglichsten des Filmgeschäfts gehören:

STANDARD: Sie haben als Tricktechniker von Sciencefiction-und Fantasyfilmen nicht einfach die Ideen anderer ausgeführt, sondern vieles im Zuge Ihrer Arbeit erst entwickelt.
Ray Harryhausen: Das ist das Besondere an den voll beweglichen Figuren, die ich verwendet habe: Eine Pose führt zur nächsten. Man hat zwar den großen szenischen Zusammenhang im Kopf, aber die Details werden während der Animation, am Set erarbeitet. Mitunter geht man spontanen Einfällen nach, das Gedächtnis spielt eine wichtige Rolle, genauso wie die Beobachtungsgabe: Wenn man eine Echse animiert, geht man eben vorher in den Zoo und sieht sich ihre Bewegungen an. Und man muss sich auch selbst in die Figuren projizieren. Das verstehen viele Leute nicht. Ich habe für Mighty Joe Young noch meine eigenen Bewegungen beobachtet und gestoppt - mit der Zeit hat man das dann im Gefühl.

STANDARD: Sie sind also fast ein Teil Ihrer Figuren geworden - hat es Sie da nicht gestört, dass sie am Ende immer umgebracht wurden?
Harryhausen: Nun ja - sie mussten eben den negativen Part, die Schurkenrolle übernehmen. Aber sie waren natürlich auch Opfer der Umstände, man hatte sie oft mit Gewalt aus ihrer natürlichen Umgebung vertrieben. Insofern haben wir schon versucht, Sympathie für sie zu erzeugen. Und das ist bei einem Tyrannosaurus Rex nicht einfach! Schließlich ist er als Fleischfresser bekannt. Aber wir haben einen melodramatischen Zugang verfolgt - die Kreaturen wurden im Lauf des Films zu Charakteren. Und bei manchen haben die Leute wohl schon ein paar Tränen vergossen, wenn sie starben.

STANDARD: Sie haben sich nach den frühen Katastrophenfilmen mythologischen Stoffen zugewandt.
Harryhausen: Ja, Fantasiewelten haben mich schon immer angezogen. Und ich wollte ein neues Betätigungsfeld finden. Denn ich hatte ja Washington zerstört, Rom, Coney Island und San Francisco, und das wurde ein bisschen ermüdend. Besonders, als dann Godzilla kam und Tokio zerstörte - was ja eine Kopie von The Beast from 20.000 Fathoms war . . . Also suchte ich nach neuen Möglichkeiten und stieß auf Sindbad, und das hat ganz gut funktioniert. Man konnte damals die unglaublichsten Bilder auf die Leinwand bringen. Inzwischen ist das Unglaubliche allerdings profan. Man sieht es in Hunderten TV-Werbespots. STANDARD: Wurden Sie für Ihre destruktiven Fantasien damals nie angegriffen?
Harryhausen: Nun ja - New York wurde schon in den 30er-Jahren in Deluge im Meer versenkt . . . Wir wurden keineswegs kritisiert. Im Gegenteil, man konnte einen Film gar nicht finanzieren, wenn man nicht einiges an Zerstörung vorhatte! Aber als The Seventh Voyage of Sinbad in England in die Kinos kam, haben sie die Sequenz mit dem fechtenden Skelett herausgeschnitten, weil man meinte, das würde Kinder erschrecken. Also waren Kopien ohne diese Sequenz im Umlauf. Das schien niemand zu stören, und dabei ist das einer der Höhepunkte des Films.

STANDARD: Ein anderes wichtiges Element in diesem Film ist wohl die Musik . . .
Harryhausen: Ich habe die Bedeutung von Filmmusik mit King Kong entdeckt. Der Film wäre nicht derselbe ohne diese Wagnerianische Musik von Max Steiner - übrigens ein gebürtiger Österreicher! Er hat das Leitmotiv aus der Oper auf den Film übertragen, die einzelnen Figuren quasi musikalisch identifiziert. Das war nicht nur einfach Hintergrundmusik, sondern richtige Vertonung.

STANDARD: Aber Sie haben nie mit Steiner gearbeitet?
Harryhausen: Nein, ich habe ihn nie getroffen, und das bedauere ich noch heute. Aber wir hatten in Bernhard Herrmann auch einen großartigen Komponisten. Er schreibt eine andere Art von Musik, man könnte das eher als "Effektmusik" bezeichnen. Er hat vier unserer Filme ganz brillant vertont. Das ist enorm wichtig. Ton und Bild müssen zusammenarbeiten und sich wechselseitig stärken.

STANDARD: Um nochmals zum Bild zurückzukehren: Sie bevorzugen Stop-Motion gegenüber dem ,Pseudorealismus' zeitgenössischer digitaler Tricktechnik.
Harryhausen: Dynamation oder Stop-Motion-Animation erzeugt diese eigentümliche Qualität. Denken Sie an King Kong: Man weiß, dass das nicht real ist, und trotzdem sieht es echt aus. Irgendetwas erzeugt ein Gefühl, als ob man sich in einem Traum oder einem Albtraum befindet. Und ich glaube, das geht verloren, wenn man versucht, Fantasien zu real darzustellen.

STANDARD: Würden Sie unter heutigen Bedingungen noch arbeiten wollen? Harryhausen: Nein, es reden zu viele Leute mit. Ganze Komitees sind da zugange. Eine Person ist für die Haare zuständig, eine für die Haut und die dritte für die Augen. Das war natürlich ein notwendiger Industrialisierungsprozess - anders könnte man nie diesen Output erzielen. Aber das ist eine ganz andere Welt. (DER STANDARD, Printausgabe, 7.7.2004)