Foto: Filmcasino
Eine vom US-Künstler und Musiker Mike Kelley zusammengestellte Filmschau erkundet im Wiener Filmcasino das Unheimliche auf der Leinwand.


Nicht nur das Böse hat bekanntlich viele Gesichter, auch in der Natur des Unheimlichen liegt es, sein Unwesen in verschiedenen Formen und Facetten zu treiben. In der Literatur, der Kunst und natürlich auch im Kino, dem dafür empfänglichsten Medium des vergangenen und bösesten Jahrhunderts.

Das Böse ist das Andere, die Auslagerung, die Entsorgung der eigenen dunklen Anteile auf Feindbilder, meint etwa der Philosoph Rüdiger Safranski, und auch für das Unheimliche, den kleineren Bruder des Bösen, gilt: Man muss erst einmal seinen Ursprung identifizieren, um es überhaupt zu erkennen.

Erst Kant sollte von der "unschicklichen Vorstellung" sprechen, "sich den Ursprung des moralischen Bösen durch Anerbung vorzustellen". Der menschliche Körper sollte fortan nicht länger als Wohnsitz des Bösen dienen müssen. Doch diese Verbannung zog eine prekäre Situation nach sich: Wenn das Böse nämlich an einem anderen Ort als dem menschlichen Leib greifbar gemacht werden sollte, bedeutete dies die beängstigende Erkenntnis einer Grenzziehung mit steter Gefahr der buchstäblichen Übertretung.

Schlupfloch Kino

Und zwar nach und von beiden Seiten: Das Reich des Unheimlichen hatte seine Pforten für immer geöffnet. Und wo könnten die bösen Mächte besser in die Welt gelangen als im dunklen Kino, wo die Bilder wie das Unheimliche selbst keine Definitions-, sondern Glaubenssache sind.

Von dieser Suche nach der Grenze rührt auch die magische Kraft der Anziehung, die so viele Protagonisten auf der Leinwand befällt und sie in der Tradition der Gothic Novels in dunkle Verliese, verfallene Häuser und Orte treibt.

Entgegen Mary Shelleys Vorlage lässt z.B. James Whale in Frankenstein (1931) das blasphemische Experiment in einem alten, verlassenen Wachturm geschehen, der, von Stürmen umtobt, die letzte, einsame Grenze markiert – die zu Wahnsinn und hoffärtiger Wiederversündigung.

Whales Film visualisiert die Überschreitung der historischen, topografischen und sozialen Grenzen und das daraus resultierende Unheimliche sehr genau: Der Wachturm als letzte zivilisatorische Bastion ist seiner eigentlichen Funktion längst enthoben, der Außenposten des aufgeklärten Geistes wird zum Sinnbild für dessen Verkommenheit und Anmaßung.

Frankenstein verbindet als frühestes Beispiel der Filmreihe also gleich zwei wesentliche Komponenten: das "ausgelagerte Andere" (Safranski) in der Figur des "unmenschlichen" Monsters und die Überschreitung der sozialen (und natürlich religiösen) Grenze in der Figur Frankensteins. Eine Konstellation, die in veränderter Form noch in so manchen ausgewählten Filmen Kelleys zu finden ist:

In Herk Harveys Carnival of Souls (1962) etwa, der von der Reise einer jungen Organistin in ein von lebenden Toten bewohntes Hotel erzählt, oder in Dario Argentos Suspiria (1977), der eine junge Balletttänzerin auf der Suche nach dem Geheimnis eines alten Hauses in tiefste Abgründe blicken lässt. Doch das Frankenstein-Motiv ist natürlich keineswegs auf die Tradition des Schauermärchens und des Fantastischen beschränkt.

Noch im modernen Splatterfilm versucht sich etwa ein Jungmediziner als Re-Animator (Stuart Gordon, 1985) und tritt in die Stapfen seiner filmischen Vorfahren, ebenso wie das "old dark house" in Filmen wie Evil Dead 2 (Sam Raimi, 1987) als Ort des Unheimlichen eine neue Funktion erfährt: Wenn die Konsumgesellschaft ihren Spaß im Hinterland haben will, hat der Spaß ebendort auch sein Ende.

Gespenstische Qualität

Die insgesamt 21 Arbeiten umfassende Filmreihe spiegelt dabei nach verschiedenen Themen geordnet die unterschiedlichen Facetten des Unheimlichen wider, so wie es auch Kelly in seinen künstlerischen Arbeiten gemäß Freud als "Verwischen der Grenze zwischen Fantasie und Wirklichkeit" interpretiert: Die lebenden Toten George Romeros (Night of the Living Dead, 1968) finden sich naturgemäß unter "The Living Dead", unter dem Langzeitmotiv des "Haunted House" firmiert Sidney J. Furies großartiger Film The Entity (1983), David Cronenbergs Gynäkologen in Rot (Dead Ringers, 1988) finden sich unter "Doppelgangers", die Wachsfiguren des Michael Curtiz im Doublefeature mit Roger Cormans parodistischem Bucket of Blood (1959) unter "Scary Statues".

Natürlich stellt die Auswahl Kelleys keinen Anspruch darauf, das Unheimliche in seiner gesamten Bandbreite zu beleuchten, was nichts daran ändert, dass man die eine oder andere Unheimlichkeit, wie etwa die Vertreter der dämonischen Leinwand der Weimarer Republik oder Arbeiten aus der Frühzeit des Kinos, vermissen wird. Doch wie man weiß, muss eine Erzählung über das Unheimliche keine unheimliche Erzählung sein. Es genügt, die Bilder selbst sprechen lassen. Denn wie schrieb Amos Vogel über Maya Derens filmischen Traum Meshes of the Afternoon (1944): "Ein Zwischenfall wird zum Thema eines Angsttraums, der sich am Ende mit dem Tatsächlichen überschneidet und die Heldin umbringt. Eine gespenstische Qualität der Bilder." (DER STANDARD, Printausgabe, Beilage Sommerkino 2004, 1.7.2004)