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Foto: Mark Glassner

"Wenn man Literatur lebendig macht, dann kommt Schauspiel raus." Es sind Sätze wie diese, bei denen das Gesicht der Susanne Wuest aufleuchtet. Der porzellanblasse Teint färbt sich dann für Sekunden blassrosa, die kaum sichtbaren Augenbrauen schieben sich nach oben, die Augen blitzen kobaltblau. Eine Schneekönigin erwacht zum Leben.

Vor der Kamera glaubt man dagegen, sie sei aus Eis. Susanne Wuest ist eine dieser Schauspielerinnen, deren blasser Teint und deren sehniger Körper weniger ein Zeichen von Schwäche als von Stärke sind. An Tilda Swinton denkt man oder an Susanne Lothar. "In den vergangenen Jahren", sagt sie, "war mein Äußeres öfters Handicap als Vorteil." Wenn sie weine, schaue sie hässlich aus, habe ihr ein schwedischer Regisseur einmal gesagt - und ihr dann die Rolle, die er ihr versprochen habe, wieder weggenommen. Ein paar Wochen später habe sie dann eine französische Regisseurin in einer Rolle besetzt, für die eigentlich ein Model vorgesehen war.

Susanne Wuest hat alles andere als ein Allerweltsgesicht. Ein Gesicht wie eine Projektionsfläche. Gut und böse, liebenswürdig und verschlagen, schön und hässlich liegen bei ihr eng beieinander. Der Film, in dem sie gerade in den heimischen Kinos zu sehen ist, Peter Kerns Mörderschwestern, konzentriert sich auf ihre abgründigen Seiten. Wuest spielt die Hauptrolle, eine der mordenden Krankenschwestern von Lainz. "Es war das erste Mal, dass ich einem Regisseur geschrieben habe, dass ich bei ihm spielen möchte." Normalerweise ist es andersherum. Doch das kümmerte die 32-jährige Schauspielerin in diesem Fall nicht.

Peter Kerns Filme sind nämlich alles andere als Allerweltsfilme. Sie misstrauen der Realität, die sie selbst errichten, hinterfragen und schweifen ab. Techniken, die im modernen Theater üblich sind, im geschichtenversessenen Kino aber sehr ungewöhnlich.

Sanft, böse, verführerisch

Der Film müsse etwas ganz Sanftes, Böses, Verführerisches haben, darin waren sich Kern und Wuest sofort einig. Der Zuschauer wird zum Komplizen, und gleichzeitig wird seine eigene lüsterne Sehnsucht nach Gewalt vorgeführt. Ein Wagnis, doch das ist genau das, nach dem sich Wuest sehnt.

Spricht sie heute von Max Schmeling, dem großen Kinofilm über die Boxerlegende der Zwischenkriegszeit, der ihr einiges an Publicity einbrachte, dann bricht sie nach wenigen Sätzen ab. "Susanne Wuest als Schmelings Frau Anny Ondra ist ein Lichtblick", hat die Frankfurter Allgemeine damals geschrieben. Wuest interessiert an dem Film aber heute nur noch wenig. Wahrscheinlich, weil er ihr zu glatt gewesen ist, zu wenig widerständig. Gut und böse waren klar getrennt, Wuest bevorzugt es, wenn diese Eigenschaften näher beieinanderliegen.

"Kennen Sie dieses Buch?", fragt sie und zieht dann die frühen Tagebücher der amerikanischen Schriftstellerin und Essayistin Susan Sontag aus der Tasche. Sie berichten von der leidenschaftlichen Suche einer jungen Frau nach ihrer Position im Leben, berichten von einer ganz persönlichen Aneignung von Literatur und Musik. "Ich hätte so gern Literatur studiert", sagt Wuest "aber mit 20 hatte ich nicht die Ruhe dazu."

Selbsternannte Schauspielerin

Sie wollte auf der Bühne stehen - und marschierte schnurstracks zum Vorsprechen ins Wiener Volkstheater. "Ich weiß nicht, was ich mir damals gedacht habe", sagt Wuest heute, "aber der Dramaturg hatte Mitleid, und ich durfte Stücke kopieren und Plakate aufhängen." Ein ungewöhnlicher Weg für eine selbsternannte Schauspielerin. Der Weg von jemanden, der sich einfach durchsetzen will.

Gegen die Eltern - mit 15 büchste sie aus dem elterlichen Haushalt im niederösterreichischen Triestingtal aus und wohnte dann für einige Jahre bei der Großmutter in Wien -, gegen die Konventionen. Eine reguläre Schauspielschule besuchte Wuest bis heute nicht. Brauche sie nicht, sagt sie "entweder man habe es im Blut oder nicht".

Mit äußerster Konzentration folgte Wuest am Tag zuvor den Anweisungen des Fotografen beim Fotoshooting. Es dauert lange, bis die richtige Position gefunden ist, die Schatten an der Wand erkennbar sind, die Situation perfekt ausgeleuchtet ist. "Film ist nichts anderes als Fotografie in Bewegung", sagt Wuest. Da ist er wieder, einer dieser bestimmten Sätze von Susanne Wuest, die wie aus dem Nichts kommen und plötzlich schwer im Raum hängen. Es sind die gewichtigen Filme, die die in Wien und im Burgenland lebende Schauspielerin interessieren. Filme wie Götz Spielmanns Antares, in dem sie 2004 ihre erste Hauptrolle spielte und der auf mehr als dreißig Filmfestivals gezeigt wurde und Österreichs Einreichung für den Auslands- oscar war. Darin spielt sie ein junges Mädchen, das immer knapp am Selbstmord vorbeischrammt. Oder Géraldine Bajards La Lisière, in dem sie an der Seite von Hippolyte Girardot zu sehen ist. Ein junger Arzt wird darin zum Spielball der Dorfjugendlichen und ihrer undurchsichtigen Rituale.

"Ab wann beginnst du als Schauspielerin erwachsen zu werden?", fragt sich Wuest und gibt sich dann gleich selbst die Antwort: "Wenn man in solchen Filmen spielt." Sie meint das nicht überheblich, sie hat sich einfach nur selbst beobachtet. Ob sie sich vorstellen könne, einmal in einem Film von Michael Haneke zu spielen, fragt man sie. Sie habe doch eines dieser typischen Haneke-Gesichter. Ein Strahlen huscht über ihr Gesicht. Die Schneekönigin ist aufgetaut. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/02/12/2011)