Die J12 RMT von Chanel.

Foto: Hersteller

Was in der Modewelt die Laufstege der internationalen Fashion Shows, sind in der Haute Horlogerie die Uhrenmessen, wo Fachpresse und Fachhandel ein strenges Auge auf jedes Detail werfen. Als die ersten Modemarken beschlossen, im internationalen Uhrenmarkt mitzumischen, wurde dieses Vorgehen anfangs skeptisch betrachtet - Vorbehalte, die bis heute bestehen, gäbe es da nicht inzwischen Modenamen, die auch als Uhren-Macher überzeugen.

In jedem Produktbereich, der im Portfolio einer Marke neu hinzukommt, stellt sich eingangs die Frage: Vergibt man die Lizenz an ein im betreffenden Bereich versiertes Unternehmen, kauft man einen spezialisierten Betrieb zu oder baut man eine eigene Produktionsstätte auf? Die erste Variante ist bis zur mittleren Preisklasse logisch und rentabel. 

Die Kooperation

Will man allerdings in der Uhrenbranche ernst genommen werden, muss man selbst Kompetenz aufbauen oder zumindest auf höchstem Niveau zukaufen. Hier kommt zudem eine vierte Variante ins Spiel: die Kooperation.

Im Mekka der Schweizer Uhrenindustrie - zwischen Genf und Neuchâtel - gibt es unzählige kleine Ateliers, die sich im Auftrag großer Namen mit der Entwicklung anspruchsvoller Komplikationen beschäftigen. Und obwohl das seit langem üblich ist, haben gerade die Modemarken durch ihr Eindringen in des Metier der Haute Horlogerie diese Ateliers ins Rampenlicht gerückt. Während nämlich klassische Uhrenfirmen meist dazu tendierten, Neuvorstellungen kurz als "im eigenen Haus entwickelt" zu bezeichnen, finden Marken wie Chanel oder Hermès gar nichts dabei, ihre Kooperationspartner zu nennen. Schließlich belegen sie damit, dass die betreffenden Kaliber aus kompetenter Hand stammen.

Wiederrecht für Hermès

So stellte Hermès heuer anlässlich der Baselworld eine Innovation vor, die in Zusammenarbeit mit Jean-Marc Wiederrecht realisiert wurde. Er gilt als Genius der Uhrmacherei und zeichnete mit seiner Firma Agenhor bereits für einen Großteil der retrograden Anzeigen, die in den Neunzigerjahren für neue Akzente auf den Zifferblättern sorgten, verantwortlich. Die Liste seiner Auftraggeber ist ebenso lang wie prominent: Chopard, Harry Winston, Roger Dubuis, Franck Muller, Arnold & Son, Van Cleef & Arpels. Wäre es da nicht naheliegend, eine eigene Uhrenmarke zu gründen?

"Obwohl ich schon des Öfteren daran gedacht habe, bin ich doch lieber für andere Marken tätig. Das gibt mir die Möglichkeit, an vollkommen unterschiedlichen Experimenten zu arbeiten", erklärt Jean-Marc Wiederrecht seine Motivation als Zulieferer von Know-how im Haute- Horlogerie-Bereich. "Die größte Herausforderung dabei ist, sich auf die Codes der betreffenden Marke einzustellen und den zu entwickelnden Mechanismus entsprechend anzupassen." Für Hermès tüftelten er und sein Team drei Jahre lang an einer Weltneuheit, die es erlaubt, die Zeit nach Belieben anzuhalten.

Chanel im Luxussegment

Chanel entschied sich von Anfang an (1987) für eine Positionierung im Luxussegment der Uhrenszene, was keineswegs auf alle Haute-Couture-Marken zutrifft. Manche großen Namen wie Gucci (ab 500 Euro) oder Versace (ab 600 Euro) wollen mit ihren tickenden Accessoires ganz bewusst eine breitere Zielgruppe erreichen und müssen sich erst gar nicht um uhrmacherische Kompetenz bemühen. Ein stimmiges Design, gute Verarbeitungsqualität und zuverlässige Uhrwerke (meist aus dem Hause ETA) genügen in dieser Preisklasse vollkommen.

Chanel hingegen wurde von Anfang an kritisch unter die Lupe genommen, ganz besonders, als sie 2005 - übrigens zeitgleich mit Louis Vuitton - ein Tourbillon vorstellte. Die Tatsache, dass die Chanel- "J12 Tourbillons" rasch ausverkauft waren, bestätigt, dass es für große Komplikationen mit Haute-Couture-Namen durchaus einen Markt gibt, auch wenn das Know-how dafür zugekauft werden muss. Die 2010 vorgestellte "J12 Rétrograde Mystérieuse" entstand beispielsweise in Zusammenarbeit mit dem renommierten Atelier Renaud & Papi (gehört zu 78 Prozent Audemars Piguet).

Konzerninterner Technologietransfer

Eine eigene Komplikationen-Entwicklung aufzubauen, klappt nicht von heute auf morgen, denn erfahrene Kräfte sind rar. Für Louis Vuitton wäre beispielsweise ein konzerninterner Technologietransfer aus Le Locle - von der ebenfalls zur LVMH gehörigen Traditionsmanufaktur Zenith - eine einfache Übung gewesen. Von dort kam jedoch lediglich das automatische Chronografen-Kaliber LV 277 für die "Tambour". Tourbillon und Gangreserve stammten von Joux Perret, die Regattafunktion von Dubois Depraz.

Doch der Ehrgeiz des Späteinsteigers (Louis Vuitton brachte erst 2002 die ersten Uhren auf den Markt) ließ die Verantwortlichen nicht ruhen, bis die eigenen Uhrmacher im LV Atelier in La Chaux-de-Fonds selbst spannende Komplikationen entwickelten, wie das Kaliber LV 119 für die 2010 vorgestellte "Spin Time GMT". (Ines B. Kasparek/Der Standard/rondo/08/07/2011)