Foto: Robert Newald
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Oliviero Toscani

Foto: Robert Newald

"Bilderwut" - so der programmatische Titel des Films über Oliviero Toscani. Darin zeigt sich der Benetton-Provokateur von allen Seiten. Mit Sohn und Tochter, die im Familienunternehmen für Aufklärungswerbung mitarbeiten, mit seiner Frau und auf dem Pferd. Dass Oliviero Toscani als Westernreiter eine überraschend gute Figur macht, ist nur ein Einblick, den er gewährt. Über Wochen hat ihn ein deutsches Filmteam begleitet. Das Ergebnis: Einer, der andere vorführt, zeigt sich selber. Nicht immer politisch korrekt, immer engagiert, ab und zu verwirrt. Toscani, der sich in der norditalienischen Pampa ein Refugium mit Olivenbäumen (zur Ölproduktion) und Pferdezucht aufgebaut hat, ist noch immer ein zorniger Mann.

STANDARD: Wie kam es zu dem Film?

Toscani: Es gab da eine Anfrage. Meine Tochter, sie ist 24, und ihre Freunde meinten, ich sollte das machen. Dann habe ich es halt gemacht. Das Team war gut, sie haben sich benommen, und sie waren im Rahmen der Möglichkeiten diskret.

STANDARD: War es für Sie interessant, Ihr eigenes Image zu vermitteln? Immerhin sind Sie derjenige, der Images "prägt" - so das von Benetton, um einmal das kontroverseste Projekt Ihrer Karriere herauszupicken.

Toscani: Nein. Das hat es ja schon öfter gegeben, dass ich auf Jobs von Teams begleitet wurde. Ich erinnere mich, dass einmal 20 Fotografen um mich herum waren, als ich einen Katalog in Sizilien fotografiert habe. Ich denke nicht darüber nach, ich nehme das nicht einmal wahr.

STANDARD: Kaum zu glauben bei jemandem, der Werbung so manipulativ einsetzt. Ist Ihnen Ihr Image egal?

Toscani: Wenn ich mich je um mein eigenes Image gekümmert hätte, wäre mein Leben sehr anders verlaufen. Mir ist mein eigenes Image egal. (lacht) Ich bin der einzige Maßstab in meinem Leben.

STANDARD: Manche Menschen diskutieren noch immer darüber, ob Werbung sterbende Aids- Kranke zeigen darf.

Toscani: Fragen Sie das nicht mich, die Leute sollen sich das selber fragen. Sie sollen sich auch nach ihrer eigenen Moral fragen. Meine Motive im Kontext mit einer Marke sind für ihre Diskussion doch nur eine Ausrede, sich nicht mit dem Inhalt auseinanderzusetzen. Ich bin ihre Ausrede dafür, dass sie sich nicht mit dem Thema beschäftigen, sondern mit der Form.

STANDARD: Wie weit kann Werbung gehen, um ein paar Pullover zu verkaufen?

Toscani: Wenn man die Überlegung so beginnt, muss ich leider sagen, dass das in die Irre führt. Firmen haben immer alles gemacht, um ihre Sachen an den Mann zu bringen. Wenn George Clooney Kaffee verkauft, verkauft er auch Moral. Er verkauft Ästhetik, er verkauft ein Weltbild. Und dieser Zustand ist längst von allen akzeptiert. Alles ist Werbung, wenn es um Kommunikation geht.

STANDARD: Ein Unternehmen hat ein Ziel ...

Toscani: Das hat die Kirche auch, das hat jede Bank, und das hat jeder, der ein Urlaubsfoto macht. Kunst erreicht dabei die höchste Ebene. Kunst ist Kommunikation auf der höchsten Ebene mit dem raffiniertesten Ausdruck. Und jede Form der Kommunikation hat mit Macht zu tun. Die Kirche wirbt mit Gott, Jungfräulichkeit und Auferstehung - die Kirche hat Künstler beauftragt, ihre Kampagnen zu gestalten. Die Künstler bekamen Geld für Propaganda. Mozart hat die Macht der Könige vertont - Werbung. Wenn Kunst sich nicht mit Macht auseinandersetzt, ist es keine Kunst. Moderne Kunst ist ein Haufen Scheiße, der für eine Handvoll Millionäre gemacht wird, die sich ihre Häuser vollhängen.

STANDARD: Wenn Sammler heute junge Künstler über Jahre unterstützen, ohne ihre Arbeiten zu "zensieren" - schaffen sie dann nicht einen Freiraum für Kunst?

Toscani: Wo gibt es das denn bitte? Die Künstler, die sich darauf einlassen, weil sie sonst ihre Miete nicht zahlen können, sind wahrscheinlich nicht gut. Kunst ist für Mäzene eine Verlängerung des eigenen Egos. Moderne Firmen machen das Gleiche. Werbung mit Künstlern oder Kunstwerken ist die zeitgemäße Fortsetzung der Strategie der Kirche, die mit Kunst geworben hat.

STANDARD: Sie ziehen also keine Trennung zwischen Kunst und Werbung?

Toscani: Kunst ist Werbung. Umgekehrt funktioniert das nicht immer. (lacht)

STANDARD: Sind Sie Künstler?

Toscani: Natürlich. Und ich arbeite für die Werbung - was sehr interessant ist. Wir sind konditioniert über Systeme. Nehmen Sie eine Zeitung. Es gibt keinen Unterschied zwischen der Vermittlung. Auf der einen Seite wird vom Töten in Gaza berichtet, auf der anderen Seite ist eine Werbung von Mercedes. Beide Seiten gehören in die gleiche Zeit, in die gleiche Gesellschaft. Zwei Wirklichkeiten, die zusammen abgebildet werden.

STANDARD: Und die Verschiebung von Wahrnehmung? Ein magersüchtiges Mädchen, von Ihnen gezeigt, schafft Wahrnehmung in einem anderen Zusammenhang.

Toscani: Wie kommt es, dass Sie mich darauf ansprechen? Das ist in Deutschland nicht einmal plakatiert worden. Aber alle haben es gesehen. Es war ein Medienhype. Das richtige Image zur richtigen Zeit zu kreieren ist die Aufgabe von Kunst.

STANDARD: Das ist aber doch - nimmt man die These so hin - die Legitimation für zeitgenössische Kunst?

Toscani: Nein. Wenn etwas zeitgenössisch ist, ist es für eine bestimmte Zeit. Darum glaube ich nicht an zeitgenössische Kunst, das ist Nonsens. Kunst ist Kunst, zeitgenössische Kunst ist eine Vermarktungsformel. Michelangelo und Picasso sind immer modern.

STANDARD: Sie mögen Lucian Freud und Francis Bacon ...

Toscani: Sie sind modern. Für immer.

STANDARD: ... deren Stil ist aber nicht unbedingt avantgardistisch ...

Toscani: Avantgarde gibt es nicht. Wenn überhaupt, sind fünfhundert Jahre alte Bilder der Kreuzigung Christis Avantgarde. (lacht)

STANDARD: Wie kommt es, dass Sie ohne Fernsehen, ohne Bücher zu lesen und ohne Musik zu hören, so genau wissen, was zeitgenössisch ist - oder eben nicht?

Toscani: Ich bin Kaspar Hauser. Ich brauche keine Inspiration von außen, um arbeiten zu können. Ich bleibe sauber. Man muss ja auch kein Junkie sein, um mit Drogenabhängigen zu arbeiten. Wenn ich heute Abend ins Hotel komme, mach ich natürlich den Fernseher an, aber nach fünf Minuten langweile ich mich. Obwohl: Ich schaue mir Fußball an. Und den letzten Film, den ich im Kino gesehen habe, war "Kramer gegen Kramer" 1979 - was für ein langweiliger Käse. Warum sollte ich die Erfahrung, dass Hollywood uns seinen Schrott aufdrückt, also noch einmal machen wollen?

STANDARD: Kaspar Hauser, der die Wirklichkeit sehr wohl wahrnimmt. Sie haben gerade das Wort "Mafia" als geschützte Marke eintragen lassen. Warum?

Toscani: Das war eher ein Zufall. Ich habe beim Aufbau des Mafia-Museums in Sizilien mitgearbeitet und bin bei der Recherche darüber gestolpert, dass Mafia kein geschützter Begriff ist. Mafia ist Mediterranean Association of International Affairs - alleine die Auflösung des Begriffs ist haarsträubend. Aber ich habe noch keine Ahnung, was ich damit mache.

STANDARD: Sind Sie mit der Mafia in Berührung gekommen?

Toscani: Aber natürlich. Das erste Mal im Jahre 1964. Ich habe damals als junger Fotograf an einer Reportage in Sizilien über die Beziehung der katholischen Kirche und der Mafia gearbeitet. Die gibt es natürlich. Es wurden Bilder darüber veröffentlicht, und ich habe meine ersten Morddrohungen erhalten. Ich lebe noch. Ich bin diverse Male gefragt worden, ob ich keine Angst habe. Wovor? Dass ich irgendwann sterbe? Das hat bisher noch jeder geschafft, und keiner konnte sich aussuchen, wie.

STANDARD: Können Sie erklären, warum Sie diesen Drang haben, Ihre Sicht der Dinge so extrem darzustellen?

Toscani: Mir kommt es absolut nicht in den Sinn, die Leute zu schockieren. Ich mache, was ich machen muss, und wenn das einige Leute schockt, dann hat es was mit deren Sicht der Dinge zu tun. Ich stelle letztendlich nur die Wirklichkeit dar. Malerei ist am Ende nie so schockierend wie Fotografie. Als Fotograf ist man physisch viel mehr in der Situation. Es ist eine echte anorektische Person vor der Kamera, da stirbt wirklich jemand. Und sie war nur ein Beispiel - es gibt viele Mädchen, die so sind. Und sie ist jetzt in der Szene ein Star. Ich habe nicht wirklich Mitleid mit ihr, weil sie nicht versucht, etwas zu ändern. Mitleid im Sinne von Nachsicht. Sie hat keinen Krebs, sie hat kein Aids. (Andreas Tölke/DER STANDARD/Rondo/Printausgabe, 3.9.2010)