Was bedeuten im strategischen Spiel Zeitungmachen Allianzen, die man eingehen muss?
Bronner: Zeitungmachen ist die Kunst des Möglichen, nicht unähnlich der Politik. Man hat seine Vorstellungen und versucht, sie zu realisieren im Rahmen der Möglichkeiten, die man schafft, im Rahmen dessen, was verhindert wird von anderen. Und: Eine Zeitung zu gründen ist eine sehr teure Angelegenheit.

Ich wollte nun einmal eine erwachsene Tageszeitung, und ich habe zwar vieles mitgebracht für meine diversen Gründungen, aber Geld war nie dabei. Also musste ich Wege finden, dies zu ermöglichen. Dazu gehören Gespräche mit Banken, Partner, die ihre eigene Agenda haben, die nicht notwendigerweise meine ist. Dann wird es zunehmend eine Sache von Beharrlichkeit, von Überzeugungskraft – und, ganz wichtig, Glück.

Die Personalunion von Eigentümer, Herausgeber, Chefredakteur – hat die nicht Probleme hervorgebracht im Laufe der letzten Jahre, die Sie am Anfang gar nicht so gesehen haben? Eine zunehmende Durchdringung des publizistischen Anspruchs mit ökonomischen Notwendigkeiten – oder täuscht dieser Eindruck?
Bronner: Das Diktat der Ökonomie war seit der Gründung gegeben. Es war immer das Ziel dieser Zeitung, sich selbst zu erhalten, dass sie für die Investoren auch eine normale Rendite abwirft, um dieses böse Wort zu verwenden. Die Zeitung ist unter anderem auch ein Wirtschaftskörper. Als solcher muss sie – abgesehen von ihrer gesellschaftlichen Aufgabe – funktionieren, sonst ist sie nicht unabhängig.

Was wir jetzt erleben, ist eine sehr dramatische Rezession, speziell für Qualitätszeitungen. Alle großen Ikonen des deutschsprachigen Raumes, die "FAZ", "Süddeutsche", "NZZ", schreiben Verluste. Alle müssen massiv sparen, so auch wir. Wobei wir den Vorteil hatten: Da wir weniger hoch oben waren, konnten wir weniger tief fallen. Andererseits: Da wir weniger Reserven hatten als andere, mussten wir schon früher mit dem Sparkurs beginnen als andere. Dadurch stehen wir heute auch etwas besser da als manche der großen Zeitungen.

Aber haben Sie nicht das Gefühl, dass Sie, als passionierter Journalist, auf Dauer von der Geschäftsführerfunktion zu sehr in Anspruch genommen werden?
Bronner: Ich war seit Gründung der Zeitung auch Geschäftsführer. Früher gab es nur eine striktere Aufgabenteilung zwischen Springer-Verlag und mir. Die haben sich nur ums Geschäft und ich habe mich nur um die Redaktion gekümmert. Aber die Bilanz musste ich als Geschäftsführer trotzdem auch unterschreiben. Jetzt ist es so, dass ich die Mehrheit der Anteile habe, und daher ist meine wirtschaftliche Verantwortung noch um eine Spur größer, aber es hat im Prinzip daran, dass ich einerseits versuche, Journalismus zu realisieren, wie ich ihn mir vorstelle, andererseits aber auch für die wirtschaftliche Machbarkeit sorgen muss, nichts geändert.

Sie haben 1999 bei einer Rede bei der Frankfurter Buchmesse gesagt, DER STANDARD sollte für seine Leser eine Art Familienmitglied werden. Wie würden Sie die Familie beschreiben? Was hat DER STANDARD dazu beigetragen, dass sich die heimische Öffentlichkeit verändert hat?
Bronner: Ich habe nicht die Illusion, dass man als Journalist etwas verändern kann. Die Veränderung, die ich allenfalls vorhatte, war eine der öffentlichen Rezeption. Da habe ich mitgewirkt. Das ist aber nicht so festzumachen, dass ich mit der Zeitung erreichen wollte, dass der Herr X oder die Partei Y forciert oder behindert wird. Das ist für mich nicht Journalismus. Ich will niemandem etwas vorkauen, ich will niemanden beeinflussen. Ich will, dass der Leser, die Leserin für die Entscheidungen, die er oder sie trifft, über qualifiziertere Information verfügt, als es ohne meine Tätigkeit der Fall wäre. Mehr Anspruch habe ich nicht.

Ein Anzeichen für eine Veränderung ist wohl auch, dass wir mehr Leser fanden, als am Anfang erwartet wurde.
Bronner: Diese Entwicklung reicht aber weiter, glaube ich. Auch die anderen Zeitungen haben sich durch den STANDARD geändert. Gewisse Dinge gehen heute nicht mehr, wie sie damals gegangen sind. Auch in anderen Medien findet heute mehr an Dialog mit den Lesern statt als früher, als es immer irgendeine geheime Agenda gab. Auch Rundfunk und Fernsehen waren Wurmfortsätze der Politik, noch ärger als heute. Es war kein Zufall, dass ich in meiner Jugend in einer winzigen Zeitschrift namens "Forum"geschrieben habe, weil dort gewisse Rücksichtnahmen nicht stattfinden mussten. Aber das hatte eine Auflage von ein paar hundert Stück. Dass ein Medium in dieser Unabhängigkeit und ohne Rücksicht auf niedrige Instinkte ein breiteres Publikum ansprechen kann, schien nicht denkbar, und das war erstmals realisiert durch "trend" und "profil".

Wobei das Profil sich stark über die Schienen des Aufdeckungsjournalismus etablierte ...
Bronner: Da sind wir mehr oder weniger hineingestolpert, haben frech und respektlos über Mächtige geschrieben, einige Beschlagnahmungen eingeheimst und Prozesse, und plötzlich hat sich herumgesprochen: Da gibt es eine Adresse, an die man sich wenden kann, wenn man jahrelang vergebens irgend einen Missstand kritisieren wollte. Ganze Dossiers sind da eingetrudelt. Wir haben das halt nachrecherchiert und abgedruckt. Es war einfach ein Nebeneffekt unserer Unabhängigkeit. Nach einiger Zeit erst wurde es systematisch behandelt. Das aufklärende Element ist meine Hauptmotivation, Journalismus zu betreiben. Wenn es notwendig ist, dann auch Aufdeckung, aber das ist nicht das Primäre.

Jetzt könnte man sagen, dass es in den 15 Jahren STANDARD genug Anlässe in der österreichischen Politik und Medienpolitik gegeben hat, die Ihnen im Nachhinein Recht gegeben haben, darin, dass DER STANDARD notwendig ist für dieses Land. Wo sehen Sie derzeit Vereinnahmungen?
Bronner: Wir müssen unseren Kurs gehen als von allen Interessengruppierungen unabhängige Zeitung, auch wenn andere einseitig sind. Die Versuchung und die Gefahr, "Gegengewicht" zu sein, ist ja durchaus präsent. Auch weil die Leute, die uns als Podium benutzen wollen, uns als einzige Möglichkeit sehen. Und weil andererseits manche derer, die ohnehin andere Organe bedienen, nicht die Notwendigkeit empfinden, mit uns zu reden. Aber wichtig ist, dass wir wissen, was wir wollen. Wir wollen eine unabhängige Zeitung sein, die keine Agenda hat, die für alle Seiten innerhalb eines gewissen Spektrums offen ist. Von diesem Weg darf man sich nicht abbringen lassen. Man darf nicht in den Automatismus verfallen, wenn die anderen eine gewisse Meinung haben, selber deswegen die Gegenmeinung zu vertreten.

Was ist dem STANDARD dabei bis dato gelungen?
Bronner: Für eine wache Gruppe von kritischen Leserinnen und Lesern stellt DER STANDARD etwas Verlässliches dar. Die wissen, dass sie bei uns nicht angelogen werden. Auch wir machen Fehler und sind dann die Ersten, die sie eingestehen. Das ist mir sehr wichtig. Wo Menschen arbeiten, passieren nun einmal Fehler, da darf man sich nicht versteifen. Menschen, die glauben, von uns ungerecht behandelt zu werden, haben die Möglichkeit zu antworten. Dieses Element des fairen Umgangs zwischen Journalisten und Publikum macht, glaube ich, unsere Glaubwürdigkeit aus.

Nun legen Sie immer wieder den Finger auf die offene Wunde einer nicht existenten oder halbherzigen Medienpolitik. Sehen Sie bis dato Ihr Unterfangen als gescheitert, die Politiker diesbezüglich zu überzeugen?
Bronner: Die Politiker müssen gar nicht überzeugt werden. Sie wissen, dass das in Österreich falsch läuft. Es gibt halt nur manche Politiker, die davon profitieren. Oder durchaus bereit sind, sich zu arrangieren. Und mittlerweile ist die Marktkonzentration so, dass ein Politiker schon sehr mutig sein muss, um sich dagegen auszusprechen. Insofern ist wahrscheinlich der point of no return bereits überschritten. Was uns aber nicht daran hindern darf, trotzdem auf das hinzuweisen, was wichtig wäre, und es auch einzufordern. Wer weiß, vielleicht gibt es einmal eine glückliche Konstellation, die neue Möglichkeiten schafft, dass sich das ändert. Vielleicht über die EU. Aber ich bin nicht bereit, da mit den Wölfen mitzuheulen.

>>> Fortsetzung, Teil III des Interviews mit STANDARD-Herausgeber Oscar Bronner