Das Frachtschiff Helmut fährt durchs Eis, als wäre dieses Butter. Zahlende Gäste präferieren die Route von Hamburg nach Sankt Petersburg in gefrorenem Zustand.

Service: Der deutsche Anbieter Zylmann ist ein etablierter Vermittler von Passagen mit Frachtschiffen. Er hat Routen auf allen Weltmeeren im Programm. Die beschriebene Rundreise von Hamburg nach Sankt Petersburg und retour wird zweimal pro Monat angeboten, dauert zehn bis zwölf Tage und kostet ab 830 Euro pro Person.

Die beiden Doppelbettkabinen auf dem Frachtschiff Helmut sind mit Dusche und WC, Ecksofa, Kühlschrank, Stereoanlage und TV-Gerät ausgestattet und liegen über dem Kapitänsdeck unter der Brücke. Altersbeschränkung für Passagiere: ab sechs Jahre und bis 79 Jahre bzw. ältere Gäste nach Absprache. Alle Preise verstehen sich inklusive Verpflegung auf Vollpensionbasis.

Auf einigen – meist kleineren – Schiffen ist die Ausstattung der Messen nach Seemannsart einfach. Da kann die Tischdecke schon einmal aus pflegeleichtem Plastik oder der Zuckerbehälter ein ehemaliges Marmeladenglas sein. Es handelt sich eben um Arbeitsschiffe.

Die angesteuerten Häfen können sich im Verlauf der Reise manchmal kurzfristig ändern. Für Russland ist ein Visum notwendig, auch wenn man nicht an Land gehen möchte. Zusätzlich zum Kabinenpreis sind pro Person zu addieren: Grundpauschale, 59 Euro, Deviationsversicherung, 57 Euro. Info: www.zylmann.de

Foto: Bernd Ellerbrock

Zur Begrüßung klopften die ersten Treibeisklumpen an die Bordwand. Sie blitzten im Scheinwerferlicht auf und verschwanden achtern wieder in der Dunkelheit.

Noch ein allerletztes Ruckeln, dann ein sanfter Stoß, und Helmut bewegt sich keinen Zentimeter mehr. Kapitän Lothar Papke gibt Order in den Maschinenraum: "Detlef, wir stecken fest. Maschine stopp!" "Schrei mich nicht so an", schallt es von Detlef Stampärt, dem Leitenden Ingenieur, mit gespielter Empörung auf die Brücke zurück: "Bin doch nicht schwerhörig. Aber sensibel."

Wer weiß, wann es weitergeht

Kurz darauf verstummt das Wummern des schweren Schiffsmotors. Eine ungewohnte Beinahe-Grabesstille macht sich breit auf dem Frachtschiff Helmut, mit seinen 7900 Tonnen Ladung in 450 Containern und den drei Passagieren an Bord.

Nach nur drei Tagen hat der 59-jährige Kapitän Papke die ihm zugewiesene Warteposition in der russischen Eiswüste vor Kronstadt erreicht. Anker werfen muss er nicht, das sechzig Zentimeter dick gefrorene Ostseewasser wird sein Schiff fest umklammern. Von nun an ist Geduld eine Tugend. Wer weiß, wann es weitergeht nach Sankt Petersburg. Auf keinen Fall heute, der Inbound-Konvoi wird gerade zusammengestellt, aber Helmut steht nicht auf der Liste. Morgen? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Die Russen werden sich schon melden.

Insgesamt zwölf Tage braucht das 134 Meter lange Containerschiff für seinen Rundkurs von 2300 Seemeilen, also für die 4300 Kilometer von Rotterdam über Hamburg nach Sankt Petersburg und zurück. Hamburg ist Einschiffungshafen für drei Passagiere, die bei einem "typisch norddeutschen" Mix aus Schnee, Regen und Nasskälte froh sind, einfache, aber gemütliche Kajüten zu beziehen. Die Traditionsreederei Jens & Waller vergibt sie an zahlende Gäste, die an Bord ihrer Containerschiffe "die Weltmeere erkunden möchten".

Ein Bruchteil der Arktis

Schon seit Jahrhunderten müssen die Menschen am Bottnischen und Finnischen Meerbusen damit leben, dass die Ostsee im Winter regelmäßig monatelang zufriert, bisweilen bis in den Mai hinein. Nur mühsam können dann Eisbrecher die Fahrrinnen und Häfen in diesen Regionen freihalten. Für Passagiere sind solche Fahrten noch wahre Abenteuer – zwar nicht vergleichbar mit einer Expeditionsfahrt in die Arktis, dafür aber für einen Bruchteil von Preis und Zeit zu haben.

Doch was soll reizvoll sein an einer winterlichen Fahrt in die grimmige Kälte der Meerbusen? Warum dieser Zeitaufwand einer mehrtägigen Schiffsreise nach Sankt Petersburg, das doch auch in wenigen Stunden mit dem Flieger erreicht werden kann? Es ist das Eis, und zwar in all seinen Varianten.

Nach achtundvierzig Stunden Fahrt, mitten in der Nacht, hatte Helmut die ersten Eisfelder auf Höhe der Rigaer Bucht erreicht. Zur Begrüßung klopften die ersten Treibeisklumpen an die Bordwand. Tock, tock, tock. Große und kleinere Exemplare, die aussehen wie die Scherben eines in tausend Stücke zerbrochenen Spiegels, blitzten im Scheinwerferlicht des Schiffes auf, taumelten an der Bordwand entlang und verschwanden achtern wieder in der Dunkelheit.

Es ratscht, knirscht, kracht und pocht

Die glutrote Sonne, die den Horizont am nächsten Morgen für Momente mit Ockergelb anmalte, täuschte Wärme nur vor. Draußen hatte es lausige minus 15 Grad. Später, bereits unter stahlblauem Himmel, konnten sich die drei Passagiere am vielen Eis gar nicht mehr satt sehen.

Es kam in immer neuen Formen daher: mal zerbröselt wie ein Streuselkuchen vom Pflügen der Schiffe; mal als geschlossene, glatte Fläche, die aussieht, als hätte ein Riese kübelweise Gips verschüttet. Wer sich bei der Kälte dennoch rauswagt, den Decksturm auf sich nimmt und bis zum Bug vorarbeitet, bekommt auch akustisch einiges geboten: Es ratscht, knirscht, kracht und pocht unentwegt in dieser Symphonie aus Eis. Helmut verlor zu diesem flotten Soundtrack kaum an Fahrt, stampfte zügig voran mit seinen 16 Knoten, also rund 30 Kilometern pro Stunde.

Das Schiff der Eisklasse E 3 – nur für arktische Gewässer bedarf es einer noch höheren – mit knapp 11.000 Pferdestärken pflügte durch das gefrorene Nass, als wäre dieses Butter.

Keiner wird seekrank

Doch dann ist Helmut auf einmal doch langsamer und deutlich lauter geworden, aus dem seichten Rollen und Stampfen auf offener See wurde ein Stoßen und Rütteln. 400 Kilometer Eisdecke liegen jetzt zwischen dem Schiff und seinem Zielhafen. Für die Passagiere hat das einen Vorteil: Seekrank kann ab sofort keiner mehr werden. Die versiegelte Ostsee gibt sich als unendliches Glitzermeer: gewaltig, erhaben und respekteinflößend. Nur eines ist man hier nicht: einsam.

Als Kapitän Papke pünktlich um acht Uhr seine Brückenwache antritt, ist Helmut nicht mehr allein. Auf der maritimen Eisautobahn nach Sankt Petersburg sind dutzende Schiffe unterwegs: leuchtend rot gestrichene Tanker, mit Holzstämmen vollgepackte Bulker und vor allem Frachter mit tausenden Containern an Bord. Keiner möchte steckenbleiben. Alle wollen dorthin, wo möglichst wenig Eis gebrochen werden muss und möglichst viel Schiffsdiesel gespart werden kann. Wenn gar nichts mehr geht, wird im eigenen Fahrwasser zurückgesetzt und mit voller Wucht erneut ins Eis gestoßen. "Ramming" nennt sich das.

Lothar Papke kennt sich in diesen Gewässern und im Eis bestens aus. Schon als Sechzehnjähriger fuhr er zur See, bis zur Wende für die staatliche Deutsche Seereederei der DDR. Der Mann hat eine Menge zu erzählen – aber nicht jetzt. Zwar sind Eisfahrten für den Routinier nichts Besonderes, dennoch steht er nun hochkonzentriert hinter seinem Fahrstand, die elektronische Seekarte im Blick, das Fernglas griffbereit, mit seinen Blicken ständig am Horizont.

Suche nach dunklem Eis

"Besser frisches und geschlossenes Eis knacken, als in schwimmendes und kompaktes Eis fahren", klärt er seine drei Passagiere auf. Aber woran kann man die Beschaffenheit erkennen? "Dunkles Eis sollst du suchen! Das ist jung und dünn. Helles Eis? Sollst du meiden! Es ist alt, dick und kompakt", sagt Papke.

Am schlimmsten seien aber Presseisrücken, die entstehen, wenn Wind und Wellen zerschlagene Eisschollen übereinanderschieben. Um sie ausfindig zu machen, würden die Russen immer wieder Helikopter losschicken. Und dieses Jahr haben sie in der Ostsee sogar den weltweit zweitgrößten mit Atomkraft angetriebenen Eisbrecher im Einsatz: Die Rossiya kann bis zu fünf Meter dickes Eis brechen. 1990 brachte das Schiff auch erstmals in der Geschichte gewöhnliche Touristen zum Nordpol.

Für Helmut ist es mit dem Fahren jetzt erst einmal vorbei. Kein Reinkommen nach Sankt Petersburg. Das Containerschiff gesellt sich zu einem Dutzend weiterer Schiffe, die hier auf Reede eine Zwangspause einlegen müssen. Die Fahrrinne in die ehemalige Zarenstadt ist so eng, dass Schiffe einander nicht passieren können und nur zweimal am Tag in Konvois entweder rein- oder rauskommen.

Leningrader Schlepperballett

Ein aufwändiges Unterfangen, doch Sankt Petersburg ist gewissermaßen Russlands "Fenster in den Westen" – allein aus Hamburg werden jährlich über 600.000 Container dorthin gebracht. Ein ständiger Warenstrom, der nicht abreißen darf, lebenswichtig für eine boomende Volkswirtschaft.

Nun liegen all die Güter hier draußen auf Eis. Auf Abruf werden Eisbrecher vorfahren und helfen. Danach geht es weiter zur Lotsenstation, wo in der freigemachten Fahrrinne erneut ein Stopp nötig wird. Der Lotse muss mithilfe einer Hebebühne von seinem Tenderschiff übersetzen, weil er wegen der Eisdicke nicht nah genug an Helmut herankommt.

Selbst im Hafen von "Leningrad" – Schiffe werden beim Einlaufen noch immer von riesigen Betonlettern mit dem sowjetischen Stadtnamen begrüßt – ist weitere Unterstützung nötig. Schlepper assistieren, indem sie das Eis zwischen den Schiffsrümpfen und der Kaikante verwirbeln, damit hier überhaupt angelegt werden kann. Dieses "Schlepperballett" ist rund um die Uhr im Hafen zu bewundern und vor allem in der Nacht wegen der vielen kreisenden Scheinwerfer eine beeindruckende Vorführung.

Weiter geht's!

Für die drei Passagiere wird es nun genug Zeit geben, die Stadt an der Newa in Ruhe zu besuchen. Bis mehrere Terminals angelaufen, alle Container abgeladen und neue wieder befüllt und aufgeladen sind, vergehen zwei Tage. Dann heißt es erneut warten – dieses Mal auf den Outbound-Konvoi – und hoffen, dass nicht wieder ein Riesentanker die Hafeneinfahrt für Stunden blockiert.

So kann es kommen, wenn Väterchen Frost, dieser mächtige russische Zauberer, über die Ostsee herrscht, wenn er sein Zepter in den Boden stampft und man die Kälte auch noch weit draußen auf dem Meer klirren hört. Auf den festsitzenden Schiffen wollen indes alle nur den einen erlösenden Funkspruch hören: Weiter geht's! Und irgendwann kommt vielleicht sogar Helmut dran. (Bernd Ellerbrock, Album, DER STANDARD, 1.2.2014)

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Foto: Bernd Ellerbrock