An der Stelle, an der sich Wolfgang Herrndorf das Leben nahm, steht heute - wie von ihm gewünscht - ein einfaches Metallkreuz. Zuvor thematisierte der Krebskranke den Kontrollverlust in seinem Blog. 

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Herrndorf wollte "Herr im eigenen Haus" bleiben.

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Niemand kommt an mich heran bis an die Stunde meines Todes", schreibt Wolfgang Herrndorf. "Und auch dann wird niemand kommen. Nichts wird kommen, und es ist in meiner Hand." Es ist der 15. Juli 2013, ein Montag. Wenige Wochen nach diesem Eintrag erschießt sich der Berliner Autor.

Er litt an einem unheilbaren Gehirntumor, hatte mehrere Operationen und Chemotherapien hinter sich. Drei Jahre lang hat er in seinem Blog Anteil nehmen lassen an seinen Gedanken, seiner Suche nach der "Exitstrategie", wie er es nennt. Sterben wollte er zu keinem Zeitpunkt, hält er fest. "Aber die Gewissheit, es selbst in der Hand zu haben, war von Anfang an notwendiger Bestandteil meiner Psychohygiene."

Herrndorf informierte sich umfangreich über seine Möglichkeiten, sein Leben zu einem selbst gewählten Zeitpunkt zu beenden. Auch wenn er sich schlussendlich bewusst gegen eine letzte Reise nach Belgien oder in die Schweiz entschied, in Deutschland entfachte er damit eine hitzige und noch andauernde Debatte über Sterbehilfe und Bevormundung bis in den Tod. Monate später erreichte die Debatte auch Österreich.

Die politischen Lager tönen in beiden Ländern im Einklang: Die Christdemokraten wollen ein Verbot der organisierten Sterbehilfe gesetzlich verankern - in Österreich am liebsten gleich in der Verfassung, - die Sozialdemokraten murmeln etwas von Liberalisierung, wirken aber unentschlossen. In zahlreichen Talkshows wird vor allem viel aneinander vorbeigeredet. Internationale Einzelfälle stehen im Mittelpunkt, Studien und Lebensansichten prallen aufeinander.

Was ist mit Depressiven?

Meist wird der Fall des leidenden Kranken herangezogen, der nur noch kurz und unter starken Schmerzen zu leben hat. Wenn statt Heilung nur noch Linderung möglich ist, spricht sich eine Mehrheit der Österreicher und Deutschen in Umfragen für eine Legalisierung aus.

In Ländern mit aktiver und indirekter Sterbehilfe geht die Debatte schon weiter: In Brüssel etwa wurde einem 44-jährigen Transsexuellen im Vorjahr auf seinen mehrfachen Wunsch der Tod gewährt. Er war gesund, aber verzweifelt über seine Geschlechtsumwandlung. Vergangenen Dienstag stimmte der Justizausschuss im belgischen Parlament der aktiven Sterbehilfe für schwer leidende todkranke Kinder zu, ein wahrer Tabubruch.

In der Schweiz, wo, wie auch in Deutschland, nur die Beihilfe zum Selbstmord erlaubt ist, wird schon längst über Suizidbegleitung von Alzheimerpatienten und psychisch Kranken diskutiert.

Fünf Jahre für den todbringenden Becher

Wer in Österreich jemandem den todbringenden Becher überreicht, weil ihn der Empfänger selbst nicht mehr ergreifen kann, muss mit bis zu fünf Jahren Gefängnis rechnen. Folge von oft widersprüchlichen und schwammig formulierten Gesetzestexten ist der viel kritisierte "Sterbetourismus"; ein Wort, das mehr nach Urlaub als nach Endstation klingt.

Der Schweizer Verein Exit lehnt Sterbehilfe für Nichtmitglieder prinzipiell ab. Bernhard Rom sitzt in der Ethikkommission der Organisation und setzt sich für Ausnahmefälle ein: "Wenn wir uns für Würde und Selbstbestimmung am Lebensende einsetzen, müssen wir allen helfen", erklärt der pensionierte Arzt am Telefon.

Über strittige Fälle werde viel diskutiert - auch darüber, dass er sich als Mediziner für Sterbehilfe engagiere, diese aber nicht ausführt. "Das ist nicht Aufgabe eines Arztes, ein tödliches Medikament zu verschreiben."

Auch Herrndorf wollte keinen Beistand dieser Art: "Gebt mir einfach ein Mittel zur Selbsthilfe in die Hand, der Staat braucht sich nicht einzumischen." (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 30.1.2014)