Dieses embryoartige Gebilde wuchs aus den neuen STAP-Zellen.

Foto: Haruko Obokata

London/Wien - Vor mittlerweile acht Jahren berichteten japanische Forscher von einem Durchbruch, der wenig glaubhaft erschien: Der damals noch wenig bekannte Stammzellforscher Shinya Yamanaka behauptete, dass es ihm gelungen sei, Zellen aus dem Bindegewebe einer Maus in eine Art embryonalen Zustand zurückzuverwandeln.

In der Fachwelt herrschte Skepsis. Mittlerweile sind die auf diese Weise reprogrammierten Stammzellen – ­sogenannte iPS-Zellen ­– längst etabliert und ihre Herstellung vielfach weiterentwickelt worden. Und Yamanaka ist Nobelpreisträger.

Nun berichten japanische Kollegen Yamanakas von einem ähnlich revolutionären Coup, der die Fachwelt abermals in Erstaunen und Begeisterung versetzt. Für Jürgen Knoblich, international renommierter Stammzellforscher am IMBA in Wien, ist die Tragweite dieser Entdeckung schlichtweg "ungeheuerlich". Und sein Kollege Meinrad Busslinger vom IMP in Wien hält die Sache nach einer kurzen Prüfung gar für "verrückt".

Was ist das Sensationelle an der neuen Herstellungsmethode? Um iPS-Zellen zu erzeugen, sind spezielle eingeschleuste Gene oder Proteine für die Rückprogrammierung nötig – das Verfahren ist trotz Vereinfachung immer noch vergleichsweise aufwendig. Dagegen ist das, was Haruko Obokata vom Riken-Zentrum für Entwicklungsbiologie in Kobe im Fachblatt "Nature" berichtet, verblüffend einfach: Um die Stammzellen zu erzeugen, behandelten Obokata und ihre Kollegen Körperzellen neugeborener Mäuse eine halbe Stunde lang mit einer Lösung aus Zitronensäure, deren pH-Wert zwischen 5,4 und 5,8 lag. Von jeweils 15 Zellen überlebten drei die Tortur, von denen eine sich daraufhin radikal verjüngte. Die so gewonnenen Stammzellen bezeichnen die Forscher als STAP-Zellen (für "stimulus-triggered acquisition of pluripotency").

Die Wissenschafter konnten mit genetischen Markern nachweisen, dass diese STAP-Zellen ähnliche Eigenschaften haben wie embryonale Stammzellen. Allerdings können sie sich wesentlich schlechter selbst vermehren. Die Forscher entdeckten aber noch etwas: In einer Kulturlösung begannen die Zellen sich zu vermehren und entwickelten strukturelle und genetische Eigenschaften embryonaler Stammzellen.

Jürgen Knoblich zeigte sich im Gespräch mit dem STANDARD von den Arbeiten begeistert, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie auf zahlreiche frühere Studien aufbauen, die bis in die 1940er-Jahre zurückreichen. Und er ist sich sicher, dass in hunderten von Labors die japanischen Versuche nachgemacht werden.

Das Potenzial der Entdeckung könne man nicht hoch genug einschätzen, so Knoblich – auch wenn man noch abwarten müsse, ob der Trick auch bei menschlichen Zellen funktioniert. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 30.1.2014)