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Äthiopische Sicherheitskräfte blicken auf die Baustelle des Grand-Renaissance-Damms. Addis Abeba möchte zum größten Stromproduzenten Afrikas werden und Kairo fürchtet als Folge des Dammbaues um sein Wasser.

Foto: Reuters/Negeri

Kairo/Addis Abeba/Khartum/Wien - Für eine Weile sah es im Juni so aus, als könnte eine vor 20 Jahren abgegebene Warnung des damaligen UN-Generalsekretärs Boutros Boutros-Ghali wahr werden: Zwischen Ägypten und Äthiopien könnte um das Wasser des Nils der erste echte Wasserkrieg der Geschichte ausbrechen. Nun scheint sich die Lage doch zum Besseren zu wenden: Im Konflikt um den Bau des Great-Ethiopian- Renaissance-Staudamms (Gerd) haben sich Ägypten, Äthiopien und der Sudan Mitte Dezember in Richtung eines Kompromisses bewegt. Im Jänner könnte er besiegelt werden.

Doch noch ist es eine fragile Entspannung rund um das fast fünf Milliarden Dollar (3,6 Mrd. Euro) teure und 1,8 Kilometer breite Riesenbauwerk am Blauen Nil, das Äthiopien ab frühestens 2017 zum größten Stromproduzenten Afrikas machen und vor Dürrekatastrophen schützen soll. Schließlich geht es in der Kontroverse nicht nur um das lebenswichtige Wasser, sondern auch um Nationalstolz und die diplomatische Gewichteverteilung in der Region.

Das zeigen auch die Äußerungen vom Sommer: Ägyptens damaliger Präsident Mohammed Morsi versuchte die Flucht in markige Worte: Sein Land werde sich im Konflikt "alle Mittel vorbehalten". Gehe "nur ein Tropfen Wasser" verloren, "ist unser Blut die Alternative". Äthiopien nutzte seinerseits später das Kairoer Chaos, um beim Baufortschritt neue Tatsachen zu schaffen.

Vetorecht Ägyptens

Als der neue Außenminister des Landes, Nabil Fahmy, im November also sagte, dass der Umgang mit dem Wasser "kein Nullsummenspiel" sei, und der Sudan das Projekt unterstützen wollte, war dies als deutliches Kompromiss-Anzeichen zu verstehen. Ägypten und der Sudan haben sich stets auf ein 1929 mit britischer Unterstützung ausgehandeltes und 1959 erweitertes Abkommen berufen, das den beiden gemeinsam jährlich 74 Milliarden Kubikmeter Nilwasser für die eigene Nutzung zusichert. Da die gesamte Durchflussmenge rund 84 Milliarden Kubikmeter beträgt und zehn Milliarden über dem Nasser-Stausee verdunsten, bleibt für andere Länder kaum etwas übrig. Zudem hat Kairo ein Vetorecht bei allen Bauprojekten in den flussaufwärts gelegenen Staaten.

Diese argumentieren dagegen mit dem Ursprung des Wassers - zwischen 80 und 90 Prozent kommen aus dem äthiopischen Hochland. Die Nilbecken-Initiative (NBI), der auch Ägypten und der Sudan angehören, sollte Ende der 1990er-Jahre mithilfe der Weltbank ein Dialog-Klima schaffen - mit nur wenigen politischen Resultaten. Eine neue Gruppierung, das von Äthiopien initiierte Nile Cooperative Framework Agreement (Entebbe- Abkommen), dem auch Ruanda, Tansania, Uganda, Burundi und Kenia angehören, setzt dagegen deutlicher auf Konfrontation mit Kairo.

Dass sich diese Staaten in der Lage sehen, sich über Einwände aus Kairo hinwegzusetzen, liegt auch am verschobenen Gleichgewicht in der Region. Während Ägypten in politischen und wirtschaftlichen Problemen versinkt, wächst die Wirtschaft in den weiter südlich gelegenen Ländern seit Jahren in beträchtlichen Raten. Äthiopien hat sich als Regionalmacht etabliert. Nicht ohne Grund ist der Damm nach einer Wiedergeburt des Landes benannt.

"Freiwillige" Solidarabgabe

Stolz verweist man auch darauf, dass das Projekt weitgehend aus eigener Tasche finanziert wird - einzig für Stromleitungen hat Äthiopien Gelder aus China angenommen. Deshalb hatten äthiopische Beamte wohl auch wenige Ausflüchte, als sie von der Regierung dazu gedrängt wurden, einen Monatslohn als "freiwillige" Solidarabgabe für die Wasserkraft-Projekte des Landes abzutreten. Grund für diese Eigenfinanzierung ist auch, dass ausländische Geldgeber das Projekt nicht ohne Kritik sehen. Ökologische Studien, fürchtet man in Addis Abeba, hätte das Projekt womöglich nicht bestanden. Auch dass die Regierung von Premier Hailemariam Desalegn Kritikern und den Bewohnern jener Region, die vom neuen Stausee überflutet werden soll, wenig Spielraum bietet, wäre bei internationalen Geldgebern wohl schlecht angekommen.

Der Schlüssel zur Lösung, sind sich die meisten Experten einig, liegt in der Kooperation. Ein erster Schritt wäre es, würden sich die betroffenen Staaten Anfang Jänner auf die Gründung einer Expertenkommission einigen, die Auswirkungen des Projektes auf den Wasserstand untersuchen und einen Zeitplan für die Füllung des Stausees erstellen soll. Aber auch effizienterer Einsatz des Wassers wird nötig sein. Für die nötigen Investitionen stehen die Karten in Zeiten der ägyptischen Krise allerdings schlecht. (Manuel Escher, DER STANDARD, 27.12.2013)