Der scheckkartengroße Raspberry Pi

Foto: Standard/Cremer

Man stelle sich vor: Einen Computer mit der Rechenleistung eines vier Jahre alten Notebooks um läppische 35 Euro. Das alleine ist ja schon eine kleine Sensation. Der Raspberry Pi ist aber gar nicht dazu gedacht, den Desktop-PC zu ersetzen - und noch weniger das heimische Notebook: Dazu fehlen ihm eine integrierte Tastatur, ein Akku und vor allem der Bildschirm.

Seinen großen Erfolg verdankt der Raspberry Pi vielmehr einer winzigen Steckerleiste mit 26 Pins für allgemeine Ein- und Ausgabezwecke, in der Fachsprache: General Purpose Input/Output (GPIO). Selbst Bastler ohne großes handwerkliches Geschick können an diese Steckerleiste Messinstrumente und andere Geräte anschließen, deren Daten verarbeiten bzw. deren Funktionen steuern. Und mit einem Mal gibt es eine Palette möglicher Anwendungen: von der selbstgebauten Wetterstation über die Steuerungsanlage für Heizung und Solaranlage, von "intelligenten" Lego-Fahrzeugen und -Robotern bis hin zur Heimautomation.

Kindertauglich

Der Raspberry Pi ist in Museen präsent, wo er technische Exponate kindertauglich macht. Er wird an HTLs und Fachhochschulen eingesetzt, um Studenten kostengünstig in die Welt des Embedded Computings einzuführen. Auch wer keinen Lötkolben in die Hand nehmen will, findet im Internet immer mehr Firmen, die diverse, nahezu betriebsfertige Erweiterungen für den Raspberry Pi anbieten. Damit lassen sich viele Aufgabenstellungen quasi im Baukastenstil realisieren. Zur Auswahl stehen z. B. Kamera- und Displaymodule, Steuerungselektronik für Schrittmotoren oder ein fertiges Geiger-Müller-Modul zur Messung der Radioaktivität. Dabei soll aber nicht verschwiegen werden, dass viele dieser Erweiterungen teurer sind als der Raspberry Pi selbst.

Der Charme des Raspberry Pi besteht darin, dass das Gerät die Realisierung eigener Elektronikprojekte wieder praktikabel macht. Natürlich war es unter Elektronikfreaks schon vor 30 Jahren hip, sich Lautsprecher und Verstärker der Hi-Fi-Anlage selbst zu bauen. Später gelang der Zeitschrift c't mit Bauanleitungen für komplette Computer der Durchbruch. Doch dann begann eine Durststrecke: Moderne Elektronikkomponenten wurden so klein, dass das Löten nur noch Industrierobotern gelingt. Die hohen Taktfrequenzen machen den Ad-hoc-Entwurf eigener Platinen unmöglich. Kurzum: Aktuelle Mikroelektronik ist nicht mehr basteltauglich. Entsprechend fristeten Elektronikbastler in den letzten zwei Jahrzehnten ein Nischendasein.

Neue Bastlerszene

Das Ende dieser Zwangspause haben bereits einige Jahre vor dem Raspberry Pi die sogenannten Arduino-Boards eingeläutet. Diese relativ einfacheren Mikrocontrollerplatinen eignen sich ebenfalls für Steuerungsaufgaben, allerdings ohne ein vollwertiges Betriebssystem im Hintergrund. Das macht die Anwendung etwas komplizierter; dafür ist der Leistungsbedarf geringer und auch für eine Stromversorgung aus einer Batterie geeignet. Der Raspberry Pi, die Arduino-Boards sowie der aktuelle Hype rund um 3-D-Drucker sind heute die Ecksteine einer ganz neuen Bastlerszene, die nach der amerikanischen Do-it-yourself-Zeitschrift Make oft Maker-Szene genannt wird.

Ein wesentlicher gemeinsame Nenner dieser Maker-Szene ist die Nähe zur Open-Source-Bewegung: Was wäre der Raspberry Pi ohne all die frei verfügbaren Treiber zur Verwendung des Grafiksystems, des WLAN- oder Bluetooth-Erweiterungssteckers, des I2S-Bus oder der externen USB-Festplatte? Womit würden all die Steuerungsaufgaben erledigt, wenn nicht ein Dutzend freier Programmiersprachen zur Auswahl stünden, von Python und C bis hin zu Java. Und wie könnte man den Raspberry Pi so komfortabel als Entwicklungsumgebung verwenden, wenn darauf nicht komplette Linux-Distributionen mit allen damit verbundenen Annehmlichkeiten laufen würden?

Open Source als Heimat

Der Eindruck, der Erfolg des Raspberry Pis komme gewissermaßen aus dem Nichts, täuscht also: Softwareseitig stammt das Fundament aus der Open-Source-Szene. Hardwareseitig ist es die Smartphone-Branche, die für kostengünstige Komponenten sorgt: Wenn man die Elektronik für sich betrachtet, ist der Raspberry Pi im Prinzip nichts anderes als ein Smartphone ohne Gehäuse, Display und Telefoniekomponenten. Wirklich originell am Raspberry Pi sind somit weder Hard- noch Software, sondern die Zielsetzung: Es war mutig, ein derartiges Gerät explizit für Bastler zu schaffen. Genau damit landete die englische Raspberry Pi Foundation, eine Non-Profit-Stiftung, einen echten Volltreffer. (Michael Kofler, DER STANDARD, 12.12.2013)