Jugend forscht: Isabelle (Marine Vacth) und Freier Georges (Johan Leysen) in "Jeune & jolie".

Foto: viennale

Bild nicht mehr verfügbar.

Generalthema Jugend: François Ozon.

Foto: epa/langsdon

Bert Rebhandl erfuhr vom französischen Regisseur, was ihn mit "La boum " verbindet, warum er nicht mehr unbedingt schockieren muss und was Stars ausmacht.

STANDARD: Der berühmteste französische Film über Teenager war wohl "La boum" 1980. Liege ich ganz falsch, wenn ich "Jeune & jolie" als Aktualisierung davon sehe?

François Ozon: Nein, da ist was dran. Ich war dreizehn, als diese Filme herauskamen. Wir haben auch am Lycée Henri IV gedreht, das in La boum vorkam. Es war eine sehr bürgerliche Jugend, die wir da zu sehen bekamen, aber es hat viel daran gestimmt. Es gab aber noch einen anderen Film, der mir sehr wichtig ist: A nos amours von Maurice Pialat hatte ich vor allem im Sinn. In La boum sehen wir eine erträumte Jugendlichkeit, wie man gern gewesen wäre. Pialat zeigt eine realistischere Jugend.

STANDARD: Stilistisch unterscheiden Sie sich von Pialat allerdings deutlich, denn er bevorzugte eine offene Form. Sie hingegen inszenieren mit äußerster Präzision.

Ozon: Pialat stellte sich auch formal der Gewalt, die in Familien versteckt ist. Bei mir geht es zwischen Mutter und Tochter auch sehr hart zu, die Unmöglichkeit eines Dialogs zwischen Eltern und Kindern ist aber bei Pialat noch deutlicher.

STANDARD: Isabelle nähert sich ihrer Sexualität beinahe wie eine Forscherin. Sie will etwas herausfinden. Wissen kommt vor der Lust.

Ozon: Sie experimentiert und ist dabei ganz ernsthaft, sie lässt ihre Experimente nicht durch Moral beeinflussen. Im Gegensatz zum Gedicht von Rimbaud, das im Film vorkommt, ist sie eine gute Schülerin. Sie glaubt, dass die Prostitution ein Mittel ist, die Sexualität zu begreifen. Sie muss ihre eigene Lust entdecken und glaubt, das geht, indem sie zuerst einmal die Lust anderer erforscht.

STANDARD: Der erste Sex mit einem Gleichaltrigen enttäuscht sie. Auch deshalb, weil sich Mädchen offenbar schneller entwickeln?

Ozon: Das ist die Realität, junge Mädchen sind viel reifer. Sie sind auch sehr viel mehr Objekte des Begehrens, Jungs hängen in dem Alter noch am Rockzipfel der Mutter. 14-jährige Mädchen hingegen treten auf wie 18-jährige, sie stellen sich auf die Erotisierung der Adoleszenz ein, die allgegenwärtig ist. Das verleiht ihnen Macht, Isabelle nützt das aus.

STANDARD: Wie aber filmen Sie die Differenz zwischen dem Blick der "pervs", die jungen Mädchen Zettel mit ihrer Nummer zustecken, und dem Blick des Kinos, das diese Erotik ja nicht ausbeuten sollte?

Ozon: Das erste Bild des Films enthält dazu den Schlüssel. Ein Feldstecher ist auf Isabelle gerichtet, ein Instrument, mit dem jemand versucht, dieses Mysterium zu durchdringen. Dieser voyeuristische Blick ist auch meiner, alles andere wäre Heuchelei.

STANDARD: Es gibt in "Jeune & jolie" aber noch andere Facetten, eine Solidarität mit Isabelle, einen zärtlichen Blick auf sie und einen, der ihre Autonomie akzeptiert.

Ozon: Der Blick verändert sich mit den Jahreszeiten, es gibt den Blick ihres Bruders, ihres Klienten, ihrer Mutter, ihres Stiefvaters, so wird das vielschichtig.

STANDARD: Wie fanden Sie die Hauptdarstellerin Marine Vacth?

Ozon: Alle Kandidatinnen mussten beim Casting die Szene auf dem Kommissariat spielen, in der Isabelle ihre Geheimnisse preisgeben muss. Es gibt viele junge Schauspielerinnen in Frankreich, die das gut gemacht hätten. Bei Marine aber spürte man gleichzeitig, dass sie auch noch woanders war. Da tauchte ein Rätsel auf, das mich an Charlotte Rampling erinnerte, mit der ich bei Sous le sable zusammengearbeitet habe. Dieser Film war ja als Thriller geplant, wurde aber in der Zusammenarbeit immer mehr zu einer Reise, die zu einer Frau führte. Produzenten und Mitarbeiter glaubten nicht an Marine. Sie fanden, sie spiele nicht technisch genug. Ich aber spürte hinter ihrer Fotogenität noch etwas anders, und ich glaube, ich habe mich nicht geirrt.

STANDARD: Sehr bezeichnend ist auch die Szene mit dem Psychoanalytiker, in der sie in winzigen Bewegungen ihres Gesichts zu erkennen gibt, dass sie ihn als Instanz anzuerkennen bereit ist.

Ozon: Wir haben an einem Tag beide Szenen mit dem Analytiker gedreht, der übrigens kein Schauspieler, sondern vom Fach ist. Isabelle muss zweimal zu ihm, einmal mit der Mutter, danach einmal allein. Ich fragte sie: Sollen wir das chronologisch drehen, also zuerst die Szene, in der die Mutter dabei ist? Marine hat eine Nacht darüber nachgedacht und wollte dann zuerst die Szene spielen, in der sie allein ist. Sie hat die Szene sehr langsam gespielt, was mir sehr gefallen hat. Sie hat wirklich den Rhythmus vorgegeben.

STANDARD: Es geht in "Jeune & jolie" auch um dieses Rätsel des Kinos, der Fotografie: Wir sehen nur Körper - und sehen doch Seele.

Ozon: Das ist es, was Stars auszeichnet. Sie sind da, sie müssen nichts tun und drücken alles aus. Das ist sehr ungerecht, aber so ist es mit Catherine Deneuve oder Charlotte Rampling. Sie haben ein Charisma. Jemand wie Fabrice Luchini, mit dem ich auch gearbeitet habe, muss spielen, um zu existieren. Sonst funktioniert der nicht. Das hat oft auch etwas mit Schönheit zu tun. Es ist sehr unfair, aber so ist es nun einmal.

STANDARD: Sie galten lange Zeit als Regisseur, der nicht so richtig zu greifen ist. Nun wird immer deutlicher, dass es in Ihrem Werk um die klassischen Themen der individuellen Identität geht: Sexualität, Freiheit, Liebe, Imagination.

Ozon: Das ist wohl eine Frage der Reife. Ich weiß nun mehr über Sexualität. Meine ersten Filme erzählten auch schon von der Jugend, waren aber auch formal geprägt von Gewalt. Nun erzähle ich klarer, ich erzähle immer noch von Transgression, aber ohne schockieren zu müssen. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 29.10.2013)